1 subscription and 0 subscribers
Article

Oberkörperfrei, übergewichtig, fast 500.000 Abonnenten

Exsl95 macht YouTube-Videos, die an Asozialität kaum zu überbieten sind. 



Der Mann, der einen Künstlernamen trägt, der so klingt wie die veraltete Version eines Tabellenverarbeitungsprogramms, sitzt nun also in der sogenannten Nintendo-Lounge in einem abgesperrten Bereich auf dem Kölner Messegelände und hat auffällig schlechte Laune. Gerade erst hatte Exsl95 hier Zuflucht gefunden, sich eine kurze Atempause verschaffen können. Einfach mal kurz sitzen, die Akkus laden, nicht sinnbildlich, ganz real, eine Steckdose finden für die Ladekabel, Laptop, Smartphone, man kennt es, und zur Ruhe kommen von dem, was da draußen gerade so passiert, denn vor den improvisierten Wänden der sogenannten Nintendo-Lounge, ja, da passiert gerade jede Menge.


Es ist Donnerstag, der dritte Tag der Spielemesse Gamescom, und die Dinge laufen für Exsl95 ganz und gar nicht so, wie Exsl95 gehofft hat, dass die Dinge heute für ihn laufen würden. Er ist nicht bloß aus der YouTube-Lounge geflogen, er hat dort auch gleich ein Hausverbot ausgesprochen bekommen. „Blöd gelaufen“, resümiert er und erzählt, wie er in der YouTube-Lounge an einem Seminar für YouTuber teilgenommen hat, in welchem ein striktes Filmverbot herrschte. Exsl95 hat trotzdem gefilmt. Nämlich die Seminarleiterin, ein bisschen herangezoomt hat er und gesagt „geil“. Das hat er dann auf seinem Instagram-Account hochgeladen, daraufhin ein Bier geext, weil es sehr heiß war und Exsl95 sehr viel Durst hatte, und dann flog er eben raus. Ein Jahr ist das nun her.


„Jaa, war bisschen asi vielleicht“, sagte er damals. Bisschen asi vielleicht ist weniger Schuldeingeständnis als vielmehr Beschreibung von dem, was Exsl95 eben so macht, wenn er die Dinge macht, die ihn zu dem gemacht haben, was er heute ist. Exsl95 macht Videos. Für YouTube. In diesen Videos sitzt er häufig oberkörperfrei vor seiner Kamera und testet Fast Food, das er sich beim Lieferservice bestellt hat („Für das Gyros mit Sahnesoße vergebe ich fünf von fünf Exsl-Burgern“), präsentiert seine nicht ganz so gesunden Tages- und Wocheneinkäufe oder spricht über sein Leben mit einem kleinen Penis.


Da ist niemand, der sich hinter einer Kunstfigur versteckt

Man muss dazu wissen, dass Exsl95 ziemlich übergewichtig ist, man könnte auch sagen, er ist ziemlich fett, wie er das auch selber sagen würde. In Kommentaren bezeichnen ihn die User als dicken Butterberg, was er dann selbstironisch aufgreift und sich selbst dann eben auch als dicken Butterberg bezeichnet. Er macht seine vermeintliche Schwäche zu einem Witz, über den er mitlacht, sodass eigentlich niemand mehr über ihn lachen kann. Und das funktioniert. Exsl95 ist seit gerade mal eineinhalb Jahren auf YouTube unterwegs und hat bereits knapp 500.000 Abonnenten gewonnen.


Der Mann, der sich Exsl95 nennt, heißt natürlich nicht Exsl95, sondern Tobias Eckmeier, ist 24 Jahre alt und gelernter Elektroniker, aber zwischen Tobias Eckmeier und Exsl95 gibt es keinen großen Unterschied, denn die Dinge, die Tobias in seinem Leben so erlebt, landen meist ungeschnitten und ungeschönt auf dem YouTube-Kanal von Exsl95. Es gibt keinen Bruch, keinen doppelten Boden. Da ist niemand, der sich hinter einer Kunstfigur versteckt, sondern einfach nur jemand, der so lebt, wie er lebt, und dieses Leben dann mit dem Internet teilt. Die Videos, die Exsl95 macht, kann man ohne Probleme als Asi-Content bezeichnen. Das sagt er auch selber.


