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Die heiklen Kontakte des Hans-Georg Maaßen

Von Elena Boroda, Theresa Martus und Christian Unger

Berlin. Es ist eine Seite, auf der es heikel wird für Hans-Georg Maaßen. Seite 169. Er habe den Kontakt zur AfD gesucht, heißt es dort. Er habe sich mit der damaligen Bundessprecherin Frauke Petry getroffen, ihr geraten, Radikale wie Björn Höcke aus der AfD auszuschließen. Maaßen habe Petry gesagt, was die Partei tun müsse, um einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entgehen. So steht es in dem Buch „Inside AfD". Das alles wäre eine Randnotiz - wäre Hans-Georg Maaßen nicht der Präsident ebendieses Bundesamtes für Verfassungsschutz. Er soll die Demokratie vor Feinden schützen. Hat er hier eine Partei vor dem eigenen Amt geschützt?

Die Autorin des Buches, die das behauptet, ist Franziska Schreiber, damalige Vorsitzende der AfD-Jugendorganisation, die schnell Karriere machte ­und am Ende doch brach mit der Partei. Ihr Buch macht jetzt Schlagzeilen, vor allem wegen Seite 169. Für viele ist die AfD extremistisch. Der Verfassungsschutz beobachtet die Partei bisher allerdings nicht, sieht nicht ausreichend Anhaltspunkte, anders als bei der Neonazi-Partei NPD oder der „Identitären Bewegung".

Schon 2016 monierten manche Oppositionspolitiker gemeinsame Treffen zwischen Maaßen und Petry. Nach der Sommerpause werden sich nun das Kontrollgremium des Bundestages und der Innenausschuss mit der Causa Maaßen und Petry befassen. Wie gefährlich wird die Debatte für den Amtschef?

Maaßen hatte den Kontaktzu Petry gesucht

Gespräche zwischen den Präsidenten der Sicherheitsbehörden und Abgeordneten sind nichts Ungewöhnliches. 196 Mal hat sich Maaßen seit Amtsantritt 2012 laut Innenministerium mit Parlamentariern getroffen - von Union, SPD, Grünen, FDP, Linkspartei. Und AfD. Auch die Bundespolizei und das BKA bestätigen auf Nachfrage dieser Redaktion „regelmäßige Gespräche" der Amtsleitung mit Abgeordneten. Beim BKA erfolge dies nicht auf eigene Initiative. Maaßen hatte den Kontakt zu Petry gesucht.

Die Debatte um den Verfassungsschutzchef und die AfD ist anders, sie hat mehr Gewicht. Sie ist brisant. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen sollte aus Sicht mehrerer Oppositioneller und auch Experten die Partei der Gaulands, Weidels und Höckes längst im Visier des Inlandsgeheimdienstes stehen. Der andere Grund ist Maaßen selbst. Er ist das Gesicht einer Behörde, die wie keine andere seit dem Versagen in der rechtsterroristischen NSU-Mordserie im Fokus der Kritik steht. Keine Behörde wurde so stark durchleuchtet von Untersuchungsausschüssen. Deshalb wurden auch in Maaßens Amtszeit, die im Sommer 2012 begann, die Schlagzeilen nicht weniger. Pannen, Versagen, Chaos - das war das prägende Bild des Amtes nach Bekanntwerden der NSU-Morde. Einmal soll Maaßen gesagt haben, er sei es leid, als Chef einer „Deppenbehörde" dargestellt zu werden. Es ist ein typischer Maaßen-Satz. Ziemlich auf den Punkt, aber auch ganz schön gereizt.

Wer mit Politikern von Regierung und Opposition, mit Fachleuten im Innenministerium, mit seinem Sprecher und Mitarbeitern anderer Sicherheitsbehörden spricht, hört Lob und Tadel über Maaßen. Ole Schröder, fast zehn Jahre Staatssekretär für die CDU im Innen­ministerium, nennt ihn einen „zu 100 Prozent loyalen Beamten", der seine ­Behörde „unideologisch" führe. Bei fast allen Gesprächspartnern gilt Maaßen als „klug", als „brillanter Jurist" und „pfiffiger Stratege". Aber auch als jemand, der „kein Blatt vor den Mund nimmt". Das ist das Lob.

Doch der Geheimdienstchef zeigt auch andere Seiten. Manchen gilt er als „schnell emotionalisiert", als „eitel". Klartext wendet sich manchmal in ­plumpe Provokation. Den NSA-Whistle­blower Edward Snowden, der mit seinen Enthüllungen das massenhafte Abhören durch US-Geheimdienste aufdeckte, nannte Maaßen einen „Agenten" Russlands. Im Fall des Terrorverdächtigen Murat Kurnaz verfasste Maaßen ein umstrittenes Gutachten. Der Türke war vom US-Geheimdienst aus dem Kampfgebiet erst nach Pakistan, dann ins Gefangenenlager Guantánamo verschleppt worden. Terrorkampf konnte Kurnaz nicht bewiesen werden. 2002 wollten die Amerikaner ihn nach Deutschland ausliefern. Maaßen, damals Referatsleiter für Ausländerrecht im Innenministerium, argumentierte, dass das Bleiberecht für Kurnaz erloschen sei. Er habe sich länger als sechs Monate nicht in Deutschland aufgehalten. Die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin nannte Maaßens Gutachten „unmenschlich". Kurnaz sei ja nie freiwillig im US-Lager gewesen.

