Sie stehen auf Trachten, Drei-Alben-Pläne und Bikram Yoga - kein
Zweifel: Die Hives gehören auf die Couch, und zwar sofort.
Interview: Ellen Stickel
"Oh, Mist!" Der tiefbraune Brühe läuft über den Rand der
Espressotasse, während Pelle hektisch nach einer zweiten Tasse grabscht.
Die Kaffeemaschine in der Suite des Businesshotels am Spreeufer meint
es etwas zu gut mit dem Frontmann der Hives. Doch der volle
Interviewkalender am Vortag und diverse Fotoshootings am Morgen stecken
Howlin' Pelle Almqvist offenbar tief in den Knochen. Kaum ist das
Aufnahmegerät angeschaltet, legt er sich auf dem Sofa quer, die stets
getrimmte Ponysträhne hängt perfekt übers Auge. "Lust auf eine Sitzung
beim Psychiater?" fragt er grinsend. Immer doch. Erste Diagnose: Pelle,
oder Per, wie er eigentlich heißt, ist die Selbstsicherheit in Person.
Über die Jahre hat er sich den Ruf angeeignet, auf absolut jede Frage
von Journalisten eine schlagfertige Antwort geben zu können.
Unterstützung von The-Hives-Gitarrist Mikael Karlsson aka Vigilante
Carlstroem bräuchte er eigentlich nicht. Vigilante macht es seinem
Bandkollegen deshalb direkt nach und begibt sich ebenfalls in die
Horizontale. Ohne Kaffee, allerdings.
uMag: Pelle, Vigilante, die Musikindustrie hat Probleme
damit, mit Rockbands Geld zu verdienen - war das einer der Gründe, dass
ihr euer Album "Lex Hives" auf eigene Faust veröffentlicht?
Pelle Almqvist: Unser Vertrag mit Universal war ausgelaufen. Sie
hätten uns natürlich weiter halten können, doch seit wir unseren ersten
Vertag unterzeichnet hatten, ist die Musikindustrie um zwei Drittel
geschrumpft. Es machte für Universal also wenig Sinn, so viel Geld zu
investieren.
Vigilante Carlstroem: Ich finde es auch besser, alles selbst zu
machen. Wenn man in jedem Land mit einem anderen Label zusammenarbeitet,
muss man sich immer zwischen den ganzen Interessen entscheiden. Das war
ein ewiges Gezerre.
Almqvist: Und es ist übrigens nicht nur Rockmusik - die Labels verlieren inzwischen bei neun von zehn Alben Geld.
uMag: Deshalb geht der Fokus auch immer mehr auf Liveauftritte.
Almqvist: Kein Problem für uns. Ich höre jeden Tag von Fans, dass wir eine großartige Liveband seien. (lacht)
uMag: Du wirfst auf der Bühne die Beine ja auch wie ein Can-Can-Girl. Wie oft machst du eigentlich Yoga, um so fit zu sein?
Almqvist: Gar nicht. Obwohl, ich habe mal Bikram Yoga probiert, bei
dem man praktisch bei Saunatemperaturen trainiert. Nach einer Woche
hatten wir eine Show - und das war echt leichter, weil ich die Hitze
gewöhnt war. Ich habe in meiner Jugend einfach nie Sport gemacht,
deshalb bin ich nicht so steif wie die Jungs, die Hockey oder so was
gespielt und ihre Muskeln aufgepumpt haben.
uMag: Warst du eher der Typ, der von Bäumen fällt?
Almqvist: Ja, ich falle von Bäumen, ich falle von der Bühne. Das ist meine Art von Training.
uMag: Wie oft muss man seine Grenzen überschreiten, um das Level einer gefeierten Liveband zu halten?
Almqvist: Durchs von der Bühne fallen? Man muss einfach immer mehr machen.
Carlstroem: Man kann auch als Singer/Songwriter von der Bühne fallen ...
Almqvist: Man muss nur betrunken genug sein. (lacht) Wir versuchen
immer, weiter zu gehen. Klar sind wir nach jeder Show müde, und das wird
im Verlauf der Tour auch nicht besser. Aber das ist es einfach wert. So
ist es aufregender für die Fans und damit auch aufregender für uns. Es
gibt keine andere Lösung.
uMag: Ihr wart während eurer letzten Tour immerhin 25 Tage in Krankenhäusern.
