Wenn die Universität der Künste ihre Türen öffnet. Ein Rundgang
Elisa von Hof
Birkenstocks schlappen geschäftig über den Steinfußboden. Man hat schließlich wenig Zeit, drei Tage bloß, und so viel zu sehen, und dann ist auch noch Mutti gekommen, will endlich die neuen Kunstwerke angucken, und wo ist eigentlich Papa? Wahrscheinlich beim Rostbratwurststand hängengeblieben. Egal, weiter, nur weiter. Man will ja noch zur Lithographie-Werkstatt und zum Siebdruck und dann soll doch auch noch diese irre Performance im ersten Stock stattfinden. Wer die Tage der offenen Tür an der Universität der Künste (UdK) kennt - jeder Student kann seine Arbeiten dort ausstellen -, der weiß, das ist purer Stress. Ebenso wie bei Art Week und Gallery Weekend ist es nicht zu schaffen, sich alles anzusehen. Denn in elf Gebäuden, vom Campus an der Hardenbergstraße über die Fakultät für Bühnenbild an der Bundesallee bis zum Institut für visuelle Kommunikation in Schöneberg, sind die Arbeiten der Studenten zu bestaunen.
Und diese sind so vielfältig wie die Studiengänge der UdK. Videokunst, Modedesign, Keramik, Architektur oder Sound Studies, in jeden Klassenraum kann man an diesem Wochenende einen Blick werfen. Viele tun das gemeinsam mit der Familie. Neffen, Nichten, Großmütter und die bebrillte Kunstlehrerin von früher, die das Talent als Erste erkannt hat, schieben sich über das Gelände zwischen Zoo und Ernst-Reuter-Platz.
Im Kunstrausch zwischen Tutu-Röcken und VideokunstVorbei an wilden Kohlezeichnungen, Street-Art und meterhohen Farbexplosionen, unter weißen Tutus hindurch, die in der Textilwerkstatt an der Decke schweben. Weiter zu Hüten, aus denen Efeu rankt, und Schlangen aus Überraschungseiern, die sich auf dem Boden winden. Wer sich hier keinen Plan macht, der ist verloren.
Kurzer Stopp am Raum von Elisa Jule Braun. Für ihr Ausstellungsstück "Humus Humana" hat sie ein Jahr den Staub ihrer Berliner Wohnung gesammelt und in einen Glasrahmen gefüllt. Wollmäuse schmusen da miteinander, Blätter, Haare und Pflaster haben ihren Weg in das Kunstwerk gefunden, ein Kassenzettel auch und jede Menge Dreck. Weil man den ja eigentlich nicht zu sehen bekommt, sondern bloß der Staubsauger, soll die Arbeit besonders intim sein. Kaufen kann man sie auch, für 1865 Euro. Der Preis orientiert sich am Quadratmeterpreis ihrer Wohnung.
Man schiebt sich weiter, vorbei an Aktfotografien und verschlissenen Sofas, nie ganz sicher, wo das eine Werk anfängt und das andere aufhört. "Papa", sagt ein hüfthoher Blondschopf, den Gebäudeplan eifrig in der Hand windend, "das hier, das ist aber keine Kunst." Er zeigt auf das Video von Lina Natterer, das in Endlosschleife im Foyer läuft. Es ist Natterers Abschlussarbeit, immer mehr Menschen versammeln sich vor der Leinwand, auf der sie minutenlang mit dem Reißverschluss eines Kleides kämpft. Wer jemals allein ein Kleid am Rücken verschließen wollte, der fühlt hier mit. Das ist die pure Verzweiflung. "Das schafft sie nicht ohne Hilfe", kommentiert jemand, spöttisches Lachen folgt. Und die Nächste: "Um das anzusehen, braucht man echt Geduld. Die hab ich nicht." Und während der Reißverschluss endgültig kapituliert, erklärt Papa dem Filius mit samtener Stimme: "Doch, Videos sind auch Kunst." Kurze Zeit und viele Werke später ist man sich da aber nicht mehr so sicher und fragt sich: Ist das Kunst oder kann das weg? Müllsäcke, leere Flaschen, ein Ficus mit Discokugel und da, dieser Holzstuhl mit der beschmierten Lehne, "Fck AFD" steht da drauf, sind das Überreste der Party von letzter Nacht oder artifizielles Statement der Generation Y? Womöglich gar eine Abschlussarbeit, die den Besucher in genau diese Zwickmühle bringen soll? Man weiß es nicht, meint aber, Joseph Beuys über seiner Fettecke lachen zu hören.
Es treibt einen weiter, vorbei an den Mini-Lofts der Architekturklassen, den expressionistischen Gemälden der koreanischen Studentin Eunju Pi, weiter zu Adrian Gutzeling, Student der Multimediakunst, der gerade schwarze Tusche in Wasser auflöst. Das ist Teil seiner Performance, die sich mit dem Loslassen beschäftigt. Besucher sollen mit der Tusche Botschaften auf Papier hinterlassen und sie dann, des Loslassen willens, in einen Wachsbrunnen mit schwarzem Wasser sinken lassen. Dort verschwinden die Botschaften dann, als wären sie nie geschrieben worden.
Gutzeling hat sich auch selbst darin geübt: Er hat das Baumhaus seiner Kindheit verbrannt und den Ruß zu Tusche verarbeitet. "Ich hab quasi die Vergangenheit recycelt", sagt er und grinst. Diese Tage der offenen Tür, wie ein Gallery Weekend mit Familienfest, die sind für ihn auch Chance, Kuratoren und Sammler auf sich aufmerksam zu machen. Den Sprung von der Uni ins Freiberuflerdasein zu schaffen.
Szenische Lesungen, Kostümproben, Theater- und Filmaufführungen, Künstlergespräche, das Wochenende treibt den Besucher weiter und weiter. Wegen akuter visueller Erschöpfung wird das Bierzelt angesteuert. Im Innenhof - Eisstand reiht sich an Kuchentafel, Bierausschank an Bratwurstgrill - ist es am vollsten. Man diskutiert über das Gesehene, und über Kunst. Und denkt, wie Oma da in ihren Schokomuffin beißt, unter diesem Bäumen, mit diesen Sonnenstrahlen, auch das ist Kunst.
Universität der Künste, Hardenbergstraße 33 und andere. 11-20 Uhr. Bis zum heutigen Sonntag. Programm und Lageplan unter www.udk-berlin.de
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