Natürlich", behauptet Chloe keck, „sind wir eine Minderheit." Daran lässt sie kein Sekunde Zweifel aufkommen. Wir: Damit meint sie sich und die knapp hundert Millionen anderen Rothaarigen auf der Erde. Rund 3000 von ihnen haben sich am vergangenen Wochenende im niederländischen Breda getroffen, wo sie noch bis zu diesem Montag die sogenannten Redhead Days besuchen: das größte Rothaarigen-Treffen der Welt. In der Stadt der Provinz Nordbrabant feiern die Rotschöpfe ihre Einzigartigkeit inmitten von Menschen, die so sind, wie sie.
Für Chloe und Liam ist das kein Widerspruch. Ihr orange schimmerndes Haar reicht beiden jeweils bis zur Brust, Liam trägt eine graue Baskenmütze und Vollbart. Es ist Freitagnachmittag um vier, und Liam trinkt schon sein viertes Pint. Die beiden sind eigens für das Festival aus Schottland angereist, wo immerhin fast jeder Siebte rote Haare hat - weltweiter Spitzenwert. Trotzdem, sagt Chloe, fühle sie sich daheim als Teil einer Minderheit. Hier in Breda sei das anders. „Wir haben doch alle das Gleiche durchgemacht", sagt sie. „Wir waren alle rebellisch und wurden Feuerkopf genannt."Das wirklich Wichtige an den Redhead Days, das wird schnell klar, sind nicht die roten Haare, sondern die kollektive Identität, die sich darunter versteckt: die Kindheit als Karottenkopf oder Leuchtturm, später dann der rebellische Stolz auf die Haarpracht, und auch der erhöhte Sonnencreme-Verbrauch. Klar seien das Stereotype. Aber weil sie bei allen zuträfen, sagt Liam, seien Rothaarige sich untereinander schneller vertraut, als andere Menschen. Deshalb kämen jedes Jahr so viele von ihnen hier in die Niederlande.
Sogar Rothaarige in AfghanistanRund ein bis zwei Prozent der Weltbevölkerung sind „echte" Rotschöpfe - solche also, die ihre Haare nicht gefärbt haben, sondern sich genetisch von den übrigen Menschen unterscheiden. Die meisten von ihnen leben in Nordeuropa und Nordamerika, einige auch in Asien oder Afrika. Eine Variation des sechzehnten Chromosoms führt dazu, dass bei ihnen in Haut, Haaren und Augen statt des dunklen Eumelanins das hellere Phäomelanin vorkommt. Dadurch verändert sich nicht nur ihr Teint, sie sind aufgrund der Genvariation auch empfindlicher gegenüber Schmerzen und haben weniger Haare auf dem Kopf, die dafür aber dicker sind.
Dass Rothaarige besonders leidenschaftlich oder rebellisch sind, ist hingegen wissenschaftlich nicht bewiesen. Liam glaubt trotzdem daran. „Wenn wir etwas hassen, dann hassen wir es", sagt der Vierundzwanzigjährige. „Und wenn wir etwas lieben, dann lieben wir es. Wir sind einfach verrückter als die anderen." Dann machen er und Chloe sich auf zu einer stickigen Bar, in der die erste Redhead-Party des Festivals steigt. Am Einlass liegen zwei Körbchen mit roten Weingummis und riesigen Kaugummis, die aussehen wie winzige Currywürste. Der DJ spielt „Red Red Wine" von UB40 und Songs von Ed Sheeran. Auf der Tanzfläche wird es immer enger und heißer. Auch Liam lässt die Beine schlenkern. Aber ohne vier Pints ist es draußen deutlich angenehmer als auf der Tanzfläche.
Vor dem Eingang stehen Swantje und Lukas. Sie sind aus dem Ruhrpott angereist und das erste Mal in Breda. Sie sind Cousin und Cousine - und die einzigen Rotschöpfe in ihrer Familie. Woher die Haarfarbe kommt, wissen sie nicht. Viele Menschen dächten, sie seien Geschwister, sagt Swantje. „Na ja, wir mussten uns schon immer die gleichen Sprüche über Pippi Langstrumpf oder Karottenköpfe anhören." Mit ihren Haaren sind sie heute trotzdem zufrieden. Swantje sagt, sie sei selbstbewusster als früher, weil viele die Farbe bewundern würden. Lukas hat sich den „Held seiner Kindheit" auf die Wade tätowieren lassen: den Pumuckl.