Paarberater und Buchautor Eric Hegmann aus Hamburg ist davon überzeugt, dass jeder Seitensprung zunächst eine bewusste Entscheidung gegen die Partnerschaft ist. Doch muss man ganz klar zwischen einmaligem Seitensprung und geplanter Affäre unterscheiden.
„Ein einmaliger Seitensprung kann den Partnern ihre Bedürfnisse bewusster machen. Eine Affäre allerdings führt fast immer zum Beziehungsende. Betrug und Lüge über einen längeren Zeitraum zerstören meistens die Vertrauensbasis – und zwar unwiederbringlich“, erklärt Eric Hegmann.
► Wann passieren Seitensprünge in Beziehungen? Gibt es Tendenzen?
Eric Hegmann: „Seitensprünge sind fast immer die Folge von Beziehungsproblemen. Diese treten oft auf, wenn Bedürfnisse und Wünsche nicht angesprochen werden. Das bedeutet in der Praxis, dass die Paare bereits einige Jahre zusammen sind.
Es ist selten, dass in den ersten beiden Jahren, in denen man sich noch kennenlernt und neu entdeckt, Interesse an anderen Partnern besteht. Ein Grund ist oft: Das Paar hat sich beim Sex auf dem ‚kleinsten gemeinsamen Nenner‘ eingependelt. Das bedeutet, die Sexualität wird als befriedigend erlebt, sie wird aber auch vorhersehbar und verliert damit langfristig die Spannung. Paare, die wenig Sex miteinander haben, haben nicht ‚keine Lust mehr‘ – sie haben nur keine Lust mehr aufeinander.
Ein anderer Grund: Das Paar spricht nicht über seine Wünsche und Fantasien. Dadurch entsteht oft ein stillschweigendes Übereinkommen, dass ‚alles in Ordnung ist‘. Wenn niemand das Problem benennt, ist es vielleicht gar nicht da, wird dann fälschlicherweise angenommen.“
► Wann gehen Frauen fremd, wann gehen Männer fremd?
Hegmann: „Statistisch geben Frauen an, dass sie Kommunikation und Aufmerksamkeit vermissen, also die ‚Sprachen der Liebe‘: Lob, gemeinsame Zeit, Intimität auch außerhalb vom Schlafzimmer, Zuwendung. Männer hingegen gehen am häufigsten statistisch fremd, wenn sie Sexualität in ihrer Beziehung vermissen.
Das belegt die These: Männer gehen eine Beziehung ein für Sex. Viele Männer geben Sex als Grund an, überhaupt eine feste Beziehung einzugehen. Wenn sie später zurückgewiesen werden, ist ihr Wertesystem gestört.
Frauen hingegen sind zur Festigung der Beziehung gerade am Anfang zu mehr Sex bereit und entziehen Sex in der Beziehung, wenn sie sich darauf reduziert fühlen. Das ist eine häufige – unbewusste – Ausgangslage für Seitensprünge und Affären.“
► Wann beginnt der Seitensprung?
Hegmann: „Das ist individuell verschieden und hat sehr viel mit dem Selbstwertgefühl und der Bindungshaltung zu tun. Wer eher ein sicherer Typ ist, kann den Flirt des Partners gut ertragen, freut sich vielleicht sogar mit und für ihn und empfindet das sogar als Selbstbestätigung, dass andere am eigenen Partner Interesse zeigen und fühlen sich nicht bedroht dadurch.
Unsichere Typen erleben sofort eine Aktivierung ihres Bindungssystems und reagieren mit Ohnmacht, Eifersucht, Rache. Statistisch ist es so, dass die meisten Menschen beim Küssen und Knutschen ihre Grenze überschritten sehen.“
► Wird durch einen Seitensprung IMMER etwas kompensiert, was in der Beziehung fehlt?
Hegmann: „Ja. Und genau darin besteht auch die Chance: Kann das, was ich suche, nicht in meiner Beziehung gefunden werden? Diese Frage stellen sich viele erst nach dem Seitensprung. Vorher wäre fraglos besser gewesen. Aber wenn es sich um einen Gelegenheits-Seitensprung handelt und nicht um eine Affäre, dann muss nicht alles zu spät sein.“
► Warum kann ein Seitensprung der Partnerschaft positive Impulse geben?
Hegmann: „Weil er aufzeigen kann, was in der Beziehung zuvor oder zu diesem Zeitpunkt nicht funktioniert oder gefehlt hat. In den meisten Fällen mangelte es an Kommunikation. Da hatte vielleicht ein Partner Furcht davor, die Beziehung zu verlieren, wenn er seine Wünsche formulierte. Damit nimmt er aber immer dem Partner die Möglichkeit, darauf einzugehen.
