Apokalypse, Anarchie und fallende Engel: Der Berliner Maler Norbert Bisky bannt seine Ängste auf die Leinwand. Die zündet er auch mal an
Elisa von Hof
Norbert Bisky fliegt. Über Städte und Palmen, mal über die Copacabana, mal über Friedrichshain. Er streckt die Glieder weit von sich, da oben in der Luft, der Wind flattert durch sein Hemd, und er guckt hinunter auf diese Welt. So etwas träumt der Maler häufig. Das hat für ihn nichts mit Freiheit zu tun, nichts mit "über den Wolken, da muss die Welt doch ...". Alpträume nennt er das. Vielleicht waren die schon immer da, vielleicht drangen die erst in seinen Kopf, als Biskys Realität zum Alptraum wurde.
Vor neun Jahren war der Künstler in Mumbai, als Terroristen einen Anschlag auf ein Hotel verübten, bei dem viele Menschen starben. Klar, dass sich das in sein Bewusstsein brennt. Klar auch, dass er das loswerden muss. "Meine eigenen Ängste, meine Alpträume sind in den Bildern", sagt er. Er malt sich all den Horror aus dem Hirn auf die Leinwand. Das zeigt er nun in einer neuen Ausstellung, "Trilemma", die in der Galerie König in St. Agnes zu sehen ist.
In dem ehemaligen, umgebauten Kirchenschiff, der Boden ist grauer Beton, die Wände roh verputzt, lässt er Farben explodieren. Auf meterhohen Leinwänden, typische Biskys, sieht man strahlende Jünglinge, die er schon immer gern malt. Aber die, nackte Brust und glänzende Haut, sonnen sich nicht mehr im Paradies, die werfen Steine. Die fallen aus dem Himmel, so wie Bisky nachts, die revoltieren, vermummt wie die Protestanten beim G20-Gipfel. Die zünden diese bunte, farbenfrohe Welt an - Palmenzweige ragen in die Bilder, brasilianische Prachtbauten auch -, lassen sie lichterloh brennen.
Das hat er in Brasilien gesehen, wo er gern ist und häufig - "es ist für mich wichtig, meine Zeit nicht nur in meinem Atelier zu verbringen und mich um meine Befindlichkeiten zu kümmern" -, wo er die Schönheit bestaunt, die Städte, Natur und das Licht, dieses helle, und auch die Konflikte, die Jugendlichen, die diese Welt aus Unzufriedenheit angreifen.
Beides, die Gewalt und die Schönheit, hat er mit Öl auf seinen Bildern konserviert. Die Apokalypse ist bunt. "Ich finde den Widerspruch in der Kunst wichtig. Denn die Welt ist komplex, es ist unmöglich das in einem Bild einzufangen. Wenn man es aber versucht, dann muss es auch im Bild Widersprüche geben, zwischen heiteren Farben und harten Themen", sagt er und schaut aus wasserblauen Augen auf seine Revolte.
Vielleicht hat er deshalb beschlossen, dieses Mal noch einen Schritt weiter zu gehen. Die Gewalt nicht bloß auf Leinwand zu bannen, sondern auch hinauszulassen. Also hat er ein Bild, junge Männer in weißen Unterhosen sind darauf zu sehen, einfach angezündet. Bisky steht in seinem Friedrichshainer Atelier - groß ist es, nicht so riesig wie St. Agnes, aber luftig, durch Oberlichter fällt Tageslicht hinein, Stille dröhnt - und hält ein Feuerzeug an sein Werk. Die kleinen Flammen züngeln an Biskys Papier, verschlingen seine Welt, und Biskys Herz rast. "Der Moment ist sehr aufregend, weil man sich fragt, wie weit man das Blatt zerstört, wie schnell das Feuer das Papier frisst", sagt er.
Als kleine, schwarze Brandflecken entstehen, löscht er das Feuer mit einem Lappen. Andere Bilder bespritzt er mit Farbe. Dann klettert er auf eine Leiter, die Leinwand liegt unter ihm, und kleckst Öl auf die jungen Kerle. Auch da kann er nicht planen, wohin die Farbe trifft. Ob große Spritzer Gesichter überdecken oder bloß die Ränder besprenkeln. "Beim Malen brauche ich dieses Adrenalin", sagt er so bedächtig, als wiege er jedes Wort auf der Zunge ab. Wer Bisky kennt, der weiß: So hyperaktiv diese Bilder sind, grell wie Sonnenstrahlen an Herbsttagen, und chaotisch, so unaufgeregt ist ihr Künstler. Die Jacke locker über die Schulter geworfen, schaut er cool auf seine Bilder. Da ist nichts mehr von diesem Adrenalin, das ihn beim "Angriff" auf die Bilder, wie er das nennt, durchströmt.
Vielleicht ist das aber auch ein bisschen Routine. Denn Bisky, Sohn des verstorbenen Linke-Chefs Lothar Bisky, malt seit 25 Jahren. Er galt mal als Shootingstar der deutschen Malerei, stellte in New York aus und in Paris. Ob das Druck ausübt auf ihn? "Ich kann noch immer neu anfangen mit einer leeren Leinwand. Ich fühle mich nicht bedroht durch die Bilder, die ich schon gemalt habe", sagt er. Die bunten Farben, die waren mal Reaktion auf die Welt, in der er groß geworden ist, die DDR. Für ihn eine schwarz-weiße, eine, in der Kunst als Waffe galt. Heute ist das Quatsch, findet er. "Das würde heißen, dass es eine klare Richtung gibt, in die man schießen kann. Die gibt es nicht, unsere Welt ist komplex", sagt er und fügt an: "Das heißt nicht, dass Kunst nur Dekoration sein muss." Nein, die soll die Zeit einfangen. Diese Zeit, seine Zeit, das sagt er häufig, Dinge wie "Bilder sind wie Flaschenpost, die bleiben eine Weile da und transportieren etwas von meiner Zeit". Er will nicht ahistorisch sein, bloß nicht zeitlos. Sein Angriff auf die Bilder, seine fast dadaistische Zufallskunst, geht nicht immer gut. Er hat auch mal den Moment verpasst, die Zerstörung zu stoppen. Das Bild musste dann weg. Tut ihm das nicht weh, diese Arbeit nach Wochen in den Mülleimer zu befördern? "Ja", sagt er und schaut auf den Betonboden. Aber das gehört dazu. Wegwerfen, loslassen, das ist auch Kunst. Und genauso schwierig, wie neue Welten mit dem Pinsel zu schaffen.
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