- Was sind Burschenschaften?
Heribert Schiedel: Burschenschaften sind eine Untergruppe der studentischen Korporationen. Korporation oder Studentenverbindung ist der Überbegriff. Dabei handelt es sich mehrheitlich um Männerbünde, die, je weiter es in die politische Mitte geht, durchlässiger werden. Daher gibt es mittlerweile - nicht offiziell anerkannt - halboffizielle gemischte Verbände. Im Großen und Ganzen sind diese Männerbünde von der Selbstwahrnehmung sehr elitär:
Wir sprechen von Elitismus und Männerbündelei, welche das ganze Millieu betreffen.
Zu differenzieren dabei ist, dass das Milieu in zwei ungleich große Gruppen zerfällt: In katholische Verbindung und schlagende oder deutschnationale Studentenverbindungen. Wobei das katholische, pro-österreichische Milieu fast acht Mal größer ist. Genaue Zahlen haben wir aber nicht.
- Katholische Verbindungsstudenten
Die viel größere Gruppe sind also die katholischen Verbindungsstudenten, darunter ist wiederum der Cartellverband (CV) der größte, daneben wären etwa noch die katholischen Landsmannschaften zu nennen.
Das politische Spektrum hier reicht vom Rechtskonservatismus bis zum Anti-Republikanismus, Legitimismus - also der monarchistischen Kaisertreue.
Das waren auch nicht immer gerade die Vorkämpfer für Demokratie, Gleichheit und Emanzipation. Mehrheitlich gibt es eine ganz klare Distanz zum Rechtsextremismus, von ein paar Ausreißern oder Einzelpersonen abgesehen.
- Deutschnationale Studentenverbindungen
Was unterscheiden die katholischen von den problematischen Verbindungen?
Das ist jetzt die zweite Untergruppe. Nämlich die schlagenden oder deutschnationalen Studentenverbindungen. Wie der Name sagt: Deutschnationalismus ist die Scheidelinie. Und das Schlagen von Mensuren. Eine Unterscheidung dabei ist das Verhältnis zum Vaterland.
In der gesamten Korporationsfamilie gibt es das Bekenntnis zum Vaterland.
Nur - und das ist der wichtige Unterschied - einmal ist das Vaterland Österreich und das andere mal Deutschland. Das heißt, hier sprechen wir von deutschnationalen Verbindungen und im anderen Fall von österreich-patriotischen Verbindungen - deutschnational ist gleich anti-österreichisch.
Oder, wie Jörg Haider gesagt hat: "Österreich ist eine ideologische Missgeburt."
Ein weiteres Unterscheidungsprinzip ist die (christliche) Religion. Dieses Prinzip kennen die Schlagenden nicht.
- Unterscheidungsmerkmale
Ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist das Verhältnis zum Nationalsozialismus. Seitens der katholischen Verbindungen hat es bis 1938 gerade an der Universität (Stichwort: Antisemiten-Bund) durchaus ein gemeinsames Vorgehen mit den deutschnationalen Verbindungen gegeben. Und zwar gegen die - wie sie es genannt haben - "Verjudung der Universitäten". Und gegen fortschrittliche Professoren. Dieses Bündnis ist aber spätestens in den 30er Jahren, als fast alle Burschenschaften nationalsozialistisch geworden sind, zerbrochen.
Im Unterschied zu den Burschenschaften haben sich die katholischen Verbindungen von der antisemitische Vergangenheit durch ihre Politik nach 1945 klar davon distanziert.
Auch wenn die Zeit vor 1938 noch nicht überall aufgearbeitet ist. Im Nationalsozialismus selber stand man sich feindlich gegenüber: Während die Einen im KZ waren, bewachten es die anderen. Wenn man sich die Kriegsverbrecherprozesse anschaut und die vielen Schmisse in den Gesichtern der Angeklagten sieht, dann weiß man, auf welcher Seite die mehrheitlich waren. Und seit Erika Weinzierl weisen alle ernstzunehmenden Historiker_innen österreichs darauf hin, dass das deutschnationale Lager fast vollständig im Nationalsozialismus aufgegangen ist. Das wird von den Burschenschaftern selbst auch gar nicht bestritten.
