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Ortho-VIPs: Müller-Wohlfahrt für alle

In den Vereinigten Staaten ist es schon üblich, aber auch bei uns sorgen die Medien für wachsenden Zulauf bei bekannten Praxen. In der Sportmedizin werben immer mehr „Promi-Orthopäden" mit den „fabelhaften" Erfolgen schneller Heilungen berühmter Sportler.

Es gibt viele Beispiele wunderbarer medizinischer Heilkunst: Der Fussballer, der nach einer vermeintlich schweren Verletzung schon einige Wochen später wieder auf dem Platz steht und den Skirennläufer, der nach dem Bänderriss in der darauf folgenden Saison Weltmeister wird. Allein der „VIP-Effekt" mancher Mediziner scheint vielen Normalbürgern ausreichend, sich auf „revolutionäre" Methoden zu verlassen, die nicht immer durch rigorose Studien geprüft sind.

Schlange stehen für den Termin

Kaum zu glauben, dass das nur am Training und dem dadurch gestärkten Muskelapparat liegen soll. Und es ist nur zu verständlich, dass der Freizeitsportler fest davon überzeugt ist: „Was gute Ärzte bei Prominenten reparieren und optimieren können, sollten sie auch bei mir hinkriegen."

Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt ist einer der bekanntesten Sportärzte Deutschlands. Sein neues Behandlungszentrum - 1600 Quadratmeter groß - steht im Zentrum Münchens und selbst bekannte Sportler bekommen dem Vernehmen nach dort nicht immer sofort einen Termin. Seine Therapien sind zuweilen umstritten, und dennoch weiß der aufmerksame Nachrichtenleser, dass schon viele berühmte Spitzensportler seine Hilfe gesucht haben.

Nachhaltiger OP-Effekt?

Kann Prominenz dort nachhelfen, wo aufwändige Studien für Wirkstoffe und Behandlungsmethoden fehlen oder nicht eindeutige Ergebnisse erbracht haben? Vor einigen Monaten hat sich auch die „New York Times" des Themas angenommen und die Diskussion um neuartige Therapieformen mit zwei Beispielen angeregt. Fall eins: Knochenglättung per Arthroskopie beim Femoroacetabularen Impingement. Die Operation ist einer der häufigsten Eingriffe der Sportmedizin und wird doch noch immer heiß diskutiert. Besonders dann, wenn sie prophylaktisch vor einer Coxarthrose schützen soll. Die Reibung des Oberschenkelkopfes sorgt ebenso wie die Leistenzerrung häufig für Schmerzen in der Sportlerhüfte. Der Eingriff beseitigt Unebenheiten, sodass danach alles wieder „wie geschmiert" läuft.

Meist kombiniert der Arzt mehrere Methoden, um den Sportler wieder fit für den Wettkampf zu machen. Ob es wirklich die Operation war, die eine beginnende Arthrose zumindest verzögert, darüber gibt es nur wenige Studien. Erst nach Jahren kontinuierlicher Beobachtung sind die Daten dazu wirklich stichhaltig. Die ,Times' zitiert Harry Rubash von der Harvard Medical School: „Niemand weiß wirklich sicher, dass die Operation für sich wirklich dem Patienten hilft."

Impingement führt nicht automatisch zur Arthrose

Einer der berühmtesten Vertreter seines Fachs ist Marc Philippon, Hüftspezialist an der renommierten Steadman Klinik im amerikanischen Vail. Wer sich seine Internet-Seite ansieht, registriert die vielen Namen amerikanischer Sportler und Stars, mit denen sich der Arzt schmückt. Aber auch europäische Sportler fliegen gerne einmal nach Colorado, um, mit ihren Bedürfnissen, von der dortigen Erfahrung zu profitieren.

George Hartofilakidis aus Athen hat dagegen eine Studie mit knapp 100 Patienten veröffentlicht, die alle an einem Hüft-Impingement litten und nicht operiert wurden. Wie er im Journal of Bone & Joint Surgery schreibt, entwickelten nur 20 Prozent der Untersuchten 18 Jahre später eine Arthrose. Das ist nicht sehr viel mehr, als auch für den Durchschnitts-Probanden im Alter von knapp 70 Jahren zu erwarten wäre. Dementsprechend fördert das Impingement wohl nicht die stärkere Abnutzung des Gelenks. Als Prophylaxe scheint die Operation somit fraglich. „Wir haben keine Ahnung, ob der Knochen nach einer OP nicht nachwächst", zitiert die New York Times John Callaghan von der Universität Iowa.

Plättchen machen Tempo

PRP steht für „plättchenreiches Plasma". Auch hier boomt die neue Methode der PRP-Injektion bei Sportverletzungen dank Prominentenwerbung. John Bergfeld von der Cleveland Clinic formuliert das Erfolgsrezept so: „Berühmter Athlet, berühmter Doktor und ungeprüfte Therapie". Die Wachstumsfaktoren der Thrombozyten sollen das verletzte Gewebe anspornen, Schäden schneller zu beheben. Nach einer Knieoperation wandte sich der Golfer Tiger Woods an den kanadischen Arzt Anthony Galea, der ihn auf wundersame Weise mit PRP schnell wieder auf die Beine brachte - und vor einigen Monaten wegen des unerlaubten Handels mit Dopingmitteln verurteilt wurde.

Die medizinische Kommission des IOC kommt bei PRP zu folgendem Schluss: „Eine sichere Empfehlung für PRP in der Klinik zur Unterstützung des Heilungsprozesses bei Muskel-, Sehnen-, Bänder- und Bindegewebsverletzungen können wir nicht geben." Mangels aussagekräftiger Studien raten die Olympier zur Vorsicht bei der Anwendung.

Run auf die Sportmedizin

Der neueste Trend in der Sportmedizin ist schließlich die Behandlung mit Stammzellen ( DocCheck berichtete darüber). Neben Bänderrissen sollen auch Schulter und Ellenbogen mit den Alleskönner-Zellen schneller heilen. Besonders dann, wenn PRP nicht so wie gehofft wirkt. Dann sind Stammzellen die Empfänger für die PRP-Wachtumsfaktoren und fördern, so angespornt, die Reparatur. Zumindest in der Theorie.

Rund zehn Millionen Deutsche leiden unter Schäden an ihren Gelenken und Arthrose. Der Bedarf an wirksamen Strategien für die gewünschte Beweglichkeit ist groß. Ebenso groß wie auch der Berufswunsch von Ärzten, sich dem Fach „Sportmedizin" zu widmen. Denn mit berühmten Aushängeschildern sollten sich die Wartezimmer fast von allein füllen. Ob jedoch die Goldmedaille eines Rekonvaleszenten die große randomisierte Studie ersetzt?

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