Almqvist: Die waren nicht alle auftrittsbezogen. Meistens hatten wir einfach nur Pech.
uMag: "The Black And White Album" habt ihr unter anderem von
Pharell Williams produzieren lassen. Diesmal macht ihr das komplett
selbst. Genug Experimente?
Carlstroem: Wir wollten beim letzten Album einfach alles
ausprobieren, was wir noch nicht gemacht hatten. Das hat auch Spaß
gemacht. Aber jetzt wollten wir wieder etwas Neues machen, also haben
wir alles selbst gemacht.
Almqvist: Hat dann halt etwas länger gedauert ...
uMag: Ja, aber ihr nehmt euch ja immer etwas länger Zeit, die Leute sind das gewöhnt.
Almqvist: Ja, vielleicht. Oder es sind bei jedem Album neue Leute ... (lacht)
uMag: Wenn man ein paar Textzeilen rausgreift wie "Right or
wrong you never know, so go right ahead!" oder "If I had a cent for
every time you ask me what's appropriate I'd be rich", dann scheint es,
als wären unentschlossene Leute gerade ein großes Thema für euch.
Almqvist: Ne, nicht wirklich. Bei "Go right ahead" geht es ja darum,
dass man gar nicht weiß, was richtig oder falsch ist, sondern einfach
überhaupt was tun soll.
uMag: Also keine Probleme mit Leuten, die sich nicht entscheiden können?
Almqvist: Wir haben mit vielen Leuten Probleme, aber die Unentschlossenen gehören eher nicht dazu.
uMag: Wo habt ihr das Album eigentlich geschrieben? Waldhütten sollen grade im Trend sein.
Almqvist: Eigentlich vor allem zu Hause. Und dann treffen wir uns
und tüfteln die Details aus. Unsere Songs entstehen immer stückweise,
wir tauschen oft noch Verse und Refrains untereinander, bis sie passen.
Äh, was war die Frage nochmal?
uMag: Ihr wart nicht im Wald ...
Almqvist: Nein. Obwohl, wir leben ja im Wald. Zumindest die meisten
von uns. Aber wir haben über mehrere Jahre immer wieder an den Songs
geschrieben - so lange hätten wir ums Verrecken nicht zusammen in einer
Waldhütte sein wollen.
uMag: Ihr seid aber seit eurer Gründung in derselben Besetzung zusammen. Wie habt ihr das angestellt?
Almqvist: Puh, keine Ahnung. Wir mögen es einfach, eine Band
zusammen zu haben. Es wäre schlimmer, nicht in einer Band zu sein. Und
bisher hat einfach noch keiner gekündigt ... (lacht) Andere Bands machen
definitiv was falsch, wenn sie dauernd die Leute auswechseln. Ich
glaube, wenn du die ersten fünf Jahre ohne Wechsel überstanden hast,
kannst du ewig weitermachen. Das ist wie in einer Ehe: Wenn man es fünf
Jahre durchhält, gibt es keine Gründe, warum es nicht für immer halten
sollte. Manche Leute behaupten zwar, dass es nur 18 Monate wären, aber
ich glaube, nach 18 Monaten kann noch ganz schön viel schief laufen.
Vigilante ist zwischenzeitlich immer tiefer auf dem Sofa
zusammengesunken, die Augen geschlossen. Atmet er tiefer als zuvor?
Egal, Pelle redet immer noch auf der Psychiatercouch. Nächste Frage.
uMag: Ihr tragt für dieses Album Smoking, gestärkte Hemden und Zylinder. Ein Zeichen neuer Ernsthaftigkeit?
Almqvist: Hm, Ernsthaftigkeit ... Wir versuchen ja immer, uns in
Schale zu werfen. Aber ja, wir nehmen unsere Shows ernst und damit auch
uns selbst und die Fans. Ich denke, ernsthafter als Smoking und Zylinder
kann es kaum werden. Vielleicht noch mit einer Krone und einem Mantel.
uMag: Wäre auch eine Idee ...
Almqvist: Hermelin ist ja auch schwarz und weiß. Wäre allerdings
etwas zu warm für die Bühne. Vielleicht eher so Outfits à la ägyptischer
König. Wir fanden Smoking und Zylinder cool, weil es dich sofort an
alles mögliche denken lässt, von Fred Astaire bis Dracula.
uMag: Tragt ihr eigentlich überhaupt mal was Buntes?
Almqvist: Nicht wirklich. Nur manchmal, wenn wir lange nicht auf
Tour waren, versuchen wir, uns der modernen Gesellschaft anzupassen und
verkleiden uns als normale Menschen, ich als 30-jähriger Stockholmer und
Vigilante als Holzfäller mit Karohemd.
Plötzlich doch wieder ein Lebenszeichen vom großen Mann auf dem Sofa
gegenüber. Als er seinen Namen hört, öffnet Vigilante die Augen und
fängt einen Exkurs an über die traditionellen schwedischen Trachten, die
zu Festtagen heute wieder häufiger getragen würden. Wegen all der
Unterröcke brauche man aber alleine eine halbe Stunde, um das alles
anzuziehen.
Almqvist: Wir sollten anfangen, das zu tragen! In schwarz-weiß.
uMag: Einige Songs vom "Black And White Album" wurden in Werbespots oder für Videospiele verwendet. Habt ihr das selbst entschieden?
Almqvist: Ja, wir entscheiden immer, wofür was genutzt wird.
Carlstroem: Früher haben wir zu allem Nein gesagt. Wir hatten einen
Masterplan. Und der wichtigste Teil des Plans war, Nein zu sagen. Aber
dann haben wir angefangen, mit anderen Leuten zu arbeiten und
schließlich auch mal versucht, Ja zu sagen.
Almqvist: Ein Grund dafür war, dass unser Label kurz nach dem
Erscheinen der Platte aufhörte, das Album zu pushen und stattdessen an
den Pussycat Dolls oder irgend so was weitergemacht hat. In Amerika gab
es auch kein wirkliches Rockradio mehr. Also war der einzige Weg, die
Leute dazu zu kriegen, unsere Songs zu hören, sie in Werbespots
einzubinden. So waren sie wenigstens im Fernsehen. Außerdem war das
"Black And White Album" ziemlich teuer, wegen all der Produzenten und
Studios.
uMag: Dass Pharrell teuer ist, kann ich mir vorstellen ...
Almqvist: Ja, wir haben zwar einen guten Deal bekommen, aber er ist
echt verdammt teuer. Im Gegensatz zu den Neunzigern gibt es inzwischen
eine größere Akzeptanz dafür, dass Bands ihre Songs für Werbespots
hergeben. Die Fans zahlen nur noch sehr selten für Musik, aber sie
wissen auch, dass das Produzieren einer Platte Geld kostet und das Geld
also woanders herkommen muss.
uMag: Zurück zu eurem Masterplan. Wie genau sah der aus?
Almqvist: Wir wollten drei Alben machen und dann aufhören. Als wir
die Band gründeten, dachten wir nicht, dass wir von schnellem Punkrock
überhaupt leben könnten. Außerdem kannten wir kaum Bands, die nach mehr
als drei Alben noch gut waren. Aber irgendwie hatten wir noch zu viel
Spaß an der Sache und außerdem das Gefühl, dass wir noch nicht fertig
sind. Also haben wir uns für einen neuen Drei-Alben-Plan entschieden.
Vielleicht bleiben wir deshalb schon so lange zusammen, weil wir nie für
länger als drei Alben planen. Obwohl wir für drei Alben natürlich eine
verdammt lange Zeit brauchen ...
uMag: Ihr verbringt auch sehr viel Zeit in Backstagebereichen. Was ist das Beste daran?
Almqvist: Das Beste sind Freunde und Alkohol. Und Essen. Das
Schlimmste ist, dass wir manchmal keinen Platz haben, so dass du die
ganze Zeit über die anderen rübersteigen musst.
Carlstroem: Und manchmal hat es da nervige Leute.
Almqvist: Bandmitglieder, oder was?
Carlstroem: (lacht) Nein. Leute, die sich reinschleichen und unseren Vodka stehlen.
Checkbrief
NAME The Hives
GEGRÜNDET 1993
IN Fagersta, Schweden
MITGLIEDER Howlin' Pelle Almqvist, Vigilante Carlstroem, Nicholaus Arson, Dr. Matt Destruction, Chris Dangerous
GELTEN ALS eine der wichtigsten Garagen-Rock-Bands der 2000er
TRETEN immer in identischen, schwarz-weißen Outfits auf, sogar die Roadies auf Tour müssen eine Einheitskluft tragen
HIVES ist das englische Wort für juckende Quaddeln – ob die Band das im Hinterkopf hatte, sei dahingestellt
HABEN eine Bandzentrale namens Hive Manor in einer alten Toilettenfabrik in Fagersta.
www.thehivesbroadcastingservice.com
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