1 subscription and 1 subscriber
Article

Der Mann, der überall seinen Kopf hinhält

Huber auf seinem Balkon: Er hat sich eines der begehrten Eckbüros im Abgeordnetenhaus erstritten - mit dem Argument, er empfange so viele ausländische Gäste. © MATTHIAS LÜDECKE

Charles M. Huber war früher Schauspieler, jetzt ist er im Bundestag. Mit seinen früheren Parteikollegen der CDU in Darmstadt hat er sich zerstritten. Und sonst? Zeit für ein Zwischenfazit.

Gleich will Charles M. Huber die Flüchtlingskrise lösen, doch in dem Raum, in dem das passieren soll, sind sie darauf nicht vorbereitet. Deswegen wird es jetzt hektisch. Stühle werden gerückt, Kicker und Tischtennisplatte zur Seite geschoben, ein Tisch wird herangeschafft. Huber nimmt daran Platz, als wäre er der einzige Teilnehmer eines Podiums. Vor sich im Halbkreis: Männer, Frauen, Kinder, vielleicht 50 Zuhörer, alles Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in Mühltal, 20 Kilometer hinter Darmstadt.

Huber faltet die Hände vor sich, dann hebt er an: „Ich bin hier, weil ich Ihnen das sagen will, was ich Ihnen sage, bevor es Ihnen jemand anderes in einem anderen Ton sagt." Auf seinen Zettel hat er Stichpunkte geschrieben: Religion. Rechtsverständnis. Disziplin. Sie sind in die Ecke einer Ausschussvorlage für den Bundestag gekritzelt, Huber hält den Zettel so, damit man sehen kann: dass er das Gerüst für seine Ansprache mal schnell, vielleicht während der Herfahrt auf dem Beifahrersitz eines Sportwagens, auf etwas darauf geschrieben hat, was von seinem hektischen Berliner Alltag gerade herumlag.

Vom Darsteller zum Selbstdarsteller

Huber wirkt geschäftig, und Wirkung ist wichtig für ihn. Er ist vom Schauspieler zum Bundestagsabgeordneten, vom Darsteller zum Selbstdarsteller geworden. Fast täglich produziert er Selfies für sein Facebook-Profil, das Muster ist immer gleich: Hubers Kopf vor einem runden Tisch in Berlin, vor einem Weihnachtsbaum in Washington, vor einem Café in Addis Abeba. Er zeigt allen, wo er war. Aber er sagt niemandem, was er dort gemacht hat. Was kann so einer im Bundestag erreichen? Zeit für ein Zwischenfazit nach zwei Jahren.

Es ist ein trüber Abend im Oktober, an dem Huber das ehemalige Tagungshotel in Mühltal besucht, das jetzt Flüchtlingsunterkunft ist. Dort doziert er über die Rolle der Frau und über die duale Berufsausbildung. Es sind vernünftige Sätze, gewaltig ausgebreitet auf 30, 40 Minuten, dann ist eine Stunde um und der Übersetzer muss zur Toilette. Huber wechselt ins Englische, er ist noch nicht fertig mit seiner Deutschland-Erklärung. Er hält sie für das Wichtigste in diesen Flüchtlingstagen, „denn so wird auch die Integration vonstattengehen". Als der Übersetzer wiederkommt, sagt Huber den Zuhörern: „Es ist meine Aufgabe und es war mir ein Herzenswunsch, zu Ihnen zu sprechen." Er sagt das oft: „zu Ihnen", „vor Ihnen". Es ist jedes Mal so, als würde er die Weihnachtsansprache im Fernsehen halten.

Mit den Parteikollegen der CDU in Darmstadt ist er zerstritten

Huber, Bayer mit senegalesischen Wurzeln, war der Gehilfe des „Alten" in der gleichnamigen ZDF-Krimiserie, 2013 ging er für die CDU in Darmstadt in den Bundestag. Noch am Wahlabend zerstritt er sich mit seinem Kreisverband. Inzwischen hat er ihn gewechselt, er ist jetzt Mitglied im Landkreis. Denn Parteikollegen aus der Stadt Darmstadt haben die Zusammenarbeit mit ihm gänzlich aufgekündigt, per Pressemitteilung. Sie sagen, Huber sei eitel und mache nichts. In seinem Berliner Eckbüro mit Blick auf den Bundestag sagt Huber: „Und wenn Sie fragen, was ich hier gemacht habe, ich habe hier garantiert 70, 80 Botschafter und Minister empfangen."

Huber will Anerkennung dafür, dass er in den vergangenen Jahren keinen Urlaub gemacht hat und ständig unterwegs war. Stattdessen bekommt er aus dem Wahlkreis die Antwort: Beziehungen aufbauen und Termine haben, das ist noch keine Politik. Huber sagt: „Was ich unter Politik verstehe, ist Inklusion. Das heißt, dass möglichst viele Menschen auf dieser Erde in irgendeiner Form glücklich sind."

