2014-09-05 (fw/db) Rund die Hälfte aller technischen Schäden, die der deutschen Assekuranz gemeldet wurden, sind Fälle von Versicherungsbetrug, so die Aussage und Schätzung der Experten. Allein in der Schaden- und Unfallversicherung entsteht durch Betrügereien jedes Jahr ein Aufwand von immerhin vier Milliarden Euro. Das sind etwa zehn Prozent aller regulierten Schäden. Der verstärkte Kampf gegen die immer raffinierteren Betrügereien spart aber nicht nur Kosten, sondern ist für die Assekuranz auch eine Herausforderung. Die Branche will die Kunden nicht als Kriminelle hinstellen. Bisher gelingt das in der Praxis. Beim Versicherungs-Ombudsmann in Berlin gehen keine vermehrten Beschwerden von Versicherten ein, die sich zu Unrecht des Betrugs verdächtigt fühlen. Das Rechtswesen versteht unter Gemeinschaft eine Rechtsgemeinschaft oder Vertragsgemeinschaft. Die Kollektive der Versicherer können als eine Gemeinschaft der Versicherten gesehen werden. Besonders klar wird dies bei den Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit. Bei Bekanntwerden einer vorsätzlichen Schädigung der Gemeinschaft durch Betrug, wäre die Staatsanwaltschaft zur Ermittlung verpflichtet.
Die zur Bertelsmann-Gruppe gehörende Arvato Financial Solutions in Baden-Baden hat mit ihrer Tochter informa Insurance Risk and Fraud Prevention GmbH (IIFRP) mit dem Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) das elektronische Hinweis- und Informationssystem (HIS) weiter entwickelt, das Daten zu Verdachtsfällen speichert und Betrügern das Leben schwerer machen soll. Entstanden ist auf diese Art eine von den Versicherern finanzierte Datenbank. Die Unternehmen liefern bei der Kfz-Versicherung über jeden Totalschaden, jeden Diebstahl und jede Abrechnung ab einer bestimmten Schadenhöhe Daten an das HIS. In der Lebensversicherung melden die Versicherer dem System beispielsweise, wenn ein Kunde eine Police mit ungewöhnlich hoher Rente abschließt oder zum Zeitpunkt des Abschlusses eine Beeinträchtigung angibt.
Schöpft später ein Sachbearbeiter bei einer Schadensmeldung Verdacht, gibt er die entsprechenden Daten ein und bekommt innerhalb von Sekunden Auskunft darüber, ob der Kunde schon einmal aufgefallen ist.
Das System wurde 1993 entwickelt. Anfang April 2011 ist das System völlig neu gestaltet und an das geltende Datenrecht angepasst worden. 2013 haben die Versicherer fast 30 Millionen Anfragen an das HIS gerichtet, nach 21 Millionen Anfragen in 2012.
Prävention beginnt beim Versicherungsantrag
Das HIS ist für die deutsche Assekuranz ein Hilfsmittel bei der Prüfung der in Versicherungsanträgen gemachten Angaben und bei der Aufklärung von Schadensmeldungen mit Manipulationsverdacht. Hinweise aus dem HIS geht der Versicherer im Rahmen seiner Risiko- oder Leistungsfallprüfung nach und prüft den Sachverhalt eingehend.
Dies dient dem Wohle aller Versicherten, die sich darauf verlassen, dass die Versicherungsprämien ihrem jeweilig abzusichernden Risiko entsprechen und sie nicht unnötig mit Kosten belastet werden, die durch Versicherungsmissbrauch und Versicherungsbetrug entstehen.
Für private Versicherer ist eine Risikoprüfung notwendig. Das eingegangene Risiko - dass ein Versicherungsfall eintritt - muss richtig eingeschätzt werden, um auf dieser Daten-Basis den risikoadäquaten Beitrag zu bestimmen. Hierfür benötigt der Versicherer vollständige und zutreffende Informationen vom Versicherungskunden über das zu versichernde Risiko. Dies sind die Angaben zu Vorschäden oder Vorerkrankungen. Versicherer fragen dies in den Antragsformularen ab. Beim Abschluss eines Versicherungsvertrages ist es daher entscheidend, dass jeder Kunde die richtigen Informationen umfassend anzeigt. Die Kunden sind nach dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) zur Beantwortung verpflichtet.
