Netflix-Film "Freaks" Mit Superkraft an der Fritteuse
In "Freaks" wird eine Imbisskellnerin zur Superheldin. Leider gerinnt der deutsche Netflix-Film zur Kopie von "X-Men" - nur mit schlechteren Effekten.
Elisa von Hof
Für Wendy sieht es nicht gut aus. Unbezahlte Rechnungen stapeln sich auf dem Küchentisch ihres Reihenhauses, im Gartenpool sammelt sich statt Wasser Laub, und ihr Sohn bräuchte mal wieder neue Schuhe. Aber als Wendy - blonde Locken, tiefe Ränder unter den Augen - endlich ihren Mut zusammenkratzt und die Chefin des Imbisses, in dem sie arbeitet, um eine Beförderung bittet, wird sie abgewimmelt. So passiert ihr das immer. Wendy (Cornelia Gröschel) taumelt antriebslos durch die Vorstadttristesse wie durch ihr Leben. Das ändert sich erst, als sie ihre Superkraft entdeckt.
Superkraft? Genau. "Freaks - Du bist eine von uns" wandelt sich vom ARD-Mittwochsdrama zum Superheldinnenfilm, zumindest haben sich das wohl die Macher dieser neuen deutschen Netflix-Produktion erhofft. Die Idee dazu entwickelten Regisseur Felix Binder und Drehbuchautor Marc O. Seng schon vor einigen Jahren. In der Mittagspause beim Schreiben der ZDF-Satire "Lerchenberg" seien sie darauf gekommen, mal einen realistischen Superheldenfilm zu drehen, heißt es im Presseheft. Daran allerdings scheitern sie.
Denn an diesem Film ist wenig realistisch. Nicht die hölzernen Dialoge, die man so ähnlich und besser bereits in diversen Marvel-Filmen gehört hat. Nicht der vorhersehbare Plot. Nicht mal Wendys Imbiss, der eher an ein Edward Hopper-Gemälde denn an eine Frankfurter Wurstbude erinnert, fängt die deutsche Vorstadt ein. Daran kann auch Cornelia Gröschel wenig ändern, die sich wirklich Mühe gibt, der blutleeren Protagonistin Wendy ein bisschen Adrenalin in die Adern zu jagen.
Tatsächlich wacht die erst aus ihrem Alltagskoma auf, als der Obdachlose Marek ( Wotan Wilke Möhring) sie dazu bringt, ihre Pillen ins Klo zu spülen, die ihr eine mysteriöse Psychiaterin ( Nina Kunzendorf) seit Kindheitstagen verschreibt.
Die Pillen, das merkt Wendy schon nach wenigen Stunden, hellten nie ihre Stimmung auf, sondern dämpften ihre übernatürliche Fähigkeit: Wendy ist verdammt stark - so stark, dass sie ein paar Lkw schieben könnte, ohne ins Schwitzen zu geraten. Das stellt sie natürlich vor ein Problem, das viele Mütter kennen: Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Superkraft.
Aber weil "Freaks" ja ein realistischer Superheldenfilm sein soll, sieht man davon nicht sonderlich viel. Klar, Wendy steckt die Faust mal in einen Geldautomaten, um ihre Schulden zu bezahlen. Und auch klar, sie schießt mal einen Fußball in die Wolken, als sie mit ihrem Sohn kickt. Aber um das Schönste am Superheldendasein (die Superkraft!) fühlt sich die Zuschauerin betrogen. Davon bekommt man erst ein bisschen mehr zu sehen, als auch Arbeitskollege Elmar ( Tim Oliver Schultz) ein Talent spürt (ein ziemlicher Zufall übrigens) - und sich nach Jahren des Außenseiterdaseins nun zu Größerem bestimmt fühlt. Wie das ausgehen kann, wissen wir aus so ziemlich jedem anderen Superheldenfilm. Wie schade, dass Felix Binder und Marc O. Seng nichts Neues eingefallen ist.
Schade auch, weil die beiden und das Produzententeam Maren Lüthje und Florian Schneider mit Netflix und dem Kleinen Fernsehspiel vom ZDF zwei ungewöhnliche, in dieser Konstellation einmalige Partner dabei hatten. Die ZDF-Redaktion sei zunächst irritiert gewesen, das soziale Drama der von Armut bedrohten Mutter mit einem Superhelden-Ansatz zu erzählen, heißt es in einem Statement der Produzenten. Das Kleine Fernsehspiel habe dann aber mitgemacht.
"Freaks" hätte also ein mutiger Arthouse-Film werden können, der dem Superhelden-Kino nach zwei Dutzend aufpolierten Marvel-Epen endlich seine Mainstreamigkeit abkratzt. Stattdessen entpuppt sich der Film weder als feinfühliges Drama mit Superheldinnen-Action noch als Blockbuster mit komplexen Figuren. Sondern als deutsche "X-Men"-Kopie mit weniger guten Effekten.
Mit dem deutschen Netflix-Hit "Dark", an dem Seng schrieb, oder mit der populären Krankenhaus-Serie "Club der roten Bänder" haben Binder und Seng gezeigt, wie sehr ihnen serielles Erzählen liegt. Bedauerlich, dass sie bei "Freaks" keine Gelegenheit dazu hatten.
Nicht jeder Stoff muss als Serie ausgewrungen werden, diesem aber hätte mehr Zeit für die Figuren und ihre Konflikte womöglich gutgetan. Vielleicht wäre "Freaks" dann wirklich eine realistische Superheldinnen-Geschichte geworden.