2012 wurde Huber von einer eigens dafür eingesetzten Findungskommission als Bundestagskandidat der CDU in Darmstadt vorgestellt. Die Partei wollte mit einem bekannten Gesicht in dem umkämpften Wahlkreis punkten. Am Wahlabend blieb Huber der Party seiner Partei fern, aus Enttäuschung darüber, dass knapp Brigitte Zypries von der SPD das Direktmandat gewonnen hatte. Am nächsten Tag wurde bekannt, dass er doch über die Landesliste in den Bundestag gerutscht war.

Als habe er die Wichtigkeit der Themen mit der Wichtigkeit seiner Person verwechselt

Im Bundestag hat Huber einen Platz im Ausschuss für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Das ist nicht das Zentrum der politischen Welt, aber gerade für einen Quereinsteiger, den es ohne die politische Ochsentour ins höchste Parlament des Landes gespült hat, ist es auch nicht schlecht. Große Themen gab es im Ausschuss zuletzt genug. Erst wütete Ebola in Westafrika, dann machten sich Hunderttausende Menschen weltweit auf den Weg nach Europa.

Es wäre falsch, zu sagen, Huber habe das nicht erkannt. Es wirkt nur so, als habe er die Wichtigkeit der Themen mit der Wichtigkeit seiner Person verwechselt. Als in Westafrika Tausende Menschen an Ebola starben, war Huber der Meinung, dass sich die Organisation Ärzte ohne Grenzen einiges von ihm abschauen könne. Im Oktober 2014 appellierte er im Bundestag an seine Kollegen, man möge „nicht zuerst Ärzte und große Geldsummen" nach Afrika schicken. Stattdessen bot er den ehrenamtlichen Medizinern an, er könne sie in die von Ebola betroffenen Gebiete begleiten, „denn ich weiß, wie der Impact auf die Bevölkerung ist, wenn man vor Ort auftritt". Ärzte ohne Grenzen lehnte ab.

Einige Wochen später ließ Huber sich in der Unteroffiziersschule der Luftwaffe im schleswig-holsteinischen Appen in einen Schutzanzug stecken. Er wollte „sich ein Bild machen" von der Ausbildung der Ebola-Helfer. Im Sommer 2015 präsentierte Huber selbstbewusst ein „5-Punkte-Programm für Flüchtlinge", das kaum vom Konsens in seiner Partei abwich.

Einige meinen, Huber prahle mit fremden Gedanken

Es gibt einige in Berlin, die Huber vorwerfen, er prahle mit fremden Gedanken oder etwas, das in Teamarbeit entstanden ist. „Ich war derjenige, der die Idee hatte, wie man den rechtlichen Rahmen dafür schafft, Asylbewerber in das duale Bildungssystem zu integrieren", sagt Huber, und dann, schwammig: Es gebe da eine Initiative im Ausschuss, bald werde da wohl im Rahmen der Regierung ein Beschluss gefasst. „Die Idee ist nicht neu und nicht von Herrn Huber", sagt dagegen ein Ausschusskollege und langjähriger Abgeordneter. Tatsächlich wurde darüber schon diskutiert, als Huber noch ein Parteibuch der SPD hatte. Seit 2004 steht er der Union nah, unterstützte zunächst die CSU.

Es ist für keinen Neuling leicht im Bundestag, erst recht nicht für einen ohne parlamentarische Erfahrung. Huber stritt nach seiner Wahl aber ab, ein politischer Lehrling zu sein. Er war zuvor schon als politischer Berater unterwegs, in dieser Funktion habe er auch Kofi Annan getroffen, sagte er damals. „What's the difference?", wollte er noch wissen, wo der Unterschied liege zur Arbeit im Bundestag.

Das Lob endet abrupt, wenn es um konkrete politische Aufgaben geht

Wenn Huber nicht stets den Eindruck vermitteln würde, täglich die Welt zu retten, wäre seine Bilanz für einen Hinterbänkler vielleicht durchschnittlich. Er ist „regelmäßig anwesend" und „sehr engagiert", sagt Michael Meister, der Vorsitzende der hessischen Landesgruppe der CDU. „Er nimmt an vielen Reisen teil und schreibt viele Berichte", sagt Karl A. Lamers, ebenfalls von der CDU und Vorsitzender der Parlamentarischen Versammlung der Nato.

Aber Huber sagt, dass er sein Mandat den großen Aufgaben unserer Gesellschaft widme - und das Lob für ihn endet abrupt, wenn es um konkrete politische Aufgaben geht. So sagt die Leiterin des Entwicklungshilfeausschusses, eine Parteifreundin Hubers, einfach ab, als sie gebeten wird, sich zu Hubers Arbeit zu äußern. Dabei müsste sie nach den Regeln des Geschäfts nur ein paar warme Worte verlieren. Ausschusskollegen aus anderen Parteien äußern, was solle man sagen, Huber sei ja nie da.