- Legendenbildungen
Nach außen hin verbreiten sie im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus jedoch Legenden. Wie etwa jene, wonach man 1938 "verboten" worden sei. Tatsächlich haben sie sich feierlich selbst aufgelöst und in die Reihen der NSDAP eingegliedert. In einer Zeremonie im Wiener Konzerthaus im Frühsommer 1938 legten sie ihre Farben nieder, weil sie sich nun am Ende ihres Weges sahen. Zudem haben die österreichischen Burschenschaften mehrheitlich bereits 1933 - also fünf Jahre vorm Anschluss und ohne äußere Not - das "Führerprinzip" angenommen. Heute behaupten sie, sie seien im Nationalsozialismus verboten worden!
Bis heute gibt es Versuche von Burschenschaftern, diese Unterschiede zu den katholischen Verbindungen zu verwischen und an den Corps-Geist zu appellieren. Und oft gibt es leider von der Gegenseite wenig Bereitschaft, hier zu differenzieren: Es werden alle in einen Topf geworfen.
Rein äußerlich kann man sie ja tatsächlich schwer unterscheiden. Gerade mal an den Farben: Rot-weiß steht für den Cartellverband, während schwarz-rot-weiß oder schwarz-rot-gold auf Deutschnationalismus hinweisen. Schließlich verweist der Schmiss, die Narbe nach der Mensur, auf den Unterschied.
- Burschenschaften und andere Verbindungen
Das deutschnationale korporierte Lager zerfällt dann noch einmal in Burschenschaften und andere Verbindungen.
Erstere (deutschnationale) sind die, die am lautesten schreien, weil sie auch eine explizit politische Agenda bzw. die politische Betätigung zum Prinzip haben.
Sie dulden auch nach Innen - im Unterschied zu den Corps - kaum einen Meinungspluralismus.
Es gibt Corps, die sind aus dem WKR ausgetreten, weil er ihnen zu rechts ist, weil dort die Burschenschaften den Ton angeben. Dadurch, dass die Corpos auch nach Innen mehr Pluralität und Toleranz ermöglichen, weisen sie mehrheitlich doch eine deutlichere Distanz zum Rechtsextremismus und Neonazismus auf wie ein Großteil der Burschenschaften. Niemand zwingt die Corps, sich mit Burschenschaften in einem Dachverband zusammenzuschließen.
Für mich ist aber auch nicht jede deutschnationale Burschenschaft rechtsextrem.
Aber auch hier gilt, dass niemand eine Burschenschaft zur Mitgliedschaft etwa in der Burschenschaftlichen Gemeinschaft, einem rechtsextremen Dachverband, zwingt. Und das wäre auch mein Wunsch, dass diese Bereitschaft zur Differenzierung von unserer Seite auf der Gegenseite tatsächlich auch mit einer Differenzierung beantwortet wird.
- Beim Akademikerball werden diese Burschenschaften sichtbar. Wo sind sie im täglichen Leben noch spürbar?
Vor allem in der Politik: Entsprechend ihres politischen Auftrages sind sie politisch aktiv. Das Spektrum reicht dabei bis zum militanten Neonazismus. Egal ob wir von Gert Honsik, Gottfried Küssel, Franz Radl sprechen, alle kommen aus einer deutschnationalen Verbindung, mehrheitlich aus einer Burschenschaft. Es ist aber nicht nur der militante Neonazismus, sondern es auch der legale Rechtsextremismus, der massiv von ihnen beschickt wird. Stichwort: Burschenschafter-Partei FPÖ.
Wir treffen sie also im Parlament, vor allem in den Klubs, als parlamentarische Mitarbeiter. Dann an der Universität, wobei sie sich da relativ zurückhalten, bzw. sind sie auf bestimmte Studien nach wie vor konzentriert.