Viele Paare stellen in der Beratung fest, dass sie mehr eint als trennt. Leider eint sie allerdings vor allem die Furcht, ihre sexuellen Wünsche und Bedürfnisse zu äußern. Da haben die Partner ein schlechtes Gewissen, weil alles nicht mehr so ‚toll ist wie zu Beginn‘ und trauen sich nicht, das anzusprechen. Sie wollen ja auch meist den Partner nicht verletzen. Nur ändert sich durch dieses Verhalten nichts – ganz im Gegenteil: der Druck steigt und wenn etwas mit großer Sicherheit die Beziehungssexualität gründlich ruiniert, dann ist es Zwang – in welcher Form auch immer.“
► Wann sollte man einen Seitensprung riskieren?
Hegmann: „Davon würde ich grundsätzlich abraten. Es gibt wenige Paare, die mit gegenseitigen Absprachen glücklich sind. Das ist dann aber eigentlich nicht fremd-, sondern ‚bekannt‘-gehen, da der Partner davon weiß. Möglich ist in der Liebe alles – nur nicht alles ist gleich wahrscheinlich Erfolg versprechend.“
► Wie sollte man mit der Situation umgehen, wenn es passiert ist?
Hegmann: „Zunächst raus aus jeglicher Opferrolle! Viele untreue Partner erklären: ‚Ich wollte gar nicht, aber ...‘ Die erste Frage muss sein: ‚Was hat mir gefehlt? Warum habe ich das getan?‘ Danach kann man sich meist die Antwort auf die Frage ‚Hat es das gebracht?‘ schenken, denn die lautet fast immer ‚Nein‘.
Bevor ein untreuer Partner nun sein Problem in die Partnerschaft trägt, sollte er genau klären, inwieweit er selbst und allein aktiv werden kann, um in seiner Beziehung glücklicher zu sein. ‚Was kann ich tun, damit der Partner glücklicher ist?‘ Denn danach wird es auch ihm besser gehen.
Selten wird ein Paar zum Berater oder Therapeuten gehen, bevor es zum Seitensprung oder zur Affäre kam. Sinnvoll wäre es, denn da ließe sich noch sehr viel bewegen und verändern.“
► Reicht ein Flirt nicht aus, um sich beflügeln zu lassen? Muss es denn gleich Sex sein?
Hegmann: „Wer keinen Mangel an Selbstwertgefühl hat und ausreichend Bestätigung in der Partnerschaft erlebt, wird sich bereits durch einen Flirt beflügelt fühlen. Es hat schon seinen Grund, weshalb so viele Verheiratete oder in Beziehung Lebende nebenher ein Profil in einer Dating-App haben – nur für die Bestätigung.“
► Was sollte man beim Seitensprung beachten, um die Beziehung nicht unnötig zu gefährden?
Hegmann: „Sex hat verschiedene Aspekte. Lust und Erregung ist nur eine. Sex ist auch Bestätigung und Angenommen werden. Angefasst zu werden, Sex zu haben vermittelt auch das Gefühl, OKAY zu sein, geliebt zu werden. Bevor Menschen sprechen konnten, haben sie sich zur Kommunikation angefasst. Fast immer wird es bei Seitensprüngen um einen Mangel an diesem Gefühl gehen.
Wenn es tatsächlich um Lust und Erregung geht, weil beispielsweise der Partner nicht alle sexuellen Bedürfnisse erfüllen möchte (nicht jeder findet nun einmal das Gleiche erregend), dann halte ich den gemeinsamen Besuch eines Swinger-Clubs für die ehrlichere Idee.
Es gibt Paare, die zu Seitensprüngen einen stillschweigende Vereinbarung haben: ‚Ich erzähle nichts, du erzählst nichts‘ oder häufiger ‚Ich erzähle nichts und dadurch verletze ich dich nicht (so sehr)‘. Ob das glücklich macht, kann nur das jeweilige Paar für sich entscheiden.
Grundsätzlich ist jeder Seitensprung eine Entscheidung gegen die Beziehung. Die muss nicht das Ende der Beziehung bedeuten und kann sogar motivieren, neu zu beginnen und Probleme zu lösen. Aber aus der Beratungspraxis muss ich sagen: Wer so reflektiert an einen Seitensprung geht, der hat diese Probleme meist nicht, weil er/sie darüber mit dem Partner oder der Partnerin spricht.“