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"Schieß nicht", rufen seine Mitspieler

Vincent Kompany von Manchester City feiert seinen Wuchtschuss aus 25 Metern. (Foto: Action Images via Reuters)

Es war 2014, die zweite Hälfte des letzten Spieltags noch keine fünf Minuten alt, als Manchester Citys Edin Dzeko nach einer Ecke zum Kopfball hochstieg und den Ball - eher ungewollt - per Hinterkopf an die Kante des Fünfmeterraumes prallen ließ. Dort stand sein Kapitän, Vincent Kompany, und drückte die Kugel über die Linie. Es war der Treffer, der ManCity die Meisterschaft sicherte - und Kompany mischte sich mitten hinein in die kollektive Ekstase. In großen Schritten stürmte er Richtung Eckfahne, freute sich unbändig, sprang in die Luft, sank auf die Knie und wurde unter seinen Mitspielern begraben.

Dass diese Geschichte eines Innenverteidigers fünf Jahre später wieder hervorgekramt wird, hat zwei Gründe. Zum einen war Manchesters einziger verbliebener Konkurrent in der Meisterschaft damals wie heute der FC Liverpool. Zum anderen hat Kompany erneut ein großes Tor geschossen: das 1:0-Siegtor am Montagabend gegen Leicester, nach dem ManCity vor dem letzten Premier-League-Spieltag am kommenden Sonntag der Meisterschaft ganz nahe ist.

Als Kompany 2008 als 22-Jähriger vom Hamburger SV zu den Skyblues wechselte, war er der erste große Name, dem in den folgenden Jahren viele weitere große und noch größere Namen (verpflichtet mit sehr vielen Millionen Pfund) folgen sollten. Was Kompany damals in ManCity gesehen hat, wer weiß? Was der Verein in ihm gesehen hat, ist eher bekannt: körperliche Präsenz, Zweikampfstärke, Kopfballstärke und Führungsqualitäten. Wofür sie ihn ganz bestimmt nicht geholt haben dürften, sind seine Fernschussqualitäten.

"Schieß nicht", riefen einige, als Kompany abzog

Doch Kompany erhielt am Montagabend den Ball, rund zehn Meter hinter der Mittellinie, lief noch ein paar Meter - und zog unbedängt aus 25 Metern ab. Man konnte die Verteidigung von Leicester City schon verstehen: Kompany hatte bis dato für seinen Verein noch kein einziges Tor aus dem Spiel heraus erzielt, lediglich nach Standards oder anschließenden Flanken war er erfolgreich. Es war ein kalkuliertes Risiko, Kompany laufen und schießen zu lassen.

Doch ein paar Sekunden später schlug der Ball kräftigst ins Netz ein, zappelte dort hin und her - als würde der DJ im rechten oberen Kreuzeck sein Lied spielen. Sofort war Manchesters Kapitän mit seinen großen Schritten auf dem Weg zur Eckfahne. Wieder rastete das Publikum aus, wieder wurde Kompany unter seinen Mitspielern begraben. "Das war ein unglaubliches Tor", raunte sein Trainer Pep Guardiola, der damit kurz vor seinem zweiten Meistertitel in England steht. "Was für ein Schuss. Wenn es einer verdient hat, dann er", jubilierte auch Teamkollege Bernado Silva.

Es gibt natürlich Unterschiede zum Treffer vor fünf Jahren - auch wenn beide Tore für Manchester City von vergleichbarerer Wichtigkeit waren und sind. Ungläubig war die Freude des Kapitäns dieses Mal nicht - er wollte diesen Treffer genau so erzielen, besser kann ein Fußballer aus der Distanz kaum schießen, und selbst wenn Kasper Schmeichel plötzlich gelernt hätte zu fliegen - der Schlussmann Leicesters wäre nicht an diesen Ball gekommen. "Ich habe vor dem Schuss gehört, wie mir einige zuriefen 'Schieß nicht'", erzählte Kompany später selbst, "aber ich spiele nicht schon so lange Fußball, um mir von jungen Spielern sagen zu lassen, wann ich so einen Versuch wagen kann."

Er lächelte: "Ich mache solche Tore manchmal im Training. Und ich habe immer gesagt: Einmal probiere ich es im Spiel und dann treffe ich und ihr werdet sehr glücklich sein." Auch muss Kompany nach seinem Tor 2019 noch eine Woche warten, bis die richtigen Feierlichkeiten losgehen können. Am Sonntag trifft City auf Brighton & Hove Albion, den Tabellensiebzehnten, Liverpool spielt parallel gegen Wolverhampton, hat aber einen Punkt Rückstand. Kompanys Wuchtschuss fühlte sich mindestens wie eine Vorentscheidung an.

Wer es mit Liverpool hält, der mag in dem Treffer, über den nun jeder spricht, nicht mehr sehen als einen Innenverteidiger, der einen Sonntagsschuss erwischt hat - zum schlechtmöglichen Zeitpunkt. Wer es aber mit Manchester hält, der sieht einen Spieler, der immer wieder in den entscheidenden Partien trifft, so auch 2018 im Ligapokalfinale beim 3:0 gegen den FC Arsenal. Einen Spieler, der bislang nach jedem seiner wichtigen Treffer eine Trophäe in die Höhe reißen durfte.


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