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Der fliegende Vorlesungssaal

Wie wird die Mü31 fliegen? Etwa 150 Studenten haben das Segelflugzeug gebaut. (Fotos: Hartmut Pöstges)

Studenten der Technischen Universität haben in den vergangenen elf Jahren den Segelflieger Mü31 entworfen und selbst gebaut. Nun hat die Maschine im Süden von München zum ersten Start abgehoben


Der fliegende Vorlesungssaal


Zu fünft schieben sie das Segelflugzeug zum Startpunkt. Dann rollt das Motorflugzeug heran. Damit soll die Mü31 gleich auf 3000 Meter Höhe geschleppt werden. Niemand kann genau sagen, wie sich der Segelflieger verhalten wird, denn die Mü31 hat den Boden noch nie verlassen. Etwa 150 Studenten haben das Flugzeug gebaut, im Lauf von elf Jahren, Semester für Semester, jetzt steht der Jungfernflug an. Wie wird die Mü31 fliegen? Und wird sie sicher wieder landen?

Etwa 300 Studenten und Flugbegeisterte haben sich am Freitagmittag auf dem Königsdorfer Flugplatz versammelt. Unter dem Motto "Konstruieren, Bauen und Fliegen" erarbeiten Studenten der Technischen Universität in Garching (TU) in der Akademischen Fliegergruppe - kurz Akaflieg - seit 1924 Prototypen von Motor- und Segelflugzeugen und setzen damit regelmäßig Maßstäbe für den Flugzeugbau.

Die ersten Ideen zur Mü31 liegen bereits 20 Jahre zurück. 2006 begann die Gruppe dann intensiv mit der Konzeptionierung und Umsetzung des aerodynamischen Segelflugzeugs. Auf Basis des Serienmodells eines deutschen Segelflugherstellers entstanden erste Pläne und digitale Modelle. Dabei entwickelten die Studenten den Flügel-Rumpf-Übergang neu. Wenn alle Berechnungen stimmen, soll das die Flugleistung um fünf Prozent steigern. "Das ist ein beachtlicher Fortschritt", sagt Johannes Achleitner, ehemaliger Projektleiter und Testpilot des Jungfernflugs.


Auch Fabian Sturm leitete die Akaflieg. In den Jahren 2015 und 2016 betreute er vor allem den Ausbau des Cockpits. Jetzt, kurz vor dem Start, hofft er auf keine großen Überraschungen. "Es ist ein wunderschönes Flugzeug. Außer der Lackierung wurde alles in München von uns Studenten selbst gemacht. Jetzt hoffe ich einfach, dass es gut fliegt", sagt Sturm. "Und wenn wir die Flugleistung verbessern konnten, bin ich superhappy."

Mittlerweile sitzt Johannes Achleitner in der kleinen Flugkabine. Ein letzter prüfender Griff an den Hebeln, die Kapsel wird geschlossen. Der erfahrene Segelflieger und Fluglehrer will in 3000 Metern Höhe ein straffes Testprogramm abspulen. Geradeausfliegen, leichte Kurven, sogar eine Art Probelandung in der Luft, um festzustellen, ob das Fahrwerk problemlos ausfährt. Noch einmal posiert die Akaflieg-Gruppe für ein Foto vor dem startbereiten Flugzeug, dann verlassen alle die Startbahn und der Schlepper setzt sich in Bewegung. In der nächsten Stunde wird sich zeigen, ob sich die neun Jahre Bauzeit und die etwa 4600 Arbeitsstunden im Jahr gelohnt haben.

Zuerst hebt die Mü31 ab. Das deutlich schwerere Schleppflugzeug braucht eine höhere Geschwindigkeit, um den Boden zu verlassen. Noch ein paar Meter, dann sind beide in der Luft und gewinnen schnell an Höhe. Die Mü31 fliegt! Der Applaus der Zuschauer wirkt fast verhalten. Bei vielen ist die Anspannung noch nicht abgefallen. In der Entwicklungs- und Bauzeit haben sich insgesamt etwa 150 luftfahrtbegeisterte Studenten an der Mü31 beteiligt. Unterstützt wurden sie dabei von vielen ehemaligen Aka-Mitgliedern, der TU München und zahlreichen Investoren. Generell hätten aber die Jungen das Sagen, sagt Aka-Sprecherin Tessa Weigelt.


Bei der Fliegergruppe in München kann man völlig ohne Vorerfahrung mitmachen und bekommt die Chance, eine Flugausbildung zu machen. "Wir sind eine sehr bunt gemischte Gruppe aus Luft- und Raumfahrttechnik-Studenten, Physikern, Informatikern oder Maschinenbauern", sagt Weigelt. "Wir haben die einmalige Möglichkeit, unsere Ideen wirklich auszuprobieren, ohne wirtschaftliche Rentabilität berücksichtigen zu müssen." Genau diese Voraussetzungen machten das Ergebnis interessant für etablierte Flugzeugbauer.

Kurz nach dem Start meldet sich Johannes Achleitner mit einem ersten Funkspruch aus dem Cockpit. Das Klarruder sei in Ordnung, übermittelt ein Sprecher der Akaflieg der gespannten Menschenmenge übers Mikrofon. "Das ist gut", fügt er trocken hinzu. "Dann haben wir keinen Gabelschlüssel vergessen..." Das Flugzeug befindet sich zu diesem Zeitpunkt auf einer Höhe von 800 Metern. Die Mü31 zeichnet sich mit ihrer Spannweite von 15 Metern noch deutlich vor den weißen Wolken am Himmel über Königsdorf ab.


Die maximale Flughöhe von 3000 Metern wurde nicht nur aus Testzwecken gewählt. Auch die Sicherheit spielt eine Rolle. Geht etwas schief, hat der Pilot in dieser Höhe genug Zeit aus dem Cockpit zu steigen und den Fallschirm zu ziehen. Außerdem gibt es eine Notausstiegshilfe, mit der der Pilot in Sekundenschnelle aus der Kapsel befördert wird.

Am Freitag war das alles nicht nötig. Nach einer knappen Stunde landet die Mü31 sicher. Und auch der zweite Flug an diesem Tag verläuft reibungslos. "Ich bin begeistert", sagt Johannes Achleitner hinterher. Der Ingenieur in ihm hätte zwar ein paar Kleinigkeiten zu beanstanden, aber die ließen sich leicht ausbessern. "Und dann kann die Mü31 auf jeden Fall mit den Serienflugzeugen mithalten."

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