Und dieser Asi-Content steht gerade extrem hoch im Kurs. YouTuber wie Tanzverbot oder AdlerssonPictures bekamen in den vergangenen Jahren einen ungeheuren Zuwachs. In ihren Videos schönen sie nichts, sondern zelebrieren das Asoziale, den Dreck, das Fast Food, das Leben, wie es eben auch mal ist oder wie es auch mal sein kann, wenn man es nicht hinter einem Filter versteckt. Der Erfolg ist kein Zufall. Ende 2016 führte YouTube eine Neuerung ein und klassifizierte Videos nach Werbefreundlichkeit.


Wer seine Videos nicht mehr handzahm gestaltete, der bekam keine Werbung mehr auf seine Videos geschaltet, und wer keine Werbung mehr hatte, dem fiel fortan eine Einnahmequelle weg. In der Folge wurden die Videos, die die großen YouTuber machten, nun sehr viel freundlicher. Man verzichtete auf Schimpfwörter und richtete seinen Content den Werberichtlinien entsprechend aus. Etwa zu derselben Zeit begann sich im deutschsprachigen Raum eine Gegenbewegung zu bilden. Asi-Content. Und es gab einen Markt dafür.


„Maahlzeit“, ruft Exsl zurück

„Bitte gehen Sie jetzt“, sagt eine Nintendo-Mitarbeiterin, als sie erkannt hat, dass Exsl95 eigentlich gar nicht in die Nintendo-Lounge gehört. „Nur für Geschäftskunden“, sagt die Nintendo-Frau und wirft Exsl samt Entourage einfach raus, was erklärt, warum Exsl so schlechte Laune hat. Er hat nämlich keine Akkreditierung auf der Gamescom bekommen und somit keinen Rückzugsraum, und was das bedeutet, merkt man schnell, wenn man mit ihm über das Gelände geht. „Yo, das ist doch Exsl!“, ruft einer der Jugendlichen. „Maahlzeit“, ruft Exsl zurück, dann macht er Fotos mit den Fans. Selfie für Selfie. Es sind sehr viele Selfies, weil Exsl sehr oft erkannt wird, denn klar, er ist sehr schwer zu übersehen, aber dazu kommt, dass er eben auch wirklich geliebt wird.


Bevor Exsl YouTube-Videos machte, wurde er über seine Livestreams auf Twitch bekannt. Jeden Samstagabend setzte er sich vor den Rechner, zockte ein Spiel und betrank sich dabei. Das hätte er so oder so gemacht, erzählt er, mit dem einzigen Unterschied, dass er nebenbei eine Kamera laufen ließ, die eben alles ins Internet übertrug. Und plötzlich waren da Leute, die ihm zuschauten, Leute, die an einem Samstagabend eben auch nichts anderes zu tun hatten, als alleine zu Hause zu sitzen, Spiele zu spielen und sich zu betrinken, und plötzlich wurde man Teil einer Gemeinschaft aus Einzelgängern. Das schweißt bis heute zusammen, auch weil Exsl trotz seines virtuellen Erfolgs einer von ihnen geblieben ist, von den vermeintlichen Außenseitern.


Die Parallelwelt von YouTube

Nach einer halben Ewigkeit findet die Exsl-Entourage dann doch endlich noch eine Zuflucht. In der Presselounge. Exsl lässt sich in einen Ledersessel fallen und beißt in eine Wurst, die wir ihm als Bestechung mitgebracht haben, damit wir ihn begleiten dürfen. Dann erscheint ein Mann mit einer Halbglatze und einem Holzfällerhemd, und der Mann mit der Halbglatze und dem Holzfällerhemd ist nicht irgendein Mann, der hier gerade erscheint, der Mann ist eine kleine YouTube-Koryphäe. Er nennt sich HerrNewstime und berichtet auf YouTube über das, was auf YouTube passiert. Welcher YouTuber also mit welchem YouTuber seinen Streit öffentlich auf YouTube austrägt.


