"Meine heile Welt"
Er war Wolfgang Bosbach und Uwe Ochsenknecht: Michael Kessler liebt es, sich zu verkleiden. Nun ist er mit einer neuen Serie zu sehen.
Elisa von Hof
Ein Hund ist ein Herz auf vier Pfoten, das nie von deiner Seite weicht. Entweder man ist ein Rudel oder man ist kein Rudel. Und wenn dein Hund morgens länger im Bad braucht als deine Frau, dann weißt du, der hat etwas, was andere nicht haben: Starqualität. Solche Sätze sagt er gern. Für Mike Schneider ist sein Pudel eben alles. Müsste er sich zwischen seiner Freundin Nadine und dem Hund entscheiden, dann, na, Sie wissen schon. Denn Dancing Queen Belinda Delilah Bohemica, so heißt der Kinderersatz mit vollem Namen, kommt aus einer guten Zucht, hat eine wunderbare Ahnentafel vorzuweisen, sagt Schneider und schaut aus seinen wasserblauen Augen treuherzig drein. Und da, wenn er diese Plattitüden sagt, die selbst auf einem Hundeplatz für Fremdschämen sorgen, erkennt man, wer unter der blonden Perücke steckt und dass das alles nicht ernst gemeint sein kann. Denn Mike Schneider ist eigentlich Michael Kessler.
Für die neue Serie "Meine heile Welt", die am heutigen Donnerstagabend um 23.30 Uhr im Ersten startet, ist der Comedian und Schauspieler abgetaucht in Freizeitwelten. Er ist mal der Hundeliebhaber Schneider, der mit seinem Pudel unbedingt Schönheitspreise gewinnen will, mal ist er fanatischer Hobbygärtner, mal Chorgründer, mal Schlagerfan. Jede der vier Folgen nimmt ein anderes Hobby in den Fokus. Die Serie, eine Mockumentary, also ein Mix aus Doku und Comedy, hat Kessler selbst geschrieben. Weil er auf seinen Filmexpeditionen für den RBB - da hat er ja fast ganz Brandenburg erkundet - so viele Hobbys entdeckt hat. Und vielleicht auch ein bisschen, weil er selber mal so eines hatte. Modelleisenbahnbau. Kessler ist zwölf oder 13 Jahre alt, so ganz weiß er das heute nicht mehr, als er im Keller an seinen Modellbahnen bastelt, auf Tauschbörsen fährt, sich über Lackierungen und Baureihen unterhält.
Die Akribie und Ernsthaftigkeit, mit der man so ein Hobby verfolgen kann, die kennt er also. Vielleicht gerät seine Serie deshalb nie zur platten Persiflage. Denn so albern man Mike Schneider und seine Delilah findet - der Hund hat sogar ein Facebook-Profil und twittert -, Kessler gibt seine Figuren nie komplett der Lächerlichkeit preis. "Es wird immer Zuschauer geben, die sagen: So ist es doch gar nicht", sagt Kessler. Aber viele Zuschauer werden schmunzeln oder lachen, weil sie sich wiedererkennen - zumindest hofft er das.
Er wird sich die Ausstrahlung selber ansehen, auf seinem Sofa in Köln, das Handy in der Hand, Facebook und Twitter geöffnet. Das macht er immer, wenn er im Fernsehen zu sehen ist. "Ich muss das angucken, ich muss mich aushalten", sagt er und meint damit auch die Kritik der Zuschauer, die er auf dem Handy liest. Wenn Kessler sich so sieht, dann entdeckt er selbst Dinge, die ihm nicht so gut gefallen. "Das hätte ich vielleicht doch anders machen sollen", denkt er dann.
In den vergangenen Monaten muss er häufig auf seinem Sofa gesessen, sich selbst mit Herzpochen auf der Mattscheibe verfolgt haben. Denn der 50-Jährige war viel zu sehen: Zuerst als Conchita Wurst, Uwe Ochsenknecht und Wolfgang Bosbach in seiner Interview-Serie "Kessler ist ...", für die er sich seit mehreren Jahren in Prominente verwandelt und sie anschließend mit dem Resultat konfrontiert. Vor diesen Begegnungen, bei denen immer wieder so intime Dinge zur Sprache kommen, dass die Zuschauer ihn mittlerweile für einen Therapeuten halten, zumindest schreiben sie ihm das, hat er immer wieder Lampenfieber. Weil er den Prominenten so nah gegenüber sitzt, weil er an ihrer statt Fragen über deren Leben beantwortet. "Das berührt mich sehr, das geht tief", sagt er.
Und dann sieht man ihn gerade im Auto, wieder mit Prominenten, in der Serie "Sitzheizung gibt's nicht", die auf ZDF neo läuft. Da plaudert er während der Fahrt mit Kollegen wie Bastian Pastewka oder Annette Frier. Kessler fragt, Kessler scherzt, Kessler improvisiert da. Das mag er ja auch an seinen RBB-Expeditionen so gern: Mal nicht in andere Rollen schlüpfen wie sonst immer, mal nur Kessler sein.
Aber, klar, der Parodist ist eigentlich Schauspieler und kein Moderator, wie er in diesen Formaten genannt wird. "Ich möchte nicht nur als Michael Kessler im Fernsehen agieren, sondern habe auch eine große Sehnsucht, mich in Figuren zu verwandeln", sagt er, ganz ernst. Vielleicht hat er sich diese neue Serie deshalb selbst auf den Leib geschrieben. Wegen der Sehnsucht nach Rollen. "Ich möchte mir immer wieder eine Perücke aufsetzen oder einen Bart oder Bauch anbinden und in Figuren schlüpfen", sagt er.
Kessler auf allen Kanälen, das nennt er "Kessler-Festspiele" und grinst. Er habe noch keine Angst davor, dass die Zuschauer ihn bald satt sind. In wenigen Wochen wird er sowieso wieder abtauchen, Neues planen. Da sind wieder Ideen in seinem Kopf. Und wenn das alles ihm zu viel wird, wenn es wieder ausartet in "Kessler-Festspiele", dann geht er in den Garten. "Nach einem Drehtag nach Hause zu kommen und erst einmal Unkraut zupfen, es gibt nichts Besseres für mich", sagt er, und man ahnt: Da steckt also auch ein bisschen Mike Schneider in ihm, seine Delilah ist vielleicht der Garten.
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