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Das Ausmaß der Krise sichtbar machen

Covid-19. Wie Datenjournalismus Wirtschaftsberichterstattung greifbarer machen kann.

Die Anzahl der Arbeitslosen, der Menschen in Kurzarbeit oder der neu gemeldeten Insolvenzen - all diese Zahlen waren zentraler Bestandteil der Wirtschaftsberichterstattung der vergangenen Wochen. Am Höhepunkt der Krise gab es wöchentliche Updates über die Veränderung der betroffenen Menschen. Diese Zahlen bieten für die Medien-Konsumenten ohne zusätzlichen Kontext oft nicht sonderlich viel Mehrwert. Genau an diesem Punkt kommt der Datenjournalismus ins Spiel, den immer mehr Redaktionen für sich entdecken. Durch ihn können große Datensätze, nachdem sie bereinigt worden sind, analysiert, nach Mustern durchsucht und visualisiert werden.

So wird beispielsweise bei der Analyse der österreichischen Arbeitsmarktdaten der vergangenen 16 Jahre, die aus der Arbeitsmarktdatenbank des Arbeitsmarktservice (AMS) stammen, sichtbar, dass die Zahl der Arbeitslosen durch die Coronavirus-Pandemie und der daraus resultierenden Wirtschaftskrise kurzfristig auf ein bisher unerreichtes Niveau angestiegen ist. Darüber hinaus zeigen sich gravierende Unterschiede bei den Geschlechtern. So gibt es etwa bei den Männern kontinuierlich einen stark saisonbedingten Anstieg der Arbeitslosigkeit in den Wintermonaten, während diese Schwankung bei den Frauen nur in einem sehr geringen Ausmaß stattfindet. Dieser Unterschied ist vermutlich zu einem großen Teil auf die Saisonarbeit in der männlich dominierten Baubranche zurückzuführen.

Auf der anderen Seite sticht dann umso mehr der starke Anstieg der Arbeitslosigkeit bei Frauen infolge der Coronakrise hervor. So waren nach absoluten Zahlen 85 Prozent aller Personen, die krisenbedingt arbeitslos geworden sind, weiblich. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von einem generell höheren Frauenanteil in besonders betroffenen Sparten bis zu einem höheren Anteil von Frauen, die in Teilzeitarbeitsverhältnissen angestellt sind und deshalb eher ihre Anstellung verloren haben. Dabei ist wichtig zu beachten, dass zum Zeitpunkt des Beginns der Coronavirus-Pandemie in Österreich im Februar viele Männer saisonbedingt arbeitslos waren, wodurch sich bei den absoluten Zahlen der krisenbedingten Arbeitslosen ein geringerer Anteil an Männern und im Umkehrschluss ein größerer Anteil an Frauen erklären lassen könnte.

Zahlen greifbarer machen

Dieser Umstand wird auch durch eine Bereinigung der Daten, indem für jedes Monat der Durchschnittswert der vorangegangen zwölf Monate berechnet wird („rollender Durchschnitt"), sichtbar. Dabei werden die saisonalen Unterschiede ausgeglichen und es können längere Zeiträume beobachtet und verglichen werden. Die Wirtschaftskrise 2008/09 hat sich in Österreich demnach weniger auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt als die Coronakrise. Außerdem haben sich krisenbedingte Schwankungen der Arbeitslosigkeit in der Vergangenheit weniger stark auf Frauen ausgewirkt.

Große Datenmengen und zahlenbasierte Zusammenhänge spielen insbesondere bei der Wirtschaftsberichterstattung eine große Rolle. Diesen Umstand können sich Wirtschaftsjournalisten zunutze machen. Wenn sie datenjournalistische Praktiken in ihren Alltag integrieren, können sie für ihre Leser abstrakte Zahlen greifbarer und verständlicher machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2020)

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