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Die Opfer und ihr Richter

Anschaulich: Das Hanauer Landgericht sieht sich den Tatort in Maintal an einem Verhandlungstag an. (© Wonge Bergmann)

Selten wird so schlecht über die Opfer einer Straftat gesprochen wie über das in Maintal getötete Ehepaar Klock. Vor Gericht scheinen alle Rollen verdreht. Wie konnte das passieren?


Über Harry Klock heißt es, er sei ein Schlägertyp gewesen, einer, der gut mit Tieren konnte, aber nicht so gut mit Menschen. Über Klaus-Dieter B. sagt ein psychiatrischer Gutachter, er sei ein besonnener Mensch. Harry Klock ist tot, Klaus-Dieter B. sitzt zusammen mit seinem Sohn Claus Pierre auf der Anklagebank des Hanauer Landgerichts. Die beiden haben Harry Klock und seine Frau Sieglinde umgebracht. Manche behaupten, es hätte auch gut andersherum sein können.


Meistens studiert Nicole Rondinelli vor Gericht das Geschehen in ihrer Trinkflasche. Manchmal, wenn besonders schlecht über ihre Eltern geredet wird, fragt sie ihren Anwalt, ob man nicht etwas machen könne. Rondinelli ist die Tochter von Harry und Sieglinde Klock, auf Facebook veröffentlicht sie Fotos von den beiden und schreibt dazu: „Hier wird leider mit allen Mitteln gearbeitet, dass die Täter mit einer milden Strafe herauskommen." Tatsächlich sind die Rollen von Opfer und Täter, von Anwälten und Nebenklage in diesem Fall seltsam verdreht. Wie ist es dazu gekommen?


Leichen erst nach vier Monaten gefunden

Im Juni vergangenen Jahres verschwand das Ehepaar Klock, schnell kamen Vater und Sohn B. in Haft. Sie waren Klocks Untermieter auf der „Main River Ranch", einem heruntergekommenen ehemaligen Pferdehof in Maintal. Dort fand die Polizei das Blut des Paares, doch die beiden Verdächtigen schwiegen. Eine Sonderkommission wurde gegründet, erst aus fünf, dann aus zehn, schließlich aus zwölf Personen. Taucher suchten tagelang den nahegelegenen Main ab, doch Klocks blieben verschwunden. Erst vier Monate später verrieten die beiden B.s das Versteck der Leichen: ein Haufen Pferdemist auf der Ranch. Die Polizei, die das 100 Quadratmeter große Gelände schon zigmal durchsucht hatte, sagte, die Spürhunde hätten wegen des Uringeruchs nicht angeschlagen.


Seit März wird vor dem Landgericht in Hanau verhandelt. Vater B., 60 Jahre alt, ist wegen Mordes angeklagt, sein 30 Jahre alter Sohn wegen Totschlags. Sie sollen das Ehepaar wegen Mietstreitigkeiten umgebracht haben: Harry Klock mit 17 Messerstichen, Sieglinde Klock mit zwei Schüssen. Der Prozess sollte schon längst zu Ende sein, aber etwa eine Frau, die am Tag, als Klocks starben, auf ihrer Sonnenliege döste, wurde schon dreimal als Zeugin gehört. Es geht um die Frage, ob Vater und Sohn aus Notwehr gehandelt haben. Und immer wieder darum, welche Menschen die Getöteten eigentlich waren.

Angeklagte seien wie Sklaven gehalten worden

Harry Klock war ein Westernfan. „American Horse Ranch" hieß sein Grundstück am Main früher. Er hielt dort Pferde, es gab Ponyreiten, und die Eltern der Kinder, die zum Hof kamen, sagen, dass Klocks „herzensgute Menschen" gewesen seien. Die, die Harry Klock unter anderem aus einem Westernverein vom Frankfurter Lohrberg kennen, sagen, er habe gut mit Tieren gekonnt, mit Menschen eher nicht. Als einer seiner Hunde eine Frau in den Oberschenkel biss, soll er gesagt haben, sie solle sich nicht so haben.


