Fast wäre aus der Tenniskarriere von Andrea Petkovic gar keine geworden. Weil sie nicht nur kleinen gelben Filzbällen außerordentlich schnell hinterherjagte, sondern auch ihr Abitur im Alter von 18 Jahren mit einem Notenschnitt von 1,2 abschloss, war ihr Vater Zoran Petkovic – einst selbst Davis-Cup-Spieler für Jugoslawien – zunächst gegen eine Profikarriere seiner Tochter. Die elfte Klasse hatte sie übersprungen.
„Wir hatten damals sogar Streit“, sagte Vater Petkovic. „Ihr standen alle Möglichkeiten offen mit einem Einser-Abitur.“ Deshalb schlossen die beiden damals eine Wette: Erreicht sie innerhalb von zwei Jahren nicht die Top 50 der Welt, hört sie auf. Vor Ablauf der Frist riss sich Petkovic bei den Australian Open 2018 das Kreuzband. Ihr Comeback knapp neun Monate später geriet so erfolgreich, dass alle Zweifel – und Zweifler – verstummten. Im Januar 2010 gehörte sie erstmals zu den 50 besten Spielerinnen der Welt.
Vom Verletzungspech geplagt, spielte sie sich dennoch bis auf Platz neun der Weltrangliste vor, schlug die Nummer eins und war zwischenzeitlich die beste Spielerin Deutschlands. Sie schaffte es unter die besten Acht in Melbourne und bei den US Open. Bei Roland Garros in Paris war 2014 sogar erst im Halbfinale Schluss.
Sie gewann sechs WTA-Titel und erspielte mehr als 7,7 Millionen US-Dollar Preisgeld. Zwar blitzt ihr Talent bis heute immer wieder auf, mittlerweile ist sie jedoch auf Rang 80 zurückgefallen. Für den einen ganz großen Triumph hat es nie gereicht.
Dafür arbeitet sie mittlerweile fieberhaft und durchaus erfolgreich an der Karriere nach der Karriere. Und die könnte mindestens so erfolgreich werden wie ihr erster Beruf: Ab Dezember ergänzt die 32-Jährige das Moderatorentrio um Rudi Cerne und Norbert König bei der ZDF-Sportreportage. Parallel zum Tennis. Mindestens die Tennis-Saison 2020 will sie trotzdem spielen, obwohl sie schon vor fünf Jahren an Rücktritt gedacht hatte.
„Sie ist eine tolle Tennis-Spielerin, eine großartige Persönlichkeit mit viel Charme und klarer Meinung“, begründete ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann die Entscheidung: „Dazu hat sie ein besonderes Talent vor der Kamera.“ Vom Teleprompter ablesen, gehört aber offenbar (noch) nicht dazu. „Das lief nicht so“, sagte sie der Süddeutschen Zeitung über das Moderatorencasting: „Irgendwann haben wir gemerkt: Ich mache es freestyle. Das klappt besser.“
Ihr Engagement beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist jedoch nicht das erste Mal, dass sie abseits des Platzes von sich reden macht. Für das Magazin der Süddeutschen Zeitung verfasste Petkovic die 16-teilige Kolumne „30-Love“, die erfrischend ehrlich, verwundbar und intim daherkam. Sie berichtete über die Einsamkeit, die einen auf der Tour ereilt und die selbstzerfressende Wirkung, die Social Media sogar auf Menschen hat, die sechsmal in der Woche trainieren.
Sie schrieb einen liebevollen Abgesang auf Basketball-Superstar Dirk Nowitzki, nachdem er sein Karriereende bekannt gegeben hatte und tourte mit der Indie-Band „Tennis“ durch die USA. Ihr daraus entstandener Essay „Tennis vs. Tennis“, den sie auf Englisch für das „Racquet Magazine“ schrieb, wurde mit einer „bemerkenswerten Erwähnung“ im Sammelband „Best American Sports Writing 2019“ aufgenommen. Der Chefredakteur des Magazins hatte sie für die Auszeichnung vorgeschlagen.
Sie las Jean-Paul Sartre, Johann-Wolfgang von Goethe und Oscar Wilde – in Originalsprache versteht sich. Seit Herbst 2018 arbeitet das Multitalent an einem Roman über ihr Leben. „Ich habe versucht, wichtige Episoden in meinem Leben auszuwählen und darüber zu schreiben, als wäre es fiktiv.“ Das Buch soll Ende nächsten Jahres erscheinen.
2019 erfüllte sich ihr „Lebenstraum“: Sie wurde für ein Programm an der Elite-Universität Harvard in Boston für ein zwei Semester dauerndes Programm ausgewählt, zu dem nur 20 Studenten zugelassen werden.
Fans werden sich über ihre Zweitkarriere freuen. Es gibt auf der Tour keine Zweite wie sie.