inzelhandel und Innenstädte bilden eine Einheit. Knapp 60 Prozent aller Verkaufsflächen liegen nach Schätzungen des Handelsverbands Deutschland (HDE) in den Zentren der Städte. Und noch wächst der Einzelhandel: In den vergangenen 15 Jahren stieg die Verkaufsfläche von 109 auf 123,7 Millionen Quadratmeter. Dennoch hat das Sprichwort „Handel ist Wandel" durch eine schrumpfende Bevölkerung sowie die fortschreitende Digitalisierung aller Lebensbereiche an Brisanz zugenommen.
„Der Handel spielt in den Innenstädten nach wie vor eine herausragende Rolle", sagt Eva Lohse. Allerdings muss man nach Angaben der Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen und Präsidentin des Deutschen Städtetages auch konstatieren, „dass der Kauf von Waren nicht mehr der Hauptanlass für einen Besuch in den Innenstädten ist". Heutzutage seien diese geprägt durch eine Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Handel und Kultur sowie als Sitz von Verwaltungen, als Kommunikations- und Begegnungsstätten.
Auf diese Vielzahl von Aufgaben müssen sich die Kommunen einstellen, wenn sie ihre Zentren weiter lebendig und attraktiv halten wollen. „Diese Innenstädte sollten dementsprechend Orte sein, um urbane Erlebnisse zu erfahren, die das Internet nicht bieten kann", meint Martin Mörl, Geschäftsführer der Prelios Immobilien Management GmbH. Sein Unternehmen hat sich auf die komplette Wertschöpfungskette von Einzelhandelsimmobilien spezialisiert - von der Projektentwicklung bis hin zum Management der Häuser.
Hierbei verwischt auch zusehends die frühere Konkurrenz zwischen dem gewachsenen Einzelhandel und den Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Denn: Die Probleme, die beide haben, sind die gleichen, die Lösungsansätze ebenfalls. Viele Abläufe, um Shoppingcenter als auch Innenstädte erfolgreich zu führen, seien ähnlich, sagt Mörl. Zwar sei das Managen von Innenstädten nebst Umsetzen von Vorhaben komplexer, da es hier eine Vielzahl von Grundstückseigentümern gibt, die nicht immer die gleichen Interessen verfolgen. Aber sowohl für die City als auch für das Malls gilt aus Mörls Sicht, „dass es genug Raum für Gastronomie und Events geben muss". Daneben sei Mobilität ein Schlagwort, dass für die heutigen Kunden besonders wichtig sei. Dabei sollte es nicht nur um Parkraum für Autofahrer gehen, sondern ebenso um Angebote durch Bus und Bahn sowie für Fahrradfahrer, so Mörl.
Auch Eva Lohse betont, dass der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs einen Beitrag zu einer lebendigen Innenstadt leisten kann. Wichtig sind für sie aber auch die Einführung eines funktionierenden Logistik-Systems, die Verfügbarkeit von öffentlichem und kostenfreiem WLAN sowie eine moderne und nachhaltige Open-Data-Strategie, die Regierungs- und Verwaltungsinformationen zugänglich macht. Politik, Verwaltung und die Projektentwickler von Shoppingcentern rücken bei Fragen der Stadtentwicklung immer enger zusammen. Für Mörl ist der gemeinsame Umgang bereits „offener, transparenter und kooperativer" geworden. „Wenn die Politik sich entschieden hat, ein Projekt zu unterstützen, dann finden sich meist gemeinsam Wege, um den Planungsprozess zu beschleunigen."
Als Beispiel nennt er das Husum Shopping Center (HSC), das sein Unternehmen zurzeit in der nordfriesischen Stadt baut. Der Bebauungsplan stand nach eineinhalb Jahren, im Frühjahr 2018 will man eröffnen.
In Hanau liegt die Eröffnung des dortigen Einkaufszentrums in der Innenstadt mittlerweile ein Jahr zurück. Die Hanseatische Betreuungs- und Beteiligungsgesellschaft (HBB) als Projektentwickler hatte beim Forum Hanau auf eine extrovertierte Planung mit fünf Gebäudeteilen gesetzt, die sich in die Innenstadt eingliedern sollten. Das Projekt belebt die zentralen Bereiche der Stadt in der Nähe Frankfurts erheblich.
Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky spricht von einem Erfolg, auch weil bei der Umsetzung Stadt, Politik, Bürger und Investor gemeinsam an den Plänen gearbeitet haben. Ein 150-köpfiger Beirat beispielsweise begleitet das Vorhaben. Der Investor HBB lud regelmäßig zu Bürgerveranstaltungen ein. Dass Projektentwickler ihre Planung eng mit städtischen Gremien abstimmen, liegt auch daran, dass Shoppingcenter in den vergangenen Jahren fester Bestandteil deutscher Innenstädte geworden sind. Laut Shopping-Center-Report von EHI Retail Institute entstanden zwischen 2010 und 2015 etwa 83 Prozent der neuen Malls in City-Bereichern, nur sechs Prozent auf der grünen Wiese.
Rainer Lademann, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Dr. Lademann & Partner, sieht trotz positiver Leuchttürme einen weiter steigenden Wettbewerbs- und Kostendruck durch die Digitalisierung auf Einzelhandel und damit auch auf die Innenstädte zukommen. Beispielhaft führt er den auch für Shoppingcenter so wichtigen Textilhandel an. „Seit 1996, also dem Jahr, das man als Beginn des Online-Handels ansieht, hat die Hälfte aller Bekleidungsläden in Deutschland zugemacht", so der Experte für Handelsimmobilien und Stadtentwicklung. Laut Lademann gaben zwischen 1996 und 2014 rund 56 Prozent der Läden im Bekleidungsfachhandel auf. Bei Schuhe und Lederwaren waren es immer noch 47 Prozent.
Dass die Innenstadt eine Zukunft hat, daran zweifelt Lademann dennoch nicht: „Bummeln ist ein Teil der Freizeitbeschäftigung und wird auch nur partiell durch den Online-Handel gefährdet sein." Allerdings sei der innerstädtische Einkauf auch mit Aufwand verbunden und werde teils als Last empfunden. Lademann: „Bei Einkäufen, die Kunden als anstrengend empfinden, bietet das Netz neben oft vorhandenen Preisvorteilen eine Alternative."
Um mit der Internetkonkurrenz auf Augenhöhe agieren zu können, ist es für Lademann unumgänglich, dass sich im Planungsrecht etwas verändert. Er stellt dabei vor allem die Flächeneinschränkungen, aber auch die Sortimentsbegrenzungen für den Einzelhandel in Innenstädten in Frage. „Beim Einkaufszentrum Minto in Mönchengladbach hat man sich um die Genehmigung für 100 Quadratmeter Bekleidung gestritten", meint der Manager. Das sei kaum nachvollziehbar, „wenn man sieht, dass Amazon in der Nachbarschaft auf der grünen Wiese ein Riesen-Logistikzentrum aufzieht".
Angesichts der weiteren Durchmischung von Off- und Onlinehandel erachtet dagegen Städtetagpräsidentin Lohse eine Änderung des Planungsrechts als nicht nötig. Ihrer Meinung nach wird „der Händler der Zukunft am Ende das gleiche Logistikzentrum nutzen und die gleichen Dienstleister mit der Lieferung beauftragen wie Amazon oder vergleichbare Onlinehändler." Um die Verknüpfung von stationärem und digitalem Handel zu bewältigen, müssten alle Akteure noch enger zusammenarbeiten.