„Maaahlzeit, Newsi“, begrüßt Exsl HerrNewstime, denn Herr Newstime wird von Fans und Freunden liebevoll nur Newsi genannt, lässt sich in einen der schweren Lederstühle fallen und begrüßt die Runde. Dann beginnt er zu erzählen, was er heute alles erlebt hat. Den Tanzi habe er getroffen. Tanzi heißt eigentlich Tanzverbot und ist ebenfalls ein Asi-YouTuber. Wenn man so will, dann ist Tanzverbot das etwas harmlosere Vorgängermodell von Exsl95.


Tanzi, so erzählt Newsi, stand gerade auf der Bühne und habe ihn, HerrNewstime, im Publikum gesehen und erkannt und dann einen Security beauftragt, ihn auf die Bühne zu ziehen, damit sie dann gemeinsam auf der Gamescom-Bühne tanzen können, der Tanzi und der Newsi, dabei haben sie sich noch nie im Real Life getroffen bisher, wie der Newsi sagt. Über das Internet kannte man sich aber schon. Natürlich. „Wisst ihr was?“, fragt HerrNewstime und klopft dann auf sein Handy. „Ich frage den Tanzi einfach mal, ob er vorbeikommen will.“


Dann schickt er ihm eine WhatsApp-Nachricht. HerrNewstime, das muss man dazu sagen, ist Anfang 30, sieht aber aus wie Mitte 40 und wirkt somit wie der etwas unangenehme Onkel der YouTuber, mit denen er sich umgibt. Wer in die Welt von YouTube abtaucht, taucht ab in eine merkwürdige Parallelwelt. Kaum jemand, der die Volljährigkeit erreicht hat, wird die Stars der Szene kennen oder erkennen, und dennoch sind viele YouTuber eben doch genau das: moderne Stars. Haben Millionen Follower, ihre eigenen Medien, ihre eigenen Kanäle. Auf jedem Schulhof wird man wissen, wer Tanzverbot, Exsl95 und HerrNewstime sind und gleichzeitig nie etwas von Thorsten Schäfer-Gümbel, Malu Dreyer oder Manuela Schwesig gehört haben. Das ist eben Deutschland 2019.


Die Sache mit der sexuellen Belästigung

Während Exsl seine zweite Wurst noch isst, kommt ein Mädchen zu ihm. Eine Reporterin. Oder eine YouTuberin. Vielleicht auch eine YouTuberin, die Journalistin ist, so genau wird das nicht klar, aber eigentlich ist das auch egal. Sie setzt sich zu Exsl und erzählt ihm, dass sie es cool finde, ihn endlich mal zu treffen, sie habe schon einmal bei Twitter mit ihm geschrieben. Exsl scheint sich nicht zu erinnern. „Habe ich dich da sexuell belästigt?“, fragt er die Journalistin, die auch eine YouTuberin sein könnte. „Ich glaube nicht“, antwortet sie etwas verwirrt.


Exsl fragt diese Frage viele Frauen, die mit ihm Fotos machen wollen. Er fragt sie das in dem Ton, in dem Exsl so was eben fragt. Es meint das lustig, und eigentlich ist es auch lustig, und dennoch hat er nicht so viel Glück mit den Frauen. Über das Internet hatte er mal jemanden kennengelernt, ein Mädchen, man war zusammen, kurz, ein paar Tage, das Mädchen war dann schwanger, aber nicht von ihm. Das lief ziemlich mies. „Richtige Schlampe eigentlich“, sagt Exsl. Vielleicht ist auch gerade das sein Erfolgsrezept, der Grund, warum man diesem Jungen so gerne zusehen mag. Es wird nie langweilig mit ihm.

Original