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Mittlerweile befinden sich in erdnahem Weltraum mehr als 30.000 erfasste Objekte. Nur 15 Prozent davon sind aktive Satelliten, beim Rest handelt es sich um Schrott. Durch ausgefeilte Technik des Fraunhofer-Instituts werden Kollisionen verhindert.
Schon aus kilometerweiter Entfernung ist sie zu sehen: Eine überdimensionale weiße Kugel, die das Bild der Gemeinde Wachtberg im Rhein-Sieg-Kreis prägt.
Dieses sogenannte Radom hat einen Durchmesser von 47,5 Metern und besteht aus 1330 Dreiecken aus einem Spezial-Kunststoff, die das Innere vor Sturm, Schnee oder Starkregen schützen.
Unter dieser Hülle verbirgt sich eine Antennenschüssel mit einem hochsensiblen Radarsystem, das Satelliten und Weltraumschrott beobachtet. Es heißt TIRA. Die Abkürzung steht für „Tracking and Imaging Radar".
Im Inneren der Kugel haben Lars Fuhrmann, 48, und Vassilis Karamanavis, 34, ihre Büros. Die Astrophysiker arbeiten für das Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR. Sie gehören zur Abteilung „Radar zur Weltraumbeobachtung".
Fuhrmann, geboren in Duisburg, ist der stellvertretende Leiter. Karamanavis stammt aus dem griechischen Thessaloniki und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in Wachtberg.
Das Team der Weltraumbeobachter ist in jüngster Vergangenheit stetig gewachsen und umfasst mehr als 30 Experten. „Wir stehen vor höheren Herausforderungen als noch vor einigen Jahren", sagt Fuhrmann.
„Die Anzahl der Objekte im erdnahen Weltraum steigt und dadurch auch das Risiko von Kollisionen." Seit die damalige Sowjetunion am 4. Oktober 1957 mit dem Start des Satelliten „Sputnik 1" das Raumfahrt-Zeitalter einläutete, ist viel passiert.
Mittlerweile befinden sich in 200 bis 35.000 Kilometern Höhe mehr als 30.000 erfasste Objekte. Das geht aus Berechnungen der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) hervor.
Nur 15 Prozent davon sind aktive Satelliten. Beim Rest handelt es sich um Schrott. „Das sind zum Beispiel alte Raketenoberstufen oder abgeschaltete Satelliten", sagt Karamanavis.
Dass es im Weltraum von Jahr zu Jahr voller wird, liegt auch an den neuen Akteuren. In den 70er-Jahren und 80er-Jahren diente die Raumfahrt fast ausschließlich militärischen Zwecken.
Der Kalte Krieg bestimmte das Handeln der Großmächte. Heute gibt es andere Motive, Weltraummissionen loszuschicken, unzählige Satelliten für Wettervorhersagen, für Radio-, Fernseh- oder Internetübertragungen sind unterwegs.
Lars Fuhrmann präsentiert einen Zeitstrahl, an dem er zeigt, dass seit 2017 der größte Anteil an Raumsonden und Raketen aus kommerziellen Gründen ins All geschickt wurde.
Nicht nur Großmächte, auch Unternehmer wie Tesla-Chef Elon Musk oder Amazon-Gründer Jeff Bezos verfolgen ihre Agenda im Weltraum. Die Interessenlage der Superreichen ist oft unübersichtlich.
Was aber feststeht: An verbindliche Regeln zur Vermeidung von Kollisionen müssen sie sich nicht halten. „Es gibt bisher keine internationale Straßenverkehrsordnung für den erdnahen Weltraum", erklärt Fuhrmann.
Ein Zusammenstoß im All löst viele weitere ausWozu das führen kann, war 2009 zu sehen. Damals prallten die Satelliten Iridium 33 und Kosmos 2251 aufeinander - mit mehr als 40.000 Stundenkilometern.
Durch den Crash entstanden über 100.000 Trümmerteile, die nun das Risiko für weitere Kollisionen erhöhen. Die Raumstation ISS musste deshalb Ausweichmanöver fliegen.
Der Unfall hat gezeigt, was es mit dem sogenannten Kessler-Syndrom auf sich hat. Der US-Astronom Donald J. Kessler beschrieb in seinem Modell, dass solche Zusammenstöße ein exponentielles Wachstum an Weltraumschrott verursachen könnten, die Raumfahrt sogar unmöglich machen würde.
Damit solche Kollisionen in Zukunft vermieden werden können, braucht es genaue Bahndaten der Objekte. „Und die können wir hier präzise erfassen", sagt Vassilis Karamanavis.
