2014-09-10 (fw/db) Nur drei Prozent der Bevölkerung besitzen aktuell eine private Pflegezusatz-Versicherung. Dabei haben die Deutschen, laut Studien, als größte persönliche Angst vor dem Risiko des Eintritts eines Pflegefalls. Bei der privaten Absicherung der Pflegebedürftigkeit für sich und Angehörige gibt es im Markt die größte Notwendigkeit für private Versicherungslösungen.
Auf dem gestrigen 14. PKV-Forum des Continentale Verbund auf Gegenseitigkeit in Köln wies Ulrich Dietz, Leiter des Referats „Grundsatzfragen der Pflegeversicherung" im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf den wichtigsten Grundsatz in der staatlichen deutschen Pflegeversicherung hin:
„Die staatliche Pflegeabsicherung in Deutschland ist eine Teilversicherung und das wird sie auch in der Zukunft bleiben. Sie muss durch Eigenleistungen der Versicherten ergänzt werden oder durch die Leistungen der Familienangehörigen."
Das war politischer Klartext. Die Bundesbürger müssten entweder für den Pflegefall zusätzlich privat vorsorgen oder die Mehrkosten über die gesetzliche Grundleistungen müssen aus den Ersparnissen der Versicherten und deren Kinder gedeckt werden.
Helmut Posch, Vorstandsvorsitzender des Continental Verbund auf Gegenseitigkeit, hatte schon in seiner Begrüßung betont: „Das Risiko Pflege ist so wichtig, dass es uns über Jahrzehnte beschäftigen wird. Das traditionelle Kölner PKV-Forum habe dieses Jahr das Ziel über die aktuellen Lösungsansätze der Versicherungswirtschaft zu diskutieren, aber auch einmal über die moralischen gesellschaftlichen Hintergründe für diese wichtige Vorsorge nachzudenken."
Precht zum Prinzip Pflege, Eigenverantwortung und Menschlichkeit
Kein geringerer als der deutsche Philosoph Prof. Dr. Richard David Precht sprach als Hauptredner zum Thema „Moral und Verantwortung - warum wir anders handeln, als wir denken". Precht steht mit seinem Philosophiebuch „Wer bin ich - und ja, wie viele" seit fünf Jahren auf der deutschen Sachbuch-Bestsellerliste. Dort erklärt der Autor das nicht immer einfache, aber sehr wichtige Thema Philosophie in einer Art, dass es sogar Kinder- und Jugendliche verstehen, auf dem PKV-Forum war es jetzt das nicht einfache, aber sehr wichtige Thema Pflege.
Töten und morden nur um zu helfen?
Vor über 1.000 erwachsenen Zuhörern nahm Precht das Publikum bei der Hand um praktisch und verständlich den Unterschied zwischen Moral und Verantwortung, Handeln und Nicht-Handeln der Menschen im Thema Pflege und in der Gesellschaft zu verdeutlichen.
„Wenn wir über Moral in der Gesellschaft reden, dann stimmen die meisten zu, es gehe ja um ‚die Menschen', dies sei aber noch fern von eigenverantwortlichem Handeln, da ‚die Menschen' ja immer die anderen sind und nicht der Einzelne selbst. Von ‚die Menschen' zu sprechen sei auch im Thema Pflege falsch, denn in Wahrheit gehe es um Sie, also jedem einzelnen von Ihnen", erläutert Precht dem sehr erstaunten Fachpublikum. Mit praktischen Übungen und offener Publikumsbefragung per Handzeichen verdeutlichte Precht seine Thesen. Ein Testszenario zeigte, dass im Publikum über 80 Prozent der Anwesenden zu einer Handlung mit Todesfolge für Dritte bereit waren und sich sogar acht Besucher per öffentliches Handzeichen zu einem Mord bekannten, um vermeintlich ein Menschenleben zu retten. Precht warnte zu letzterem: Die Anzahl der letzteren Gruppe, würde in einer anonymen wissenschaftlichen Übung sogar ansteigen."
Deutlicher und verständlicher als durch den Philosophie-Experten Precht kann die Diskrepanz zwischen Moral und Verantwortung wohl kaum dargestellt werden. Das erkläre auch, so Precht in der späteren Podiumsdiskussion: „Warum ‚die Menschen' Angst vor dem Risiko Pflege haben, moralisch vom Staat einfordern dafür etwas zu tun, aber nicht erkennen, dass sie für sich eigenverantwortlich entscheiden und vorsorgen müssen."
Suizid statt Pflegefall?
In der Podiumsdiskussion brachte es der Mediziner und Experte Dr. Ralf Suhr auf den Punkt: „Mehrheitlich würden sich Menschen eher suizidieren als pflegebedürftig zu werden."
Posch sagte: „Wir müssen als Gesellschaft lernen, was eine Kultur der Vorsorge beinhalten soll. Technische Lösungen ersetzen nicht die Achtung vor Menschen, deren Würde und Anspruch auf liebevolle Betreuung." Precht warnte: „ Der Roboter in der Pflege wird für die kommen, die nicht gut verdienen."
Statt Moral und Motivatoren mehr Umdenken
Deutlicher wie auf dem diesjährigen PKV-Forum in Köln kann dem Vertrieb kaum klar gemacht werden, wie wichtig seine Tätigkeit als Vermittlungsunternehmer und Mittler von Wissen ist. Für Versicherungsvorstände ist generell zu empfehlen, künftig wie jetzt in Köln geschehen, mehr Philosophen statt den üblichen Motivations-Rednern für Tagungen und Messen zu engagieren, denn ein Umdenken scheint wohl die beste Art Selbstmotivation für Makler, Versicherungsvertreter und deren künftige Kunden zu sein.
Dietmar Braun