Sommerserie
Letzter Teil unserer Sommerserie: Bad Saarow am Scharmützelsee - Urlaub mit Wellness, Floating-Pool und handgeröstetem Kaffee.
Elisa von Hof
Sonnenstrahlen kriechen langsam über das Kopfkissen, Wasser glitzert durch die Vorhänge hindurch. Es ist fünf Uhr dreißig. Und da ist nichts. Kein Geräusch, kein Straßenlärm, nicht mal die Nachbarin, die sonst so früh durchs Treppenhaus poltert. Nur manchmal, da raschelt das Schilf, vom Wind leise aneinander gerieben. Nein, das ist nicht mehr Berlin. Es muss ganz weit weg sein. Gefühlt jedenfalls. Eigentlich ist Bad Saarow ja nur 75 Kilometer und eine gute Autostunde weg von Mitte, eigentlich ist es also nicht weiter als von Pankow nach Steglitz in der Rush Hour. Aber wenn man die Morgensonne dabei beobachtet, wie sie sich so mühevoll aus dem Scharmützelsee heraushebt, weiß man gleich: Das ist Urlaub. Und dreht sich nochmal um.
Nach Bad Saarow, diesem kleinen Kurort am nördlichsten Zipfel des Scharmützelsees, ist man ja - und das kann man morgens um halb sechs schon mal vergessen - am Vortag angereist. Man hat Berlin südöstlich verlassen, ist an moosbewachsenen Jägerzäunen und Hortensienbüschen vorbei gefahren, an Balkonen voller roter Geranien und immer wieder an Wald. Bis einen der Schienenersatzverkehrbus, normalerweise fährt hier nämlich der Regionalexpress, vor dem denkmalgeschützten Bahnhofsgebäude in Bad Saarow ausspuckt. Ruhig ist es, etwas pittoresk auch. Da ist sie gleich, diese wattige Idylle, die die Welt auf zwei Metern Abstand hält.
Zehn stramme Gehminuten entfernt breitet sich der Scharmützelsee aus, dieses 12 Quadratkilometer große Gewässer, von dem nicht nur Theodor Fontane als "Märkisches Meer" schwärmte. Man kann die Ludwig-Lesser-Promenade vom Kurpark aus an seinem Ufer entlang schlendern. Vorbei an mannshohem Schilf, das sich im Wind wiegt, an Trauerweiden, deren Zweige das Wasser streicheln. Außer den eigenen schmatzenden Sohlen hört man nur Enten, die schnatternd über den gepflasterten Weg laufen. Vor zwei Jahren wurde der Scharmützelsee in einer Umfrage zum beliebtesten See Deutschlands erklärt. Auch, weil man hier wunderbar baden kann - nur nicht heute, da ist Gänsehaut-Wetter. Wobei, das Seewasser ist lauwarm, sogar wärmer als die Luft: 22,1 Grad. Dann doch lieber ins beheizte Schwimmbecken des Hotels.
Das "Hotel Esplanade Resort und Spa" liegt hinter dem Yachthafen, 30 Meter vom See entfernt, und spreizt seine fünf Korridore wie Tentakel hinter sich ab. Rechts und links wird der Neubau von 2003 von den zwei denkmalgeschützten Hotelrestaurants flankiert, der "Pechhütte" und der "Dependance". Mit ihren dunklen Holzdielen, Fachwerkgiebeln und Backsteinwänden wirken sie herrlich aus der Zeit gefallen. Sie stehen hier bereits seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts und haben miterlebt, wie die 1920er Jahre Bad Saarow in eine Sommerresidenz der High Society wandelten.
In das Monaco des Scharmützelsees sozusagen. Hier erholte sich der russische Dichter Maxim Gorki in der Seeluft und Max Schmeling heiratete seine Anny Ondra. Beiden begegnet man im 5000 Seelen Ort immer wieder. Gorki zu Ehren wird gerade ein russisches Holzhaus errichtet, Schmeling, der immerhin acht Jahre hier lebte, ein Pfad gewidmet. Auf dem fünf Kilometer langen Rundweg kommt man an der urigen Dorfkirche vorbei, wo Ondra und Schmeling sich 1933 das Jawort gaben, und auch an seinem Wohnhaus, das mittlerweile in Privatbesitz ist.
Wenn man seine Wanderschuhe nicht vergessen hat - die braucht man wegen des sumpfigen Grunds -, durchquert man Wald und Moor und wenn man möchte, wandert man einfach weiter, die 28 Kilometer um den Scharmützelsee herum zum Beispiel. Weil das doch ein guter Tagesmarsch ist, hat sich Stephanie Barthel (53) für ein Rad entschieden. "So schön die Entspannung in diesem Ort ist, ich brauche einfach Fitness im Urlaub", sagt sie. Die Ostsee ist ihr zu weit, der Harz zu dunkel, deswegen ist sie aus Sachsen-Anhalt zum zweiten Mal nach Bad Saarow gekommen. "Das ist hier wie eine Reise zu mir selbst", sagt sie.
Mit dem Leihfahrrad ist sie nun in guten drei Stunden vom Hotel Esplanade aus um den See geradelt und auf einen Hugo ins Restaurant "Café Dorsch" eingekehrt. Hier, eine halbe Fahrrad- und ganze Gehstunde von Bad Saarow entfernt, kann man von drei Terrassen aus aufs Wasser schauen und dabei Zander aus dem Scharmützelsee essen. Was Fontane da gemeint hat, mit seinen Schwärmereien für die Mark, das kann man spätestens jetzt ganz gut verstehen.