Jus, Medizin, Veterinärmedizin. Es gibt solche Hot-Spots auch in Wien immer noch. In bestimmten Fächern findet man sie kaum oder gar nicht, sie werden von ihnen abgelehnt: Theologie, Politikwissenschaft oder Zeitgeschichte etwa. Das sind für sie sozusagen die "linken" Fächer und denen stehen sie dann eher ablehnend gegenüber. Sonst finden wir sie zum Teil entsprechend ihres elitistischen Konzeptes in führenden ämtern und Würden auch in der Republik. Es sind vornehmlich Akademiker und dementsprechend ihrer Selbstwahrnehmung auch honorige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.
- Noch einen Schritt zurück zum Thema "Deutschnational": Wie wird der Begriff in Deutschland und Österreich definiert und was ist dabei der Unterschied?
Der Unterschied war auch eine Ursache für den jahrelangen Streit zwischen österreichischen und deutschen Burschenschaftern. Es gibt verschiedene Nations-Konzepte. Das eine ist das staatsbürgerliche Konzept. Also, dass Menschen, die in einem abgegrenzten Territorium und unter einer verfassungsmäßig zu Stande gekommenen Regierung leben, eine Nation bilden. Das ist das eher westliche politische Nationenverständnis. Dieses Nationenverständnis hat nach 1945 langsam aber doch auch Teile der deutschen Burschenschafterbewegung überzeugt und wurde von ihnen übernommen. Ein Grund dabei war, dass man in Deutschland aus der Zwischenkriegszeit gelernt hat und gewusst hat, woher der Nationalsozialismus in die Burschenschaftsbewegung gekommen ist.
Und zwar aus der "Ostmark", wie es damals geheißen hat. Ebenso der "Arierparagraph": der ging nachweislich von den "Ostmärkern" aus.
Demgegenüber sind die "Deutschen" in Österreich stur geblieben. Sie hängen nach wie vor an dem völkischen Nationalismus, dem "volksbezogenen Vaterlandsbegriff".
Nach diesem ist jemand, der in Deutschland geboren ist, kein Deutscher, wenn seine Eltern nicht Deutsche sind. Aber sehr wohl jene, die außerhalb Deutschlands geboren sind, wie die "deutschen" Österreicher. Und da sind wir wieder bei der Abstammung und sehr nahe beim Rassismus. Nicht umsonst ist in dem Zusammenhang bei den diesbezüglichen Debatten in den letzten Jahren in der Deutschen Burschenschaft polemisch von "Arierparagraph" die Rede gewesen.
- Wie schauen die Unterschiede bei den Burschenschaften in Österreich und Deutschland aus. Ist Deutschland mehr aufgeklärt?
Das hängt auch mit den unterschiedlichen Entwicklungen der Gesellschaften nach 1945 zusammen. Deutschland konnte sich nicht als Opfer aus der Geschichte davon stehlen. Österreich schon. Und in diesem Klima der Tabuisierung, des Schweigens, des Verdrängens, konnten die Burschenschaften lange Zeit unbehelligt weitermachen. Erst seit den 90er Jahren - das Opferbild gerät vorher schon in die Krise - wird die Kritik an Burschenschafter lauter, der Druck sukzessive stärker und sie werden langsam zurückgedrängt.
Aber es gibt auch in Deutschland rechtsextreme Burschenschaften. Der jüngste Richtungsstreit im Dachverband hat aber wieder gezeigt, wo die "Ostmärker" - wie sie sich auch selbst nennen - bis heute mehrheitlich stehen.
Und die Deutschen wollten die Österreicher nach 1945 genau deshalb nicht mehr im Dachverband haben. Weil sie gewusst haben, dass sie die extremeren, die antisemitischeren sind, die oft noch immer dem Dritten Reich nachhängen.
Die Deutschen konnten aber dem Druck der "Ostmärker" nicht ewig Stand halten: seit den 70er Jahren dürfen die Österreicher darum in die Deutsche Burschenschaft.
Das Ergebnis sehen wir nun und da kann man sich auch freuen: Der Dachverband war einst ein großer Dachverband mit über 110 Burschenschaften. Mit Mitgliedern aus CSU, CDU oder SPD, was alles kein Problem war. Mittlerweile sind diese Burschenschaften und einzelne Politiker aus diesem Dachverband ausgetreten, weil er von Rechtsextremen dominiert wird.