Manche sagen heute, das Gutachten von damals passe zu Maaßens „trockener", manchmal „kühler" Analyse. Andere sagen, dass es Fälle wie Snowden und Kurnaz sind, die bis heute nachwirken. Fälle, die immer mitschwingen, wenn ihm nun Kritiker eine Nähe zur Hardliner-Partei AfD nachsagen. Der Beamte Maaßen hat Gegner in der Politik. Mehr als andere Amtsleiter.

Wer die aktuelle Debatte um Maaßens Gespräch mit der AfD besser verstehen will, muss zurückgehen in das Jahr 2015. Als täglich Tausende Flüchtlinge Deutschland erreichten, begann eine Polarisierung, die bis heute anhält. Die Politik von Kanzlerin Merkel hat Fans und Feinde. Feinde vor allem in der AfD, aber auch in den Reihen der Union. Und in den Sicherheitsbehörden. Bundespolizei-Chef Dieter Romann kritisierte die Asylpolitik hinter den Kulissen scharf. Und auch Maaßen äußerte Kritik, warnte vor Kontrollverlust. Vor Terrorgefahr. Für Behördenchefs war die Flüchtlingskrise ein Schockmoment - auf den Ausnahmezustand war Deutschland nicht vorbereitet. Die Notlage wog schwerer als die Vorschriften. Menschen wie Maaßen oder Romann sehen sich heute im Recht - und fühlten sich zu wenig gehört. Ob das eine Nähe Maaßens zur AfD auslöste, bleibt Spekulation.

Hans-Georg Maaßen trägt öffentlich Anzug und Krawatte, Nickelbrille und Igel-Haarschnitt. Er spricht meist ruhig, manchmal legt er ein jungenhaftes Lächeln auf. Er wurde 1962 in Mönchengladbach geboren, reiste nach dem Abitur 15.000 Kilometer mit dem Zug von Norwegen bis Griechenland, später nach Australien und Japan. Dort lernte er seine Frau kennen.

In Köln und Bonn studierte Maaßen Jura. Seine Promotion schrieb er über die „Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht". Schnell begann seine Karriere im Innenministerium - auch dort arbeitete er vor allem zum Ausländerrecht, später leitete er den Stab Terrorabwehr. Maaßen sei jemand, sagt ein Innenpolitiker, der sein Amt immer im Blick habe. Aber auch seine eigene Karriere. Als Seehofer Innenminister wurde, war Maaßen als Staatssekretär an der Seite des CSU-Politikers im Gespräch. Seehofer entschied sich für andere.

Im Sommer 2012 galt er der Merkel-Regierung als der richtige Mann für einen Neustart beim Verfassungsschutz nach dem NSU-Desaster. Er sollte der Krisen-Behörde ein besseres Image verschaffen, sie reformieren.

Sechs Jahre danach hat Maaßen manches auf der Habenseite: Das Bundesamt hat neue Abteilungen aufgebaut. Die Dienstvorschriften für V-Leute wurden verbessert. In der Krise ist sein Amt noch mächtiger geworden. Vor allem aber half der Verfassungsschutz mit, mutmaßliche Terroristen aufzudecken, bevor sie in Deutschland zuschlagen konnten - wie zuletzt beim Fall eines Islamisten, der in seiner Kölner Wohnung mit dem giftigen Rizin Bomben basteln wollte. Auch bei der Rechtsterrorgruppe „Old School Society" agierte der Geheimdienst, bevor Schlimmeres passierte. 2017 gab es in Deutschland mit Ausnahme einer Messerattacke in Hamburg keinen erfolgreichen Anschlag.

Doch auch Maaßen geriet in die Kritik. Bei der Aufarbeitung der NSU-Affäre tauchten immer wieder neue Handys eines V-Manns im Schrank eines Verfassungsschützers auf. Erst nach und nach erfuhren Abgeordnete im Bundestag Details. Auch im Innenministerium sorgte das für Missmut. Für die Opposition ist Maaßen das Gesicht für Intransparenz bei der Aufarbeitung der Affären.

Nun steht Maaßen erneut im Visier. Seine Sprecher heben hervor, dass Maaßen „selbstverständlich keine Sympathie" für die AfD habe. CDU-Politiker Schröder sagt, er kenne Maaßen als jemanden, der der „AfD sehr kritisch" gegenüberstehe.

Nicht alle sehen das so, erkennen in Maaßens Ton manchmal eine Nähe zu Äußerungen, die sie sonst nur von AfD-Politikern hören. Öffentlich sagen will das jedoch kein Politiker. Auch weil Petry und Maaßen keine Details aus dem Gespräch nennen. Weil vieles vage bleibt, wenig verlässlich ist.

Denn am Ende geht es in der aktuellen Debatte nicht nur um Maaßen und Petry. Sondern auch um eine Partei, die nur schwer berechenbar ist. Und einen Verfassungsschutz, dessen Innenleben trotz Aufklärungsarbeit nach dem NSU immer auch verschlossen blieb. Vielleicht auch bleiben muss.

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