Um die dafür eingesetzte Technik zu zeigen, bitten er und Fuhrmann in die Herzkammmer des Radoms. Auf dem Weg dorthin kommen sie an einer Schautafel vorbei. Auf dieser wird der Absturz der Weltraumstation „Tiangong 1" erklärt, die sich 2018 der Erde näherte.
„Damals haben wir auch Bahnparameter und Daten zum Rotationsverhalten gesammelt", berichtet Karamanavis. Kunden wie das deutsche Weltraumlagezentrum im niederrheinischen Uedem oder die ESA verbesserten mit diesen Daten daraufhin ihre Vorhersagen. Am Ende zerbrach „Tiangong 1" beim Eintritt in die Erdatmosphäre.
Einige Trümmerteile verglühten, andere stürzten bei Tahiti in den Südpazifik. „Wir haben kurz zuvor noch hochauflösende Bilder von der Raumstation machen können", sagt Vassilis Karamanavis.
Er öffnet eine Metalltür, hinter der die Parabolantenne mit ihren 34 Metern Durchmesser steht. 240 Tonnen wiegt der bewegliche Teil. Dieser kann sich mit einer enormen Geschwindigkeit drehen.
Der Techniker Helmut Wotzke startet im Nebenraum per Knopfdruck die Antriebe - und die Antenne nimmt Fahrt auf. „Das ist aber noch nicht das Maximum" sagt Karamanavis.
„Dann würden wir hier einen richtigen Windzug spüren." Eine komplette Runde dauert dann nur 15 Sekunden. Auf der ganzen Welt gibt es laut Fraunhofer-Institut keine so schnelle Antenne in dieser Größenordnung. Es ist nicht der einzige Bestwert.
Das 1968 erbaute und 2014 modernisierte Radom in Wachtberg ist auch die weltweit größte Radarkuppel. Doch das Bestreben des FHR ist es nicht, in Rekordbüchern aufzutauchen.
Die Schnelligkeit des Systems bei der Drehung dient dazu, auch Objekte verfolgen zu können, die mit 27.000 Stundenkilometern unterwegs sind.
Das System hilft beim Einfangen der TeileEs gibt noch andere Weltraumradare in Deutschland. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt etwa weihte 2020 in Koblenz das „German Experimental Space Surveillance and Tracking Radar" ein.
Damit können Weltraumobjekte im erdnahen Orbit rund um die Uhr überwacht werden. Wenn es aber darum geht, genauere Informationen einzelner Objekte zu erhalten, sind die Kollegen aus Wachtberg gefordert.
Sollte ein Satellit taumeln, gehen die Weltraumbeobachter vom FHR auf Ursachenforschung. „Wir können anhand der Bilder sehen, wie groß ein möglicher Schaden ist und dadurch die Sicherheit für andere Objekte indirekt erhöhen", erklärt Karamanavis.
TIRA soll aber auch dazu beitragen, Weltraumschrott zurückzuholen. Organisationen wie die ESA testen dazu aktuell Technologien.
Dazu gehören Einfangnetze, Greifarme oder laserbasierte Methoden. 2025 soll die erste Mission zur Beseitigung eines Objektes aus dem Orbit beginnen.
Ziel ist es, den Adapter der europäischen Trägerrakete „Vega 2" mit Greifarmen einzufangen. „Und für diese Mission messen wir die Eigenrotationsbewegung des Objektes", sagt Fuhrmann.
Was auf ihn und seine Kollegen künftig auch zukommen wird, ist eine noch kleinteiligere Analyse. So befinden sich laut eines ESA-Modells im erdnahen Weltraum zurzeit circa eine Million Objekte ab einer Größe von einem Zentimeter. „Die können einen immensen Schaden anrichten", sagt Fuhrmann.
„Davon wollen wir auch eine genauere statistische Einschätzung bekommen." Es gibt aber auch Grenzen für TIRA.
Kleinstpartikel in Millimetergröße wird das System auch in Zukunft nicht erfassen können. Es wären aber sowieso zu viele, um sie alle abzufangen: Die Forscher schätzen, dass es davon rund 330 Millionen Stück gibt.
Die Geschichte des Fraunhofer-Instituts für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR reicht zurück bis ins Jahr 1957. Damals hieß es noch Forschungsinstitut für Hochfrequenzphysik. Die Einrichtung befand sich zu Beginn in einem Hotel in Remagen. 1963 erfolgte der Umzug nach Wachtberg. 2009 stieg dann die Fraunhofer-Gesellschaft ein, die Forschungseinrichtung bekam ihren heutigen Namen. In den sechs Geschäftsfeldern Verteidigung, Weltraum, Verkehr, Umwelt, Sicherheit und Produktion forschen die Wissenschaftler im Auftrag von Firmen und Behörden.