Unsere komplette Mimik wird durch den Fazialisnerv (Gesichtsnerv) gesteuert. Der Nerv hat als Alleinstellungsmerkmal die Fähigkeit, unsere Emotionen an unsere Umwelt zu vermitteln. Ist dieser entzündet oder verletzt, können die mimischen Muskeln durch das Fehlen seiner Impulse nicht mehr angesteuert werden. Die Betroffenen leiden oft unter den Ausfällen ihrer Mimik, Sprachstörungen und der entstehenden Asymmetrie des Gesichts. Häufig ziehen sie sich aus der Gesellschaft zurück. Auch die dadurch entstehenden funktionellen Ausfälle bereiten große Schwierigkeiten - beispielweise beim Augenschluss, Essen und Trinken.
Ursachen einer Fazialisparese können Virusinfektionen, Entzündungen, Durchblutungsstörungen, mechanische Schäden des Nervs, Diabetes mellitus oder Hirntumore sein. In vielen Fällen bleibt die Ursache unklar, dann spricht man von einer Bell-Parese. In diesen Fällen heilt die Fazialisparese zu 70 Prozent ohne Restbeschwerden komplett aus. In den restlichen Fällen verbleiben ohne weitere Therapie mehr oder minder schwere Einschränkungen.
Erste Maßnahme: Augenschutz
Die Fazialisparese wird zunächst erstmal beobachtet. Zu Beginn ist jedoch der Schutz der Hornhaut am Auge essenziell. Durch die Fazialisparese kann das Auge oft nicht (ganz) verschlossen werden und muss regelmäßig befeuchtet werden. Ansonsten drohen Schäden der Hornhaut bis zur Erblindung. Neben Tropfen und Uhrglasverbänden für die Nacht, gibt es bei ausgeprägter Lidschlussstörung die Möglichkeit einer kleinen ambulanten Operation. Dabei wird ein kleines Platingewicht zur Beschwerung in das Oberlid eingebracht, um einen Lidschluss deutlich zu erleichtern.
Wenn innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten nach Auftreten der Fazialisparese keine maßgebliche Besserung eintritt, sollte eine Operation zur Funktionsverbesserung angewandt werden, so Privatdozent Dr. Andreas Kehrer. Denn eine maßgebliche Funktionsverbesserung ist nach über sechs Monaten sehr unwahrscheinlich. Außerdem ist zu diesem Zeitpunkt die mimische Muskulatur noch kräftig und intakt. Ihr fehlt lediglich als Impulsgeber der Nerv - vereinfacht ausgedrückt „fließt kein oder zu wenig Strom" zu den Muskeln. Durch eine Nerventransplantation und Nervenumlagerung können Impulse von anderen Gesichtsnerven zur gelähmten Muskulatur umgeleitet werden. Bei der Operation werden deshalb Hautnerven aus dem Unterschenkel entnommen und an Unteräste des gesunden Nervens der funktionsfähigen Gesichtshälfte angeschlossen. Entlang dieser Nerventrassen wachsen nun neue Nervenfasern. Durch diese Ersatznerven werden nun Impulse aus der gesunden Seite in die gelähmte Gesichtshälfte übergeleitet und steuern dort die noch vorhandene mimische Muskulatur an. Sichtbare Narben im Gesicht verbleiben nicht, da die Schnittführung ähnlich wie bei einem Facelift gewählt wird.
Der Zeitpunkt ist entscheidend
Fehlt der mimischen Muskulatur jedoch ein nervaler Reiz, wird die Muskulatur graduell schwächer und beginnt sich nach circa einem Jahr unwiederbringlich in Fettgewebe umzuwandeln. Die Nervenoperation wird daher im therapeutisch sinnvollen Zeitfenster zwischen sechs bis maximal 15 Monaten nach Auftreten der Fazialisparese durchgeführt. Danach ist die Muskulatur ohne adäquaten Nervenreiz in Fettgewebe umgewandelt. Leider wird gerade dieser günstigste Zeitraum für eine Operation in Deutschland häufig verpasst. Jedoch können auch nach 15 Monaten bis viele Jahre nach erlittener Gesichtslähmungen Form und Funktionen wiederhergestellt werden. Hierbei werden beispielsweise kleine Oberschenkelmuskeln transplantiert (Kinder und Erwachsene) oder Kaumuskeln umgelagert (ab Rentenalter). Die Erfolge sind etwas geringer als bei einer Nerventransplantation und Nervenumlagerung, da die umfunktionierte Muskulatur die Originalmuskulatur nicht vollständig ersetzen kann. Daher ist eine frühzeitige Behandlung wichtig. Die Kosten der Operation werden in allen Fällen von den Krankenkassen übernommen.
Nach der Operation müssen die Patienten zu Hause regelmäßig verschiedene Übungen durchführen. Zusätzlich sind Logopädie, Ergo- und Physiotherapie als Begleittherapien von hoher Bedeutung für die Koordination der neuen oder wiedergewonnen Muskelaktivität. Sie haben jedoch keinen direkten Einfluss auf die Nervenheilung.