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Dufte!

Foto: Elena Winterhalter

Wir sind der Frage auf den Grund gegangen, ob man Heimat riechen kann.

Im Zugabteil steht die Luft. Eine Mischung aus Schweiß, penetrantem Rasierwasser und dem Döner, den der Typ gegenüber genüsslich verspeist hat. Eine freundlich-monotone Stimme verkündet die Erlösung: „In Kürze erreichen wir Augsburg-Hauptbahnhof. Wir verabschieden uns von allen Fahrgästen, die in Augsburg-Hauptbahnhof aussteigen."

Mit Sack und Pack raus aus dem Zug. Kurzes Gedränge im Gang, dann öffnen sich zischend die Tür. Einatmen. So tief, dass sich der Brustkorb unter der dicken Winterjacke ausdehnt. Zu Hause. Es riecht nach...

Ja, nach was eigentlich? Die Luft heißt uns willkommen, immer dann, wenn wir von einer Reise zurück in die Heimat kommen. Jede Stadt, jede Gegend, jedes Zuhause hat einen eigenen Geruch. Aber kann man Heimat wirklich riechen?

Claus-Peter Hutter, Leiter der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg, ist fest davon überzeugt: „Für mich riecht meine Heimat im Neckartal im Herzen Württembergs im Frühjahr nach dem Duft von Abertausenden Blüten der Apfel-, Birnen- und Kirschbäume in den Obstwiesen, im Sommer nach dem Duftpotpourri frisch gemähter Wiesen und abgeernteter Getreidefelder." Laut Hutter, hat jeder - je nachdem, wo er aufgewachsen ist - seinen eigenen Heimat-Duftatlas abgespeichert.

Um die Bedeutung der Düfte für die Entwicklung des Menschen zu verstehen muss man weit zurückblicken. Vor Urzeiten war der Geruchsinn für die Steinzeitmenschen überlebenswichtig. „Düfte lenkten schon damals diese Menschen und signalisierten ihnen, ob das Fleisch eines vergammelten Säbelzahntigers hinter dem nächsten Felsen noch genießbar war, oder ob eine Person des anderen Geschlechts zur Paarung geeignet war", erklärt Hutter.

Angesiedelt ist der Duftsinn im limbischen System, einer Funktionseinheit unseres Gehirns, in welcher Emotionen und Triebverhalten verarbeitet werden. Gemeinsam mit Sauerstoffaromen gelangen Duftmoleküle bei jedem Atemzug direkt über die Nase in das limbische System.

Erstaunliche 10000 Düfte und Duftkombinationen können wir im Gedächtnis speichern. „Auch wenn wir an manche Ereignisse längst nicht mehr denken, werden sie wieder in Erinnerung gerufen, wenn sie von unserem ureigenen Duftcode plötzlich abgerufen werden", beschreibt Hutter, Mitautor des Buches „Der Duftcode".

„Düfte umgehen quasi unser Großhirn, in dem das bewusste Denken verankert ist. Deshalb spielt das Riechen des limbischen Systems im großen Theater unseres Unterbewussteins die Hauptrolle. Über Gerüche werden auch Gefühle aktiviert, die wir uns selbst oft nicht erklären können und gegen die wir uns nicht wehren können. Das geht letztlich bis zur Partnerwahl."

Eine Verbindung aus Emotionen und Geruch

Hutter erläutert weiter, dass Riechbotschaften, die in uns eindringen, meistens mit großen Gefühlen zu tun haben. Gemeint sind Liebe, Hass, Sex oder Ekel. Gleiches gilt für den Heimat-Geruch. „Wir sind dem Urmenschen in uns unbewusst und gleichermaßen hilflos ausgeliefert", so Hutter.

In unserem Sprachgebrauch finden sich Spuren dieser Empfindungen. „Da liegt etwas in der Luft" oder „Ich kann dich gut riechen" umschreiben Aggression, Anspannung und Sympathie.

Gerüche werden von uns unbewusst wahrgenommen und im limbischen System verarbeitet. Wir sind ständig einer Flut an Molekülcocktails ausgesetzt, die bei jedem Atemzug in den Nasenlöchern auf unsere Riechzellen treffen. Durch die so ausgelöste biochemische Reaktion wird ein elektrischer Impuls über die Fortsätze der Zellen in die Stirnhöhle weitergeleitet.

Dort übernimmt ein Geflecht aus Nerven die Reizübertragung in das sogenannte Urgehirn. „Schon ein Molekül eines bestimmten Duftes ist ausreichend, damit ein Impuls an das Hirn weitergeleitet wird, auch wenn wir dann noch nichts bewusst riechen", erläutert Hutter. Diese Abläufe sind bei jedem Menschen gleich. Allerdings gibt es große Unterschiede in der Wahrnehmung von Düften.

Erinnerungen aus der Kindheit

Unser Gehirn sammelt und speichert von Anfang an Erfahrungen und Eindrücke. Entscheidend für unsere spätere Wahrnehmung ist in besonderem Maße die frühkindliche Prägung. Auch unterschiedliche Kulturen tragen ihren Teil bei. „Viel hängt von der jeweiligen Gegend ab, in der man positive Erlebnisse hatte. So erinnert mich der Duft von Heu, frischer Milch und Kuhstall unweigerlich an das Allgäu, wohin meine Eltern mit mir gefahren sind, als ich noch jung war. Das hat für mich etwas Heimatliches", erzählt Hutter.

Welchen Anteil der Geruch an unserem Heimatempfinden hat, hängt, laut Hutter, stark vom Erlebnishorizont des Einzelnen ab. So prägen Menschen, die sehr oft den Wohnort gewechselt haben, sicher kein derart starkes duftcodiertes Heimatempfinden aus, wie jemand, der kaum Ortsveränderungen vollzogen hat. „Die größte Duftprägung in Sachen Heimat erfolgt in unserer Kindheit. Jeder Mensch entwickelt seine eigene Geruchsprägung. Und jede Geruchsheimat hat viele duftende Gesichter."

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