Man muss sagen: "Danke liebe 'Ostmärker', dass ihr diesen Verband rechts an die Wand gefahren habt!" Es ist genau das eingetreten, wovon die Deutschen mehrheitlich immer Angst gehabt hatten und warum sie die Österreicher nicht drinnen haben wollten.
- Wie entwickelt sich die österreichische Burschenschafterszene jetzt weiter?
Das ist die Frage. Momentan geht es eher nach rechts. Das hängt damit zusammen, dass sie halt in der Defensive sind. Auch vom Zulauf schaut es nicht gut, auch wenn sich alle den "Kampf um den Volkserhalt" auf die Fahne geschrieben haben. Aber auch die völkischen Familien produzieren gerade nicht mehr so viele Söhne wie in der Vergangenheit. Es ist so: In eine akademische Burschenschaft geht man in 90 % der Fälle, weil Vater und/oder Großvater schon dabei waren. Insofern sind das quasi mehrere Familien, die seit Generationen das Milieu mit ihren Jungs beschicken. Das gilt aber weniger für die pennalen Verbindungen, in die man auch - wie etwa in seiner Schulzeit der Wiener Bürgermeister Michael Häupl - über Freundeskreise reingeraten kann. Aber da kommt man wieder raus, wenn man nicht zu lange drin ist.
Es ist schwer zu prognostizieren, wie es sich weiterentwickelt.
Momentan scheint zu gelten: Jung gegen alt. Die Jungen werfen den Alten Herren "Laschheit", ja geradezu "Umerziehung" vor. Man müsse sich wieder mehr trauen, zu seiner Gesinnung stehen. Es gibt einen gewissen Generationenkonflikt. In manchen Verbindungen treten die alten Herren geschlossen oder einzeln aus. Es eskaliert zum Teil. Es gibt Fraktionskämpfe.
Viele der Jungen in ihrem weltanschaulichem Extremismus und Fanatismus sind gerade dabei, dem ganzen Millieu einen nicht geringen Schaden zuzufügen. Das kann ich als Gegner des Milieus eigentlich nur begrüßen.
Ich würde sagen, in den nächsten Jahren haben wir es mit einer weiteren Radikalisierung, mit Spaltungen, Austritten zu tun. Es wird letztlich der harte Kern über bleiben. Und das werden mehrheitlich Rechtsextreme sein.
Weil, es sind wie gesagt nicht alle Burschenschafter rechtsextrem. Auch nicht einmal alle Mitglieder einer rechtsextremen Verbindung sind rechtsextrem. Da unterscheiden wir schon. Aber es gibt eben momentan heftige Fraktionskämpfe.
- Wir reden nur von Burschenschaften, war gibt es da im Bereich der Frauen?
Für die jungen Frauen aus deutschnationalem Hause gibt es die Mädelschaft, drei davon momentan meines Wissens in Wien.
Diese sind spiegelgleich zu den Burschenschaften zu sehen, auch deutschnational natürlich, aber nicht schlagend, denn das "Wehrhafte" passt nicht zum hier kultivierten Frauenbild. Hier haben wir es mit Frauen als die zu Beschützenden zu tun.
Der Mann ist der Beschützer, der durchs Fechten und durch seinen Schmiss die Bereitschaft zeigt, für das (deutsche) Vaterland sein Blut zu geben. Das steht der Frau nicht zu. Und Mädelschafterinnen trinken Wein statt Bier.
Dementsprechend haben wir es hier nicht mit einer feministischen Version von Burschenschaften zu tun.
- Exkurs: Ewald Stadler hat eine neue Partei gegründet und bedient sich am einer speziellen Schicht wie den Kufsteins, etc. Haben die auch einen Bezug dazu?
Ich kenne die konkreten Hintergründe nicht, aber es gibt insbesondere katholische österreichische Landsmannschaften, die weit rechts außen stehen. Die KÖL Josephina etwa, die gemeinsam mit den "Identitären", die wiederum aus den Burschenschaften kommen, Veranstaltungen macht. Es gibt eine relevante rechtskatholischer Fraktion - personifiziert etwa in Günther Schneeweiß-Arnoldstein, der die antisemitischen und homophoben Hetzseiten "Couleurstudent" und "kreuz.net" betreibt. Da gibt es seit jeher Allianzen.
