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Das Magazin: Zwei Jahrzehnte im Leben von: Christian Boros

Christian Boros, 49, kam zu seiner Kunstsammlung, weil er in seiner Studentenzeit Künstler wie Damien Hirst und Wolfgang Tillmans kennenlernte. Und ihren Wert erkannte.

Kunst hat mein Leben in jeder Hinsicht geprägt. Sie war für mich nie einfach ein «Nice to have», kein Luxusaccessoire. Auch keine Saturierungserscheinung – nach dem Motto «Weil ich schon alles habe, leiste ich mir jetzt noch Kunst». So wie man es bei vielen beobachtet. Das ist nicht meins.


Ich stiess, als ich sechzehn war, in Köln zur Kunstcrowd, mit der ich seither verbunden bin. Ohne Kunst würde der Apparat Christian Boros gar nicht funktionieren. Dabei geht es mir nie um das einzelne Werk. Mich interessiert nicht die beschmierte Leinwand, sondern die Haltung des Künstlers. Und zwar nicht nur die, die sich in seiner künstlerischen Arbeit zeigt, in dem Bild oder der Skulptur, sondern auch seine Haltung in Beziehungen, Freundschaften, im Geschäftsleben.


Ich war mit vierundzwanzig Jahren in London und habe dort den Künstler Damien Hirst beim Trinken im Pub kennengelernt. Und wollte gleich eines seiner Bilder kaufen. Hirst sagte mir, es koste zehntausend Pfund. Ich war damals Student, und das war eine Riesensumme. Irgendwie habe ich das Geld trotzdem zusammengekratzt. Heute ist es einige Millionen wert.

Zwei Jahre später begegnete ich dem Fotografen Wolfgang Tillmans. Auch ihm kaufte ich ein Bild ab. Zehn Jahre später freundete ich mich mit dem Isländer Ólafur Elíasson an. Über zwei Dekaden traf ich Künstler, die heute Superstars sind.

Warum ist das so gelