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Interview

Jobverlust wegen Corona: Da hilft nur Augen zu und durch

Wer aufgrund der Corona-Pandemie in Kurzarbeit ist oder seinen Job verloren hat, ist damit nicht allein. Warum es ohne Arbeit unserer Gesellschaft nicht gut geht und wie die Aussichten für nach dem Lockdown aussehen, weiß Dr. Stefanie Pawlak.


Interview: Elisabeth Werder



WILA Arbeitsmarkt: Frau Dr. Pawlak, in Zeiten von Corona rückt die Bedeutung von Arbeit in den Vordergrund. Wer in Kurzarbeit ist oder seinen Job verliert, leidet. Was ist Arbeit?


Dr. Stefanie Pawlak: Aus soziologischer Sicht ist etwas immer dann Arbeit, wenn man zielgerichtet handelt und dies im Kontext anderer Tätigkeiten steht. Wenn ich eine Flasche vom Boden aufhebe, ist das nicht unbedingt Arbeit. Wenn ich im Getränkemarkt arbeite, ist das natürlich Arbeit. Die bekannteste Form von Arbeit ist die Erwerbsarbeit. Es gibt aber auch die Care-Arbeit, die gerade während Corona (und auch schon davor) oft an Frauen hängen bleibt. Und dann gibt es die Freizeitarbeit. Das ist immer eine beliebte Frage im Sozialkundeunterricht der siebten Klasse: Ist es Arbeit, wenn ich Zuhause mein Zimmer anstreiche? Im soziologischen Sinne ja, denn es ist ein zielgerichtetes Handeln. Und auch ein Ehrenamt ist zum Beispiel Arbeit.


Wir arbeiten also fast immer, wenn wir nicht gerade planlos auf dem Sofa liegen?


Sozusagen. Ja, oft sogar „berufsähnlich“. Berufe sind nichts anderes als ein standardisiertes Bündel an Tätigkeiten. Das hört sich kompliziert an, ist aber gar nicht so kompliziert. Wenn Sie einen Fünfjährigen fragen, was ein Bäcker macht, kann der ihnen diese Frage beantworten, Tätigkeiten aufzählen. Und genauso ist es auch bei Ärzt*innen, Lehrer*innen oder Anwält*innen. In Deutschland gibt es ca. 30.000 Tätigkeitsberufe, wenn auch nicht so viele Ausbildungsberufe. Aber jetzt können Sie sich überlegen, wie grob- oder kleinteilig man das zusammenfassen kann, was Menschen so tun.


Bäckerinnen, Ärzte, Lehrerinnen – das sind sehr konkrete Berufe und Tätigkeitsfelder. Unter dem Berufsfeld eines studierten Biologen kann sich vielleicht nicht jeder sofort etwas vorstellen.


Das ist genau das, womit Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen oft hadern: Dass ihre Ausbildung nicht zu einem konkreten Tätigkeitsberuf hinführt, wie das eben bei den Professionsberufen (wie zum Beispiel Arzt oder Anwältin) der Fall ist. Da erwirbt man etwas, was auf ein standardisiertes Tätigkeitsfeld hinführt. Auch eine Endokrinologin macht was anderes als ein Augenarzt, aber am Ende sind es Ärztinnen oder Ärzte. Wenn sie mich fragen was ich mache und ich sage, ich arbeite in der Universitätsverwaltung, haben Sie das Bild von einer verwaltenden Tätigkeit vor Auge. Aber natürlich unterscheiden sich Verwaltungsberufe voneinander.


Welchen Beruf wir ausüben, hat maßgeblichen Einfluss auf unsere Zufriedenheit im Alltag. Wie entscheiden wir, welchen Beruf wir erlernen?


Welchen Beruf wir ergreifen, ist auch an individuelle Voraussetzungen geknüpft. Ich bin zum Beispiel nur 1,70 m groß – dass ich keine Basketballerin werde, war schon in der siebten Klasse klar. Das kann man auf viele Fähigkeiten münzen, die man für einen Beruf mitbringen muss und nicht so richtig erwerben kann, sondern die einfach in der Bevölkerung verteilt sind. Was man in der Kindheit gut kann, macht man ganz oft repetitiv mit fokussiertem Interesse. Kinder, die gerne lesen, lesen viel und Kinder, die gerne rechnen, rechnen viel. Daraus entstehen dann geübte Begabungen, die ausreichen, um eine Berufswahl in Betracht zu ziehen. Was es dann wirklich wird, ist meistens milieuabhängig.


Also entscheiden die Berufe unserer Eltern, was wir später einmal werden?


Es gibt eine milieubasierte Normierung von Berufswahl. Kinder, die geschickt mit kleinteiliger Arbeit sind, könnten Näher*in oder Chirurg*in werden. Die Chefarzt-Tochter wird selten Näherin werden, sondern eher Chirurgin und umgekehrt genauso. Kinder verbessern oder verschlechtern sich zu ihrer Herkunftsfamilie meistens nicht immens. Es gibt auch Berufe, die stigmatisierter oder normiert erwünschter sind als andere: Wenn ich zum Beispiel in linksalternativen Kontexten aufgewachsen bin, werde ich nicht unbedingt eine Bundeswehrkarriere in Erwägung ziehen. Wer in einem Offiziershaushalt aufgewachsen ist, für den ist das eher denkbar. Und dann gibt es auch noch gesamtgesellschaftliche Trends, das ist das, was wir aus den Medien mitnehmen. Wie gelingt es, Berufe mit einem gesamtgesellschaftlichen Ansehen aufzuladen, damit möglichst viele Menschen diesen Beruf ergreifen? Da möchte zum Beispiel die Bundesregierung mit den Pflegeberufen seit längerer Zeit hin.


Was bringt uns Arbeit, neben dem Einkommen?


Zunächst, ganz banal, eine Tagesstruktur. Wenn Sie Montagvormittag um zehn Uhr in Deutschland rumtelefonieren, werden Sie den Großteil bei der Arbeit erwischen. Das Erleben von Strukturähnlichkeit ist wichtig für Menschen. Bei der Arbeit, die im Betrieb stattfindet, gibt es aus soziologischer Sicht noch so etwas wie betriebliche Integration. Das bedeutet zunächst Status und Hierarchie, beides wird innerhalb eines Betriebs zugewiesen. Und beides ist sehr entscheidend dafür, wie Menschen in der Gesamtgesellschaft gesehen werden und wie sie sich selbst vorstellen. Das Verleihen von Status im Erwerbsleben ist wichtig für Menschen. Das muss gar nicht die Universitätsprofessorin sein, ich selbst kommt aus einem Bergbauernhaushalt, da war man stolz darauf, Kumpel zu sein. Natürlich spielt auch die eigene Weiterentwicklung eine Rolle: Während der Erwerbsarbeit qualifiziert man sich weiter, heute macht man etwas besser als noch vor zwei Jahren. Und dann gibt es noch den Selbstzweck: Manchmal macht man seine Arbeit gern, weil man sie einfach Spaß macht. Der eine schreibt gerne Texte, der andere baut gerne Möbel.


Also ist das Erleben von beruflichem Aufstieg übertragbar auf das Privatleben?


Es gibt eine Zuweisung von Hierarchien in Organisationen. Das heißt, in jedem Betrieb gibt es im Grundsatz eine Hierarchie, die entscheidet wer was zu sagen hat. Das ist nicht immer gleichwertig zum Erleben außerhalb des Jobs, aber wenn sie in einer hohen Hierarchie angesiedelt sind ist das schon ein Stück weit nach außen übertragbar. Dann wird man zum Beispiel als Expertin für Interviews angefragt oder als Mitglied für Aufsichtsräte oder Vorstände. Die Statuszuweisung in einem Unternehmen ist ein bisschen wie eine Währung anzusehen, damit kann man auch woanders „tauschen“.


Wie stark definieren wir uns über unsere Arbeit?