Dazu, welche Menschen die waren, die ihren Vater und ihre Mutter getötet haben, hat die Tochter Nicole Rondinelli nachgeforscht. Sie erzählt davon, wie die beiden sich immer mit einem großen Messer ihr Brot abgeschnitten hätten, führt Zeugen dafür an, dass die beiden Angeklagten gewalttätig seien und Betrüger. Vor Gericht fand sie damit kein Gehör. Ihre Anwälte stellten erfolglos einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter, etwas, das Verteidiger häufig, Nebenklage-Anwälte aber so gut wie nie tun. Bekannte der Klocks haben einen offenen Brief geschrieben, um „das Gericht davon zu überzeugen, dass weder Harry noch Sigi gewaltbereit, böse oder beleidigend waren".


Es gibt viele, die das Gegenteil behaupten. Einer davon ist Claus Pierre B., der jüngere der beiden Angeklagten. Per Hand hat er in der Haft 400 Seiten vollgeschrieben. Es geht darin um sein Leben auf der Ranch. Er habe sich um die vier Hunde der Vermieter kümmern müssen, es habe kein warmes Wasser gegeben, er und sein Vater seien wie Sklaven gehalten worden, es habe häufiger Streit um die Miete gegeben. Die sieben Ziegen der Klocks hätten verfaulte Zehen gehabt, und als er sich um die Tiere gekümmert und sie liebgewonnen habe, hätten die Eheleute ihm das Veterinäramt auf den Hals gehetzt.

Sieglinde Klock habe B. mit Beil angegriffen

Die Situation eskalierte im Sommer 2014. Dem Ehepaar war selbst vom Eigentümer des Grundstücks gekündigt worden, angeblich ging es um illegal abgeladene Erde, Klock arbeitete nebenher als Baggerfahrer. Vater und Sohn B. wollten auf dem Areal wohnen bleiben und nahmen sich einen Anwalt. Die Angeklagten sagen, Harry Klock sei deswegen wütend gewesen. Die Tochter von Harry Klock sagt, ihr Vater habe das gar nicht gewusst, die Post vom Anwalt traf nachweislich erst eine Woche nach dem Tod des Ehepaars ein.

Am Mittag des 6.Juni 2014 fuhren die Klocks zur Ranch, laut Polizei wollten sie die ausbleibende Miete holen. Claus Pierre B. sagt, Harry Klock sei direkt auf ihn losgegangen. Er, B., habe Klock sein Messer abnehmen können und dann, wie im Wahn, zugestochen. Sieglinde Klock habe ihn ebenfalls angegriffen, mit einem Beil, deshalb habe sein Vater Klaus-Dieter sie mit zwei Schüssen getötet. Die Waffe wollen sich die beiden zugelegt haben, weil sie schon lange Angst vor den Klocks gehabt hätten.


Es wäre leicht, die Geschichte als Schutzbehauptung abzutun. Harry Klock war zwar wie seine Frau schon 57Jahre alt, aber Kampfsportler und Claus Pierre B. körperlich überlegen. Konnte der Jüngere einen Kampf überhaupt gewinnen? Claus Pierre B. behauptet, Klocks Hunde hätten während der tödlichen Rangelei gebellt. Kann es sein, dass die einzige Ohrenzeugin der Tat auf dem Nachbargrundstück weder das Bellen noch Schreie gehört hat, obwohl jeder sagt, dass man Sieglinde Klocks Stimme schon unter normalen Umständen deutlich gehört habe?


Die Aussage eines Tierarztes wendet den Prozess

Anfangs waren die Zweifel an der Geschichte in Gericht und Öffentlichkeit zu spüren, doch die Stimmung kippte, als ein Tierarzt aus Langenselbold in den Zeugenstand trat. Fünf-, sechsmal war der Arzt auf der Ranch. Vor Gericht erzählte er, wie die Klocks Vater und Sohn stets schlecht behandelt hätten. Wie sie ihre Untermieter als geisteskrank bezeichnet und rumkommandiert hätten. Wie Harry Klock mit seinen Betrügereien geprahlt habe. Der Tierarzt bezeichnete Klock als „Schlägertyp", mit dem man besser keinen Streit anfange. „Als ich gehört habe, dass auf der Ranch zwei tot sind, dachte ich, es wären die B.s."