Zurück zum Hotel Esplanade. Das ist seit einem dreiviertel Jahr ein sogenanntes "Adults only"-Hotel. Das heißt: Kinder unter 16 Jahren können nicht mit einchecken. "Das hat nichts damit zu tun, dass wir keine Kinder mögen", sagt Hoteldirektor Tom Cudok, "aber Action und Ruhe, das beißt sich im Urlaub irgendwann, also haben wir uns entschieden." Für die Ruhe. Ein Jahr hat es gedauert, bis die Umstellung des Hauses beschlossen ist. Stammgäste werden befragt, auch die 145 Mitarbeiter. Als man dann mit dem neuen Konzept wirbt, kommt das nicht überall gut an. Es habe negative Kommentare gegeben, der ein oder andere Familienvater fühlte sich vor den Kopf gestoßen, aber letztendlich habe das positive Feedback überwogen.
"Das Konzept geht auf", sagt Cudok. Das Hotel ist ausgelastet. Trotz Schulferien sind 260 Betten belegt, eben nicht von Familien, aber von Tagungsgästen, Wellnesssuchenden oder Freundinnen wie Angelika Lorenz und Marianne Käthner aus Berlin. Die beiden sind zum zweiten Mal hier, zum verlängerten Wochenende und Spa-Urlaub, und kommen nicht raus aus dem Schwärmen. Diese Ruhe, der See, die freundlichen Menschen. "Wir werden wahnsinnig entspannt nach Berlin zurück fahren."
Und weil draußen dunkelgraue Wolken über den Himmel jagen, schlüpft man in Bademantel und Frotteeschlappen, um zum 3500 Quadratmeter großen Spa zu flanieren. Man schwitzt auf den Holzplanken einer der sieben Saunen im Rosmarin-Orange Aufguss, erfrischt sich unter der Eisdusche und schwimmt ein paar Alibi-Bahnen im Fitnessbecken, um sich anschließend ganz schnell im Ruheraum auf einer Liege auszustrecken. Schließlich ist man hier zum Entspannen, nicht zum Sporteln.
Das könnte man natürlich auch. Unterwasserfahrrad fahren beispielsweise, beim Schwitzyoga in der Sauna mitmachen oder im Fitnessraum trainieren. Man kann aber auch einfach im "Aqua Relax"-Pool floaten. Was sich ein bisschen nach Star Trek anhört, geht eigentlich so: Man schwimmt auf der Oberfläche des 38 Grad warmen Wassers. Das ist mit salzhaltiger Sole gemischt, was die Durchblutung fördern und einen nicht untergehen lassen soll - jedenfalls wenn man die Balance hält, was anfangs etwas schwer fällt. Irgendwann aber, da lässt man sich wirklich treiben.
Wer Kinder und Wellness am Scharmützelsee doch miteinander vereinbaren will, kann in der Saarowtherme baden. So wie Sebastian Eigenberger (36) mit seiner Familie. Seit 30 Jahren kommt er immer wieder aus Chemnitz an den Scharmützelsee - früher mit seinen Eltern, jetzt mit den vier Kindern. In Funktionsjacken eingehüllt schlurfen alle mit nassen Haaren und roten Wangen aus dem Solebad. Toll sei das Baden gewesen, erklären sie erschöpft, aber die Rutsche habe gefehlt.
Zeit für einen Koffeinkick. Den bekommt man in der Bad Saarower Kaffeerösterei. Mitten im Ortskern, in der vom Blätterdach übertunnelten Seestraße, riecht man den würzigen Kaffeeduft, bevor man die Rösterei hinter den orangenen Sonnenschirmen erspäht. Heike Straube und ihre Tochter Katja betreiben die Kaffeestube seit neun Jahren. Weil sich ein Freund über die "Kaffeeplörre" um den See herum beschwerte, beschließt Heike Straube (54) damals, etwas daran zu ändern. Sie geht in die Lehre bei einem Kaffeeröster in Hamburg, kauft sich eine Kaffeeröstmaschine und eröffnet ihr Café. "Die ersten vier Jahre waren hart. Da hab ich mir jeden Tag gesagt: Durchhalten, Heike. Die Leute waren eben skeptisch gegenüber selbst geröstetem Kaffee", sagt sie und stemmt die Fäuste in die Hüfte.
Das hat sich mittlerweile geändert. Touristen und Bad Saarower kommen gleichermaßen, um eine der 22 Sorten zu probieren. Geröstet werden alle mitten im Laden zwischen Jutesäcken voller Bohnen und Kaffeemühlen. Heike Straube steht selbst am Kaffeeautomaten, röstet heute ihre Lieblingssorte: handgepflückte Guatemala-Bohnen von der Kaffeeplantage Los Volcanos. Würzig schmecken die, ein bisschen schokoladig auch, aber mild im Magen und nicht sauer. Dazu gibt es selbstgemachte Wallnusstorte oder Käsekuchen. Wem die Laune eher nach Herzhaftem steht, der muss sich nur über die Straße schleppen.
Schräg gegenüber hat der Berliner Koch Andreas Staack (54) vor zwei Jahren das "AS am See" eröffnet, ein kleines Bistro mit deckenhohen Weinregalen. Regionale Küche gibt es hier, Forelle aus dem See und Ochsenbäckchen mit Pfifferlingen. Nach seinem Lieblingswein gefragt, streckt der Koch seinen Kopf aus der Küchentür: "Momentan ist es der Silvaner von alten Reben." Den gibt´s, klar, auch bei ihm zu trinken und wenn man dann die nötige Bettschwere erreicht hat, tupft man sich im Hotelzimmer noch ein Salzpeeling aus der hauseigenen Seifenmanufaktur auf, reibt sich die Seeluft von der Haut und schläft ein, weit weg von Berlin.
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