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Coronakrise: Letzter Ausweg Jobcenter

Das Portemonnaie ist leer, das Konto im Dispo. Erwerbstätige Studierende in Deutschland trifft die Coronakrise besonders hart. Sie beziehen oft kein BAföG, müssen länger studieren und Nudeln waren für sie schon vor der Pandemie ein lebenswichtiges Nahrungsmittel. Welche Folgen hat die Krise für jobbende Studierende? Wie fühlen sie sich? Und was macht eigentlich das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), um sie zu unterstützen?

„Keine Rückmeldung, keine Angebote, keine Kündigung", seufzt Flora* in den Skypebildschirm. Sie sitzt in ihrer Küche. Die 21-jährige Sozialwissenschaftsstudentin der Universität Köln, die dual eine Ausbildung zur Journalistin macht, hat „auch einen ganz normalen Nebenjob in der Gastronomie". „In einem Zeitarbeitsunternehmen, das tageweise Servicekräfte für Veranstaltungen vermittelt", erzählt sie. Als die COVID-19-Pandemie sich in der Bundesrepublik ausbreitet, meldet sich das Unternehmen nicht mehr.

„Ich habe gerade keine Kohle übrig, weil ich keine Einkünfte aus dem Job habe. Es ist für mich unterschwellig permanenter Stress", berichtet Flora. Rund 600 Euro bekommt sie von ihren Eltern, 450 Euro verdiente sie durch den Minijob. Und sie wohnt in einer solidarischen WG „mit Futterkasse". Wer mehr verdient, gibt mehr in die Kasse. So finanziert die WG Essen und Trinken. Ohne die Unterstützung könnte sie ihre Miete nicht mehr zahlen. Jeden Monat hat sie mit Lebensmitteln 575 Euro Fixkosten, ohne einen Cent für Freizeit auszugeben. 25 Euro hat sie in der aktuellen Situation für sich übrig.

Ein ständiger Begleiter

„Der letzte Gang geht zum Jobcenter." Viktor* ist skeptisch. Noch bis Ende April arbeitete er in einem Museum als studentische Hilfskraft. Dann endete sein Vertrag wie geplant. Seit Januar sucht der 33-jährige Geschichtsstudent der Universität Duisburg-Essen (UDE) erfolglos einen neuen Job. „Mein Geld reicht noch bis Ende Mai."

25.000 Euro Schulden hat er bereits über BAföG und einen anderen Kredit aufgenommen. Rund 600 Euro Fixkosten muss er monatlich zahlen - ohne Lebensmittel und Kredite. „Netto verdiene ich bis Ende April 1.035 Euro pro Monat", sagt er. Einmal die Woche spendet er Blutplasma an die Uniklinik, „um ein bisschen was zurückzulegen." Und Geld vom Jobcenter? Bekommt er nur im „Härtefall". Andernfalls muss er sich exmatrikulieren oder ein Urlaubssemester nehmen.

Zurzeit schreibt Viktor seine Masterarbeit. Sein „ständigen Begleiter" ist die Frage, ob er das Studium abbrechen muss. Sein Abgabetermin wurde immerhin um einen Monat, auf den 9. Juli, verschoben. „Trotz der Fristverlängerung muss ich bis Ende Mai fertig sein, damit ich ab Juni arbeiten und Ausgaben wie Miete und Strom decken kann", sagt er. Solange die Stadtarchive geschlossen sind, ist das unmöglich. Seinen Vermieter will er für Juni um Aufschub bitten. Seine Existenz wird zur Prioritäten-Frage: Studium zu Ende bringen oder einen beliebigen Job annehmen? „Das setzt mir sehr zu und ist die allerletzte Option, obwohl ich kurz vor dem Abschluss stehe", ärgert er sich.

Keine Zuschüsse, noch mehr Schulden?

In der Kritik von Studierendenverbänden steht die Bildungs- und Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU). Seit dem Ausbruch der Pandemie Mitte März fehlt vom Bund finanzielle Hilfe. Die Ministerin hat Studierende aufgefordert, BAföG zu beantragen, und ein Darlehen für Betroffene vorgeschlagen, die nicht BAföG-berechtigt sind. Betroffene und Studierendenverbände sehen das kritisch. Sie fordern einen Sofortzuschuss von 3.000 Euro.