Der Tierarzt sagt selbst, er hatte nur einen kleinen Einblick, und seine Meinung über Harry Klock sei ein Vorurteil. Dennoch sind seine Worte deutlich. Hatte er noch eine Rechnung offen? Ja, sagt der Veterinär, die Klocks hätten ihn seinerzeit nicht bezahlen wollen, aber das habe er nicht mit sich machen lassen. Er sagt, der Streit zwischen den Klocks und den Angeklagten schwelte schon lange, und dass er so übel ausgegangen sei, das beschäftige ihn bis heute. Vor allem Claus Pierre B. wünsche er, dass er mit einem blauen Auge aus der Sache herauskomme.


Nach der Aussage des Tierarztes lief der Prozess in eine andere Richtung. Gegen die Opfer, für die Täter. Ein Gutachter bescheinigte Klaus-Dieter B. einen „besonnenen Charakter", der in den Schüssen auf Sieglinde Klock womöglich nur einen letzten Ausweg sah, um seinen Sohn zu retten. Bei Claus Pierre B. hält der Psychiater eine Schuldunfähigkeit für nicht ausgeschlossen, da er die 17 Stiche gegen Harry Klock in Panik gesetzt haben könnte.


Eine einzige Ohrenzeugin für die Tat

Ein Polizist sagte, gegen Harry Klock seien 30 Mal Ermittlungen eingeleitet worden. Es wurde geredet, dass die Familie notorische Betrüger gewesen seien. Es hieß, Harry Klock habe Heulieferanten nicht bezahlt, Spielschulden gehabt und auf der Ranch Cannabis angebaut. Die einzige Verurteilung von Harry Klock jedoch, die in den Prozess eingebracht worden ist, stammt aus dem Mai 2008. Damals hat er seine Mutter um Geld betrogen.

Die Klocks sind öffentlich schlecht beleumundet, ob das stimmt, was man über sie sagt, ist nicht ausgemacht. Vieles, was Claus Pierre B. aus der Vorgeschichte mit den Klocks erzählte, wird von Zeugen bestätigt. Es gibt Spuren, die für seine Geschichte sprechen. So sagt beispielsweise die Gerichtsmedizinerin, dass die Stiche an Harry Klock dazupassen. Die Anwälte von Nicole Rondinelli finden, da passt nichts zusammen - jedenfalls nicht mit dem, was die einzige Ohrenzeugin sagt: Andrea S., die Frau, die während der Tat auf dem Nachbargrundstück in der Sonne döste.


Lebenslange Haft für Vater gefordert

Sie sagt, sie habe an dem Tag nichts gehört, außer zwei Knallgeräuschen, die sie später als Schüsse identifizierte. Kein Bellen, keine Schreie, gar nichts. Dreimal war sie vor Gericht geladen, dreimal wiederholte sie ihre Aussage, wenn sie auch im Detail von ihren Aussagen bei der Polizei abwich. Es gab sogar einen Ortstermin, bei dem erwiesen wurde, dass etwaiges Gebell auf dem Nachbarhof sehr gut zu hören ist. Wenn Andrea S. sich richtig erinnert, dann dürfte die Geschichte von Claus Pierre B. nicht stimmen. S. war keine Freundin der Klocks, eher im Gegenteil, sie hat also keinen Grund, aus Gefälligkeit für sie zu sprechen.


Die Staatsanwaltschaft fordert für Klaus-Dieter B. eine lebenslange Strafe wegen Mordes, für Claus Pierre B. sieben Jahre und sechs Monate Haft wegen Totschlags. Die Höhe der Strafe für Claus Pierre und Klaus-Dieter B. wird auch davon abhängen, ob das Gericht Andrea S. glaubt. Am Mittwoch soll das Urteil fallen. An einem der letzten Verhandlungstage wurden auf Antrag der Anwälte der Angeklagten eine Reihe von Einstellern des Pferdehofs neben der Ranch befragt. Sie alle sagten, Klocks Hunde hätten immer gebellt, man habe das schon gar nicht mehr wahrgenommen.

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