Huber tut so, als gehe ihn Kritik nichts an, vor allem die aus dem Wahlkreis nicht. Er müsse sich um die Haushaltsdebatte kümmern, zum Beispiel, oder um einen Antrag zur „Restrukturierung der von Ebola betroffenen Länder", mit dem er allein beauftragt worden ist. Der werde im Herbst besprochen, sagte Huber im Sommer in Berlin. Fragt man ihn im Dezember nach diesem Antrag, sagt er, der werde demnächst besprochen, und bietet, quasi als Ersatz, eine von ihm verfasste „Expertise zur Rohstoffzertifizierung" an. Auch von der war im Sommer schon die Rede.

Einen Moment, an dem man seine Leidenschaft spüren konnte

An Engagement auch für lästige Termine mangelt es Huber nicht. Wie an diesem Sonntag Anfang September. Huber vertritt als einer von einer Handvoll Rednern seine Fraktion beim Tag der offenen Tür im Reichstag. CDU und CSU haben ein Podium aufgebaut, auf dem je ein Abgeordneter den Besuchern eine halbe Stunde lang Rede und Antwort steht. Huber redet über den „Islamischen Staat", und er redet über Afrika. „Man muss sich da auch auskennen", sagt er in einer Pause zwischen den Vorträgen. Es sei ganz klar, dass nicht jeder diesen Job am Tag der offenen Tür machen dürfe, das sei eine Auszeichnung.

„Politik zu machen ist mir ein Bedürfnis", sagt Huber, und dass er immer Politik machen werde, egal, ob er, was unwahrscheinlich ist, noch einmal in den Bundestag gewählt wird. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er sich von nichts entmutigen lässt. Und es gab in den vergangenen zwei Jahren einen Moment, an dem man Hubers Leidenschaft wirklich einmal spüren konnte. Es war an den zwei, drei Tagen, nachdem der bayerische Innenminister und CSU-Politiker Joachim Herrmann gesagt hatte, dass Roberto Blanco immer ein „wunderbarer Neger" gewesen sei. „Es tut nicht weh, wenn man sich von diesen Begriffen verabschiedet", hatte Huber damals in einem Interview mit dem Deutschlandfunk gesagt. Für diese vielbeachtete Kritik an Herrmann hat er sogar Streit mit der eigenen Fraktion riskiert, auch das ist zu beobachten an diesem Sonntag im September in den Fraktionsräumen der CDU/CSU im Bundestag.

Eine beachtliche Sammlung von Selfies ist sicher

„Was hastn du gegen den Herrmann?" Max Straubinger fliegt an dem Kaffeetisch vorbei, an den Huber sich gelehnt hat, und wirft die Frage hin wie einem Hund einen Knochen. Straubinger ist Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, und er wartet nicht ab, was Huber zu Joachim Herrmann zu sagen hat, er hat gar nicht vor, ein Gespräch anzufangen. Huber atmet schwer aus. Er sagt, dass es ein Unding sei, dass man in Deutschland überhaupt noch über das N-Wort diskutiere. „Ich habe das schon in meiner Biographie geschrieben", sagt er dann und erzählt. Von der Kindheit in Niederbayern. Von dem Vater eines Kindergartenfreundes, der ihn in einer Auseinandersetzung gepackt und „Neger" genannt habe. Wie er, Huber, das schon als Fünfjähriger nicht habe verwinden können. Von dem Moment, als er, inzwischen zwölf Jahre alt, zu dem Mann hin sei, um es ihm heimzuzahlen. Wie er es dann doch nicht gemacht habe. „Das war der Moment, in dem ich politisiert worden bin."

Auch in dieser Geschichte steckt viel Huber-Pathos, aber sie zeigt auch, dass er gut sein kann, wenn er echte Inhalte mit seiner Person verbindet. Er hat das viel zu selten gemacht. Als Quereinsteiger hätte er von einer Rolle als politischer Außenseiter profitieren, den Betrieb vielleicht geißeln können, die Perspektiven der Berliner Politik weiten. Doch er wollte unbedingt dazugehören. Seit einiger Zeit lässt Huber von seinem Büro alle paar Monate Tätigkeitsberichte erstellen. Wie sein Facebook-Profil sind auch die eine Aneinanderreihung von Selfies. In der Ausgabe 3/2105 sind folgende Fotos unter die Überschrift „Highlights" gedruckt: Huber vor feiernden Fußball-Fans in Darmstadt, Huber mit einer Reporterin vom Deutschlandfunk unterwegs in seiner bayerischen Heimat, Huber, wie er Sigmar Gabriel die Hände schüttelt.

So wird Huber am Ende seiner Zeit im Bundestag eines in jedem Fall geschafft haben: Er wird eine beachtliche Sammlung von Selfies mit Politikern haben. Da gibt es dieses überbelichtete Bild von Huber und dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier. Huber hat es getwittert, mit dem Text: „Selfie mit dem Ministerpräsidenten von Hessen, Volker Bouffier, in Südafrika." Auf Facebook ist gerade ein verwackeltes Foto von ihm und Kanzlerin Angela Merkel sein Titelbild.

Original