Der Zweck und der Sinn einer privaten Versicherung ist es, das Risiko vom Einzelnen auf die Versichertengemeinschaft zu verteilen. Trifft den Einzelnen der Versicherungsfall, tritt die Gemeinschaft mit ihren Beitragszahlungen dafür ein. Jeder Einzelne muss sich dabei darauf verlassen können, dass die Versicherungsprämien dem jeweilig abzusichernden Risiko entsprechen und er nicht zu Unrecht mit Kosten belastet werden, die Versicherungsmissbrauch oder durch falsche Tarifierung entstehen. Die Versicherer müssen daher die Angaben in den Anträgen prüfen, eine Risikobewertung vornehmen, die Berechtigung von Versicherungsansprüchen klären und missbräuchliche Ansprüche ablehnen.
Für Anfragen der Versicherer an das System muss kein Betrugsverdacht bestehen. Das HIS dient gerade dazu, Unregelmäßigkeiten, die ansonsten nicht bekannt würden, aufzudecken. Das HIS kann sowohl in der Antrags- als auch in der Leistungsfallbearbeitung eingesetzt werden. In diesen Fällen besteht jeweils ein berechtigtes Interesse an der Nutzung des Systems. Die konkrete Ausgestaltung der Nutzung des HIS ist jedoch der Entscheidung der einzelnen Versicherer überlassen.
Mit Abstand am häufigsten versuchen betrügerische Kunden ihre Versicherung mit Schäden an Elektronikgeräten zu täuschen. Besonders bei technischen Neuerungen wie der Einführung von Flüssigkristallbildschirmen oder der 3-D-Technik bei Fernsehgeräten gibt es viele Meldungen von Schäden. Eine Welle an Schäden gibt es, wenn ein neues Apple iphone-Modell vorgestellt wird. Immer wieder spannend ist es, wenn bei der Regulierung von Schäden an Brillen, die gesamten gemeldeten Schäden, die Verkaufszahlen der Augenoptikergeschäfte übersteigen.
Versicherungsbetrüger und die Betrugsermittler
Es gibt im Prinzip stets die drei gleichen Arten des Versicherungsbetrugs. Erstens, der Schaden ist nicht versichert, also stellt der Kunde den Hergang gegenüber seiner Versicherung anders dar. Fast zwei Drittel aller Betrüger gehen so vor. Zweitens übertreibt ein Drittel aller Versicherungsbetrüger bei der Höhe der Schadenssumme. Drittens betrügen nur vier Prozent, indem sie ihrer Versicherung einen Schaden vorgaukeln, der gar nicht existiert. Diese Zahlen haben der GDV und die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in einer Studie ermittelt.
In den Augen der Bevölkerung gilt Versicherungsbetrug ähnlich wie Schwarzfahren als Bagatelle. Jeder fünfte Deutsche meint, es sei ein Kavaliersdelikt, wenn man die Versicherung mehr bezahlen lasse, als gerechtfertigt sei, so die Studie von GDV und GfK.
Der Marktführer Allianz SE hat im Frühjahr 2014 eine eigene Einheit zur Betrugsabwehr gegründet. In der Sachversicherung hat die Allianz 2013 Schäden im Umfang von 5,2 Milliarden Euro reguliert. Rund 100 Millionen Euro konnten die Münchner hier bereits durch erfolgreiche Betrugsermittlung sparen - etwa zwei Prozent der Gesamtsumme an Schäden. Insgesamt 80 Spezialisten beschäftigen sich bei dem Münchner Versicherungskonzern inzwischen mit dem Thema. Ein Betrugskoordinator soll künftig die Arbeit der Abwehrspezialisten in Sach-, Kranken- und Lebensversicherung steuern.
Im Kampf gegen Betrüger bauen die Versicherer ihre Expertenteams zur Betrugsbekämpfung aus und nutzen verstärkt die Online-Auskunftei des HIS. Immer mehr Anbieter nutzen die Digitalisierung, um Betrügern und ihren Helfern auf die Spur zu kommen. Softwarehäuser wie der US-Konzern SAS bieten maßgeschneiderte Programme, die auf weltweiten Erfahrungswerten und gigantischen Datenmengen zu bereits passierten Betrügereien basieren. Die Versicherer können im Verdachtsfall das System mit den relevanten Daten nutzen. In Sekunden empfiehlt das System den Schaden zu leisten oder das Expertenteam gegen den Versicherungsbetrüger in Marsch zu setzen.
Wenn deutsche Versicherer im Interesse der ehrlichen Kunden den Versicherungsbetrug bekämpfen wollen, hilft nur die Übermittlung der Daten aufgeklärter Fälle an die zuständige Staatsanwaltschaft. Schnell wird es sich herumsprechen, dass ein Betrug der Versichertengemeinschaft im Knast enden kann. Das beendet das Märchen vom Kavaliersdelikt und der Ehrliche ist nicht mehr der Dumme.
Dietmar Braun