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Der erste Aufschlag nach dem Ende der Ära Castorf

Theater in Berlin

Warum das letzte Jahr das schwerste seines Lebens war und er jetzt das Berliner Ensemble bespielt: Ex-Volksbühnenintendant Frank Castorf.

Elisa von Hof


Berlin. Zuerst will er nicht über sich sprechen und über seine alte Heimat, die Volksbühne, schon gar nicht. Und dann gerät Ex-Intendant Frank Castorf doch in Rage. Eingeladen hatte das Berliner Ensemble, Castorfs neue Spielstätte, am Donnerstag, um über sein erstes Stück an dem Haus zu sprechen: "Les Misérables", das am 1. Dezember seine Premiere feiert. Mit dem Victor-Hugo-Stoff kehrt er nach 25 Jahren Volksbühnen-Intendanz zurück an die Bühne, die er zuletzt 1996 bespielt hat.

Überpünktlich schlurft er zum Gespräch in seinem schwarzen Ledermantel. Er sieht müde aus oder ein bisschen lustlos, vielleicht weil er mit Journalisten sprechen muss, das hat er bisher eben nicht unbedingt gern gemacht. Um diesen Termin kann er sich aber nicht drücken. Denn Intendant Oliver Reese hat ihn an sein Haus geholt und damit nach dem Berliner Theaterstreit über die neue Volksbühnenintendanz einen Coup gelandet.

Wie viele Stunden denn seine erste Inszenierung auf dieser Bühne dauern würde, will man gleich wissen. Also eigentlich, ob man auch hier mit Marathon-Theater rechnen müsse - so wie an der Volksbühne. "Och", zögert Castorf da. Den 1700 Seiten von Hugo müsse er ja auch gerecht werden. Reese habe ihm maximal sechseinhalb Stunden garantiert, sonst schreite die Gewerkschaft ein. Castorf peile in etwa sieben Stunden an. Mal schauen, was dann passiert. Solche Dinge sagt er gern, halb grinsend, halb ernst gemeint.


Die neue Volksbühne bloß ein grauer Bau, die Berliner Politik ein bisschen bigott

Es mache ihm Spaß hier am Berliner Ensemble, murmelt Castorf dann in seine Hände, es sei ja die Bühne, die ihn in seiner Jugend geprägt hat, die Ikone Brecht und sein Spiel. Genauso wie er wolle sich Castorf am Spiel orientieren und nicht an Konzeptionen. Davon höre man ja gerade allerorts, auch von "Performances". "Das ist so belanglos, dass man gleich zum Wein übergehen kann", sagt er da und später: "Das langweilt mich zu Tode", - und meint damit seinen Volksbühnen-Nachfolger Chris Dercon, den Museumsmann, der die Volksbühne interdisziplinär aufstellt und, ja, performativ.

Obwohl er die Entscheidung, Dercon zu berufen, nicht kommentieren will - "die Entscheidungen der Politik interessieren mich nicht" -, tut er genau das: Wenn er heute an seiner alten Bühne vorbeifährt, dann sieht er das, was er am Anfang seiner Intendanz vorgefunden hat: bloß einen grauen Bau. Und dann, immer erzürnter, mit der Hand in der Luft: Wenn man als neuer Intendant an einer Bühne anfange, dann müsse man auch neues Theater machen, nicht bloß Stücke mitbringen, die man bereits woanders gespielt habe, und, ja, überhaupt Theater machen. Damit trifft er zweifach: Dercon, der auf seiner Bühne bisher wenig Theater gezeigt hat, und Reese, der viele Stücke seiner Frankfurter Spielstätte mit an die neue Bühne nach Berlin genommen hat. Und überhaupt, die Berliner Politik, die sei ein bisschen bigott.

Und dann, fast verloren zwischen der Kritik, sagt er etwas über seine letzte Zeit an der Volksbühne: "Das vergangene Jahr ist das schwerste in meinem Leben gewesen." Er habe einen Kampf nach außen führen müssen und dazu noch einen nach innen. Gegen die Hoffnungslosigkeit, die sich in seinem Theater breitgemacht habe. Und das glaubt man ihm - fast mehr als die Inszenierung des verbitterten Mannes.

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