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Islamismus - Heimatländer wollen sie nicht - wohin mit den Radikalen?

Die Demonstranten in Tunis sorgen sich vor einer massenhaften Heimkehr radikaler Dschihadisten und fordern die Regierung zum Handeln auf. (Foto: AFP)


Nach Anis Amris Attentat demonstrieren Tunesier gegen die Heimkehr von Islamisten. Das dürfte den deutschen Behörden Abschiebungen nicht leichter machen.

Die Schrift sieht aus wie eine triefende Blutspur: "Nein zu Terroristen." Die junge Tunesierin, die das Plakat vor dem Parlament in Tunis hält, formt das Peace-Zeichen. Sie ist eine von mehr als tausend Demonstranten, die sich vor wenigen Tagen gegen die Wiederaufnahme von radikalen Dschihadisten aussprechen. Viele von ihnen hat die Aussage des tunesischen Staatspräsidenten Béji Caïd Essebsi auf die Straße getrieben. Er sagte kürzlich, man habe in den tunesischen Gefängnissen nicht genügend Platz für all die Rückkehrer, man werde sie allerdings überwachen. Vielen Tunesiern reicht das nicht, sie haben Angst. Vor Landsmännern wie Anis Amri, der am Berliner Breitscheidplatz zwölf Menschen tötete, vor Extremisten, die vielleicht auch bald wieder im eigenen Land zuschlagen könnten und damit den sich erst langsam erholenden Tourismus weiter schwächen könnten.

Unter anderem aus Deutschland wächst unterdessen der Druck auf Tunesien, seine Staatsbürger zurückzunehmen - unabhängig davon, ob es sich um verurteilte Straftäter, Verdächtige oder einfach abgelehnte Asylbewerber handelt. Zurückkehrende Islamisten können zwar durch das 2015 verabschiedete neue Anti-Terror-Gesetz verfolgt werden, es erlaubt den Sicherheitskräften, Rückkehrer aus Kriegsgebieten sofort nach ihrer Ankunft festzunehmen oder zu überwachen. Nur mit repressiven Maßnahmen wird sich das Terrorproblem aber wohl nur schwer lösen lassen. Die Perspektivlosigkeit treibt viele junge Tunesier weiter in die Hände von Islamisten.

Wirtschaftliche Lage in Tunesien ist katastrophal

Der Maghreb-Staat, in dem der Arabischen Frühling seinen Anfang nahm, steht zwar im Vergleich zu Syrien oder Libyen gut da: Es herrscht Frieden, es gibt freie Wahlen, Säkulare bilden mit gemäßigten Islamisten eine Regierung. Die wirtschaftliche Lage ist jedoch weiterhin katastrophal. Viele Tunesier geben auch der konservativ-islamischen Ennahda-Partei Schuld an der Radikalisierung der Jugend. "Es sind nicht unsere Kinder, sondern die von Ghannouchi", solche Sprechchöre sind auf der Demonstration in Tunis zu hören. Rachid al-Ghannouchi ist Chef der Ennahda, der stärksten Regierungspartei. Kürzlich forderte er, man müsse sich um die Terroristen kümmern und sie psychologisch betreuen.

Die Vereinten Nationen gehen von 5000 Tunesiern aus, die derzeit für den sogenannten Islamischen Staat kämpfen. Der tunesische Ministerpräsident Youssef Chahed hält die Zahl für übertrieben, er gehe von 2900 aus. In einem Interview sagte er: "Wir haben Listen mit Namen aller Kämpfer, und wir werden demnächst diplomatische Missionen nach Syrien, in den Irak, die Türkei und in den Jemen schicken, um diese Listen abzugleichen und vor Ort Informationen zu sammeln." Seit der "Islamische Staat" an Territorium verliert, seien etwa 800 Dschihadisten zurückgekehrt, heißt es im tunesischen Innenministerium. Andere wollten nicht zurück, weil sie lange Haftstrafen fürchten.

Abgelehnte Asylbewerber laufen Gefahr, mit Terroristen in einen Topf geworfen zu werden

In dieser Debatte laufen Asylbewerber Gefahr, mit radikalen Islamisten oder gar Terroristen in einen Topf geworfen zu werden. Auch in Deutschland wird oft nicht trennscharf genug diskutiert. Seit einem Jahr, seit der Silvesternacht von Köln, wächst der Druck auf die tunesische Regierung, ihre Staatsbürger zurückzunehmen. Deutsche Behörden beklagen seit langem, dass die tunesischen Behörden die Rückreise abgelehnter Asylbewerber verzögerten. Als "völlig unbefriedigend" kritisiert etwa das Innenministerium in Nordrhein-Westfalen das Verfahren, Rückkehrern Passersatzpapiere auszustellen: Es dauere viel zu lange. Oft muss bei vielen Flüchtlingen erst aufwendig Identität und Staatsbürgerschaft geklärt werden, dann geht es um neue Pässe. NRW nimmt laut dem bundesweiten Verteilungsschlüssel die meisten Tunesier auf, zusammen mit Sachsen.

Dort ist man deutlich positiver gestimmt. Im Dresdner Innenministerium registriert man erfreut, dass sich nach der Reise von Bundesinnenminister Thomas de Maizière Anfang 2016 in die Maghreb-Staaten einiges verbessert habe. Als einzigem Bundesland sei es Sachsen gelungen, sechs Charterflieger mit abgelehnten Flüchtlingen nach Tunesien zu schicken mit 76 Menschen an Bord. Dennoch sieht auch Sachsen noch Verbesserungsbedarf bei Tunesien: Anfragen zur Identifizierung müssten schneller bearbeitet werden, und das Personal in ihrer deutschen Botschaft müsste Tunesien auch aufstocken. Allein, die Angst vieler Tunesier vor ihren eigenen Bürgern dürfte den deutschen Behörden die Abschiebungen nicht leichter machen.

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