55.000 Menschen haben eine Petition vom Landes-ASten-Treffen NRW unterschrieben. „Dass das nicht umgesetzt wurde, überrascht mich nicht", sagt Amanda Steinmaus aus dem Vorstand des Studierendenverbands fzs (freier zusammenschluss der student*innenschaften). Sie kritisiert: „Es gibt kein Bewusstsein dafür, wie prekär die Lage ist. Viele Studis wissen nicht, wie sie ihr Essen finanzieren sollen. Es gibt eh schon das Klischee, dass sie von Nudeln und Ketchup leben."

Wie viele Studierende genau von Jobverlust und finanzieller Not betroffen sind, ist unklar. Ein Hinweis auf das Ausmaß: In der Petition zum Sofortzuschuss geben 67 Prozent der Unterzeichnenden an, von finanzieller Not betroffen zu sein. Und unter der Petition gibt es bereits über 18.000 Kommentare, viele von Betroffenen. Die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks von 2016 zeigt zudem, dass rund 59 Prozent „der erwerbstätigen Studierenden auf eigenen Verdienst zur Bestreitung des Lebensunterhaltes angewiesen" sind. Das sind über eine Millionen Studierende. Wenn „nur" fünf Prozent der Studierenden ihren Job verloren haben, wären schon über 50.000 Menschen betroffen.

Das BMBF schweigt nicht zur Lage, gibt aber auch keine konkreten Antworten. „Wie hoch soll das Darlehen sein? Warum haben Sie sich für ein Darlehen entschieden, statt für einen Zuschuss? Wie soll das unbürokratische Darlehen abgerufen werden können? Zu welchen Konditionen soll es zurückbezahlt werden? Will das Ministerium BAföG für alle Studierenden öffnen?"

Diese Fragen haben wir dem Ministerium gestellt. Pressesprecher Volker Abt antwortet: „Studierende, die aufgrund der Corona-Pandemie durch einen Jobverlust in finanzielle Engpässe geraten, brauchen in der gegenwärtigen Ausnahmesituation eine unbürokratische, schnelle und wirksame Unterstützung. Dafür ist ein zinsloses Darlehen als Überbrückungshilfe vorgesehen. Die Gespräche und organisatorischen Vorbereitungen zu diesem Thema laufen aktuell unter Hochdruck."

Hoffen, durch die Krise zu kommen

„Ja, ich fühle mich alleine gelassen", sagt Flora. „Ich habe BAföG beantragt und stecke viel Hoffnung in diesen Antrag. Für das nächste Semester habe ich mich auf ein Stipendium beworben", erzählt sie. Schulden wollte sie eigentlich nicht aufnehmen. Aus Mangel an Alternativen bleibt ihr nichts anderes übrig. 250 Euro stünden ihr pro Monat zu, wenn ihr BAföG-Antrag angenommen wird. Abseits von ihren Sorgen weiß sie, dass es andere härter treffen könnte als sie selbst: „Ich habe am 20. des Monats noch was zu essen." Den Darlehensvorschlag der Ministerin findet sie zwar „ganz nett, aber wie sollen die Studis das danach zurückzahlen?"

Vor genau dieser Frage steht Viktor. Schon vor der Pandemie hat er angefangen, seine Kredite zurückzuzahlen: „Ich will meine Schulden nicht noch weiter erhöhen. Diese Krise betrifft uns ja alle. Ich finde es nicht in Ordnung, dass Teile der Gesellschaft noch mehr Schulden aufnehmen müssen, als sie eh schon haben. Irgendwann möchte ich doch davon loskommen", beklagt er. Er fürchtet, dass die Arbeit, die er ins Studium gesteckt hat, für die Katz war. Dennoch betont er: „Ich versuche positiv zu bleiben und hoffe, dass meine Masterarbeit Ende Mai fertig ist."

*Namen von der Redaktion geändert
Original