Bei der Single-Tour am Flughafen sind angeblich alle nur zufällig da. Und weil keiner zugeben will, dass er eigentlich nach etwas sucht, findet auch niemand etwas.
Zum Glück ist Rucola im Saft, das rettet über die ersten drei Minuten. Kermit findet, Gemüse im Fruchtsaft, das sei nicht normal. Jane sagt, Rucola habe ja so eine besondere Würze. Und Ken trinkt den Erdbeermix. Der ist ohne Rucola und habe die schönere Farbe. Dann sind die drei Minuten um. Kermit sagt, dass die S-Bahnen echt voll waren heute. Jane kratzt den Zuckerrand vom Glas mit dem Rucola-Bananen-Mix und überlegt. „Ja, ziemlich voll, das Gefühl hatte ich auch."
Jane, Kermit und Ken warten auf den Beginn der Single-Tour am Flughafen, eine Dämmerlicht-Rundfahrt an den Landebahnen, flackerfreie LED-Lichter statt Kerzenschein, aber hey: Der Flughafen, das wissen ja viele gar nicht, ist von einem Internetportal zum „Airport of Love" gekürt worden, was bedeuten soll, dass man dort besonders gut flirten kann. Oder eben besonders schlecht, wenn man es muss. Jane, Kermit und Ken haben aber sowieso etwas Wichtiges noch nicht verstanden.
Soziologen haben das Single-Leben als erstrebenswertes Ideal entdeckt. Es heißt, Alleinlebende seien die zufriedeneren, sozialeren, glücklicheren Menschen. Der Amerikaner Eric Klinenberg, Autor der Single-Bibel „Going Solo", fand heraus, dass Singles nützlich sind, weil sie sich häufiger ehrenamtlich engagieren. Und die Bücher der Soziologin Eva Illouz lesen sich so, als sei die Liebe heutzutage gar nicht mehr so das große Ding.
„Ist das hier diese Tour?" Die Frau dehnt das „diese", es taugt nur schlecht zum Stöpsel für das Loch, das das unausgesprochene Wort „Single" in ihren Satz gerissen hat. Ein Wort, das wohl das am wenigsten benutzte Wort überhaupt ist auf Single-Partys: Es kommt durchschnittlich null Mal vor. Ja, das ist „diese" Tour und dort hinten bei Norbert, da kann man die Schildchen aus den Tütchen ziehen. Auf denen stehen Namen wie Jane, Kermit und Ken sowie die ihrer Partner: Tarzan, Miss Piggy und Barbie.
Dann geht es los, und Jane hat geahnt, was und wer jetzt kommt. Sie hat ihn sogar schon gesehen. Ein bisschen abseits guckt er konzentriert in sein Fruchtsaftglas und stochert mit dem Strohhalm im gelb-grünen Rest. Tarzan hat nach hinten gegelte Haare und trägt eine Steppjacke. Aber vielleicht ist er ja ein glücklicher Mensch.
Norbert sagt, die Damen müssen im Bus am Fenster sitzen und die Herren am Gang. Auf den Sitzen liegt je ein Pappherz, da kann man drauf schreiben, wen man unbedingt kennenlernen möchte. Barbie mag Ken nicht so gern, sie würde lieber neben dem großen, jungen Mann mit den sanften Augen sitzen, den sie beim Saftempfang eben schon umlagert hat. Der trägt kein Namensschild, und unter den vielen mit ihrer zur Schau gestellten Verzweiflung ist er verdammt attraktiv. Er gehört zum Flughafenpersonal und sieht so aus, als wäre er gern woanders. Barbie guckt, als würde sie eine Kaugummi-Blase machen, nur ohne zu kauen, aber es hilft nichts: Sie gehört zu Ken.
Tarzan ist ein netter Mensch, er entschuldigt sich jedes Mal, wenn er sich über Jane lehnt, um die Flugzeuge durch die Busscheibe zu fotografieren. Boeing 747-8. Boeing 747. Tarzan sagt, er habe diese Tour von Freunden geschenkt bekommen. Boeing 787, geflogen von Air India und Ethiopian Airlines. „Wer will, kann hier noch nach Addis Abeba umsteigen." Reiseleiter Nobert sagt so etwas gern, macht Witze über Kassel-Calden und über, jaja, den Willy-Brandtschutz-Flughafen.
Am Kerosintank müssen die Herren aufstehen. Jeder rückt drei Plätze weiter. Neben Jane landet Franz, er kommt gerade von Sissi und interessiert sich nicht für Flugzeuge. Er fragt und fragt und erzählt und erzählt: Software-Entwickler ist er, aus Russland, geboren an der Wolga, da wo auch Lenin herkommt. Franz sagt, er sei hier, weil er gern neue Menschen kennenlerne.
Ach, Franz. Du bist also zufällig hier, so wie die anderen auch, an einem Donnerstag pünktlich um 18 Uhr, parfümiert und im frisch gewaschenen Hemd? Jane sagt, dass sie zu oft allein sei und deshalb hier. Franz zeigt auf die Halle mit den Airbus 380. Die steht heute offen, ein Glückstag, das passiert sonst nie.
Alleinsein, das ist trotz der schönen, neuen Worte in den Büchern und Magazinen immer noch ein Makel, und unter denen, die auch allein sind, fällt er nur noch mehr auf. Ist ja auch kein Wunder, da braucht Franz in seinem Mobiltelefon nur das soziale Netzwerk Facebook aufrufen, da ist das Dilemma mobil verfügbar: Partys, Urlaub, Sonnenuntergänge. Das ganze Leben der anderen. Dass einer einsam ist, steht da nicht, da können Klinenberg und Illouz noch so klug gegen anschreiben: Allein ist doof.
Alkohol und FrühlingsrollenSingle-Partys sind ein Phänomen der späten neunziger Jahre. Damals wurden die Fisch-sucht-Fahrrad-Partys in Berlin erfunden, die später auch alle sechs Wochen im Südbahnhof in Sachsenhausen gefeiert wurden. Dann kam lange nichts. Deshalb sei es jetzt wieder an der Zeit dafür, finden Party-Veranstalter. Vielleicht ist auch die inzwischen dauernde Präsenz der Glückseligkeit der anderen die Ursache für die Renaissance des Single-Feierns. Im Oktober bekommt Frankfurt wieder eine wöchentliche Single-Party, veranstaltet im Velvet-Club in der Innenstadt.
Am Flughafen geht's erst einmal raus aus dem Bus und ran an den Sekt. In der Bar des Sheraton Hotels gibt es Alkohol und Frühlingsrollen. Mickey hat Minnie verloren, und Cäsar übersieht Kleopatra auffällig, aber weil Mickey 40 Mal im Jahr Rundfahrten am Flughafen macht und Cäsar in der Branche arbeitet, sind die beiden an dem Abend das Paar, das den ehrlichsten Spaß hat.
Jane gehört zu Tarzan und wartet mit ihm auf den Sekt. Plötzlich schiebt sich Franz mit zwei Gläsern dazwischen und drückt Jane eines davon in die Hand. „Prost." Ein beeindruckender Diebstahl. Ein schönes Einzelstück an diesem Abend. Zum Flirten waren wir ja aber auch nicht hier, das wäre ja traurig.
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