In Deutschland definieren wir uns sehr stark über das, was wir tun. Arbeit ist in unserer Gesellschaft sehr statusentscheidend. Unsere Gesellschaftsstruktur ist so geschichtet, dass jemandem über seinen Beruf oder das damit verknüpfte Einkommen ein gesellschaftlicher Status zugewiesen wird. Einkommen bedeutet, dass man an gesellschaftlichen Prozessen teilnehmen kann oder eben nicht. Über den Beruf entscheidet sich, welchen Beruf meine Kinder ergreifen werden, in welchen Freundeskreisen ich verkehre, zu welchen Gruppen ich Zutritt habe. In anderen Ländern ist das unbedingt so, in Israel zum Beispiel werden Sie von Frauen etwa oft hören: „I am CEO and a Mother of three Children“. Dort ist es wichtig zu kommunizieren, dass man auch noch in anderen Funktionen performt.


Da kommt mir der obligatorische Lottogewinner, der trotz Reichtum weiterarbeiten möchte, in den Sinn. Was steckt dahinter?


Wir leben in einer Organisationsgesellschaft. Wenn Sie mal darüber nachdenken, in wie vielen Organisationen Sie Mitglied sind, was fällt Ihnen da ein? Sie werden feststellen, dass zumindest der formale Teil Ihres Lebens von Organisationen geprägt ist. Organisationszugehörigkeit schützt und stattet Menschen mit Berechtigungen und Status aus. Das ist ein Grund, warum Menschen nach Lottogewinn weiterarbeiten - und wenn sie ihre eigene Organisation gründen. Viele wechseln auch ungerne ihre Arbeitsorganisation: Vieles von dem, was Organisationen von Ihnen wissen, können Sie danach formal gar nicht wieder auf dem Arbeitsmarkt einbringen, denn eine Statusausstattung ist Organisationsexklusiv. Deshalb ist Arbeitsverlust ein Bruch, denn vieles was man in der einen Organisation durfte, wo man einen hohen Status hatte, darf man in einer anderen Organisation erstmal nicht, wenn man da neu anfängt.


Was passiert mit uns, wenn wir erwerbslos werden?


Zunächst muss man unterscheiden, ob man geplant erwerbslos wird oder nicht. Ein Sabbatical oder ein Rentenübergang zum Beispiel ist geplant. Der Arbeitsplatzverlust aufgrund von Corona nicht. Immer ist es ein biografischer Bruch: Ganz viele Selbstverständlichkeiten, die unser Leben viele Jahre strukturiert haben, sind auf einmal weg. Und natürlich ist auch das fehlende Einkommen ein Problem. Vor allem in den Branchen, die während der Pandemie Stellen abbauen, ist das Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld nicht existenzsichernd - von Hartz IV ganz zu schweigen. In der Gastronomie zum Beispiel lebten viele auch zu großen Teilen von Trinkgeldern. Das Zusammenkommen von Statusverlust und einem finanziellen Problem birgt eine große Herausforderung, die die Sozialpolitik nur ein Stück weit auffangen kann.


Wie kann die Gesellschaft richtig auf Erwerbslosigkeit reagieren?


Über sozialpolitische Steuerungsinstrumente. Die gute Nachricht ist: Gute Leute sind, sobald die Geschäfte und Restaurants öffnen, wieder weg vom Arbeitsmarkt. Oder sind im besten Fall immer noch in der Organisation. Der Staat möchte durch Kurzarbeit verhindern, dass man aus seiner Organisation herausfällt, und da haben alle Seiten was davon: Wenn ein Unternehmen in ein paar Monaten mit komplett neuem Personal starten müsste, verliert es viel Zeit und Geld. Das will keiner, denn das ginge auch an die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Pandemiezeiten sind sehr speziell, die muss man ein Stück weit über sich ergehen lassen.


Heißt das, „Augen zu und durch“ ist derzeit der einzige Weg?


Man muss zumindest ein Stück weit akzeptieren, dass der eigene Handlungsspielraum derzeit stark eingeschränkt ist. Das wird sich auch wieder ändern, aber eine biografische Bruchphase ist immer belastend, egal ob als Berufsanfänger*in, der oder die gerade nicht in Beruf starten kann, oder nach dem Arbeitsplatzverlust. Ob solche Übergänge während Corona besser oder schlechter gelingen, werden wir erst in vier, fünf Jahren wissen, wenn es Forschung dazu gibt. Bei Existenzsorgen hilft es leider auch nicht viel, wenn man den Menschen aufzeigt, dass es gerade vielen so geht. Aber es ist insgesamt eine Situation, für die niemand etwas kann.