Stadler kommt ja ursprünglich aus dem Deutschnationalismus, er war bei der Universitätssängerschaft Skalden in Innsbruck. Stadler auch einen Schmiss und dazu einmal gesagt: "Ich trage meine Gesinnung im Gesicht".
Er hat aber seit jeher gute Kontakt in den katholisch-fundamentalistischen Bereich. Und das dürfte auch hier der Hintergrund der aktuellen Bündnisbildung zur EU-Wahl sein.
- Gibt es gemischte CV-Verbände?
Es gibt katholische Verbindungen, die gemischt sind. Die dürfen aber nicht zum CV, weil der CV nur Männerverbindungen aufnimmt. Es gibt aber CV-Verbindungen wie die Norica, die sich eine Filiale "leisten" - Norica Nova -, die ist dann aber nicht beim CV.
- Am Freitag, 24. Jan. 2014 findet in der Wiener Hofburg der Akademikerball statt. Aus Ihrer Beobachtung: Was ist dieser Ball genau?
Das ist zunächst eine festliche Veranstaltung. Den Ball gibt es meines Wissens seit den frühen 50er Jahren - knapp vor Ende der Besatzung war der erste Ball im Konzerthaus. Seit Ende der 60er Jahren mit einer Unterbrechung Ende der 80er Jahren ist er skandalöserweise in der Hofburg. Woran sich lange niemand gestoßen hat. Auch wenn man den Listen der Ehrenschützer liest, wird deutlich, wie normal der Ball war. Das verweist auf die Kontinuität, welche der völkische oder deutsche Nationalismus und Antisemitismus über 1945 hinaus an der Universität aufweist. Wir dürfen nicht vergessen, dass der hochschulpolitische Arm der Burschenschaften, der RFS, bis Ende der 60ger Jahre auf rund 30 % der Stimmen kam. Erst in den 70er Jahren haben sie an Boden verloren. Und seit den 90er Jahren bläst ihnen richtiger Gegenwind entgegen.
Das andere hat rund um die Jahrtausendwende begonnen.
Da wird dieser Ball vor allem von Andreas Mölzer für seine Vernetzungstreffen mit Rechtsextremen aus ganz Europa genutzt. Andreas Mölzer ist aber kein Burschenschafter, sondern Corpsier (Akademisches Corps Vandalia). Gerade heuer nehme ich an, dass sehr viele von den extremen Rechten kommen werden. Also, von Le Pen abwärts. Weil wir ja im Mai die Wahlen zum Europäischen Parlament haben, wo diese Gruppen danach gemeinsam eine Fraktion bilden wollen.
Da geht es um Absprachen. Das ist die zweite, die eminent politische Funktion, die der Ball hat.
- Es ist heuer die Rede von einem Besucherschwund...
Dieser Besucherschwund ist ein Faktum, auch wenn es geleugnet wird.
Von 2012 auf 2013 gab es einen Besucherschwund 2.500/3.000 auf 800 Besucher.
Ich glaube und hoffe, dass die Zahl auch heuer weiter zurückgehen wird. Das ist natürlich zum einen das Ergebnis der Diskussionen und Proteste und zum Anderen -
...und das ist der Hauptfaktor - kommen die deutschen Corps mehrheitlich nicht zu einem Ball der FPÖ. Die sind zwar zum WKR-Ball gekommen, aber kommen nicht zu einem FPÖ-Ball.
Also das, was eigentlich als Frontbegradigung gedacht war - der Wechsel von WKR-Ball zu FPÖ-Akademikerball -, ist, zumindest was die zahlungskräftigen Corps aus Deutschland betrifft, nach hinten losgegangen.
- Gegründet wurde die Burschenschaft in Deutschland 1813. Deutschland war ein loser Staatenbund. Und wie auch auf politischer Ebene wollten sich die Studenten in Form von Burschenschaften breiter vereinen. Wenn wir heute zurückblicken - wie kann man das einordnen. I
Den Wunsch kann man einordnen, wie Karl Marx es sinngemäß formuliert hat: "Das Hallen des Gallischen Hahns drang über den Rhein." Die Französische Revolution hat ja bekanntlich sehr weit ausgestrahlt.
Es gab die Idee einer Nation und einer Demokratie in Verbindung mit der Nation. Die fiel auch in Deutschland zunächst auf fruchtbaren Boden.
Das Problem war, dass die revolutionären Prinzipien dann aber von einem militärischen Eroberer nach Deutschland gebracht wurden. Nämlich von Napoleon, Anfang des 19. Jahrhunderts: 1806 zerschlägt er das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.
Zu der Zeit hat es noch keine Burschenschaften gegeben, nur nationale Befreiungskämpfer.
Aber aus diesen Befreiungskämpfern, vor allem aus den einzelnen Einheiten wie z.B. den "Schwarzen" aus Gießen, die ganz radikal waren, werden letztlich Burschenschaften entstehen.
- Gründung, Befreiungskämpfe und Beobachtung II
Und das ist jetzt das Problem, wie so oft in nationalen Befreiungskämpfen.
Man blieb nämlich mehrheitlich nicht dabei, einfach gegen die Fremdherrschaft und für die Freiheit zu kämpfen, sondern, man bekämpfte auch ideologisch all das, für das Napoleon stand.
Das heißt: Gegen die Ideen von 1789, gegen Gleichheit, gegen Demokratie. Beim Wartburgfest wird der Code Napoleons, das erste Bürgerliche Gesetzbuch, verbrannt.
Wenn Napoleon das Reaktionäre repräsentiert hätte und nicht das Revolutionäre, dann wäre vielleicht aus der Gegenbewegung etwas Revolutionäres geworden. Das will ich denen nicht einmal zum Vorwurf machen.
Dieser Befreiungskampf war letztendlich erfolgreich, aber nicht dort, wo es darum ging, Deutschland zu einen. Es blieb zersplittert, es blieb absolutlistisch. Aus dieser Enttäuschung heraus gründen sich die Burschenschaften.
- Gründung, Befreiungskämpfe und Beobachtung III
In Deutschland kommt es früh zur Spaltung der Burschenschafterbewegung. Und ab 1830 - nach der nächsten Revolution in Frankreich - kommt ein neuer Schwung hinein: Das Hambacher Fest zum Beispiel ist eine wirkliche revolutionäre Erhebung. Zu dem Zeitpunkt waren Leute wie die völkischen Chefideologen Jahn oder Arndt an den Rand gedrängt. Da war die Burschenschafterbewegung wirklich so etwas wie demokratisch revolutionär und die Völkischen waren in der Minderheit. Aber 1848 scheitert der revolutionäre Flügel und über bleibt der völkische. Und darum finde ich es so demagogisch und letztklassig, wenn die Völkischen sich heute auf die demokratischen Revolutionäre von 1848 berufen. Weil, wenn sie diese Völkischen heute damals gelebt hätten, wären sie fast alle bei der anderen Fraktion gewesen. Da wären sie bei Jahn und bei all jenen gewesen, die damals dagegen gewettert haben, dass der Liberalismus, die "französischen Ideen" um sich greifen und Burschenschafter-Bewegung "verwelscht" oder "verjudet" sei.
Jahn, Arndt waren die völkischen Antreiber dieser Bewegung. Jahn hat auch die Liste der zu verbrennenden Bücher bei der ersten deutschen Bücherverbrennung auf der Wartburg erstellt. Wobei man damals schon darauf hingewiesen hat, bei wem es sich um einen "Juden" handle.
Also, wir haben schon die Ambivalenz in der Gründungsphase. Aber spätestens ab 1848, nach dem Scheitern der Revolution ist die Ambivalenz sozusagen nach einer Seite hin aufgelöst worden. Und diese Seite ist antidemokratisch, antisemitisch, völkisch-nationalistisch.
Und, ohne jetzt eine Zwangsläufigkeit zu behaupten, dem Nationalsozialismus den Weg bereitend.
Dieter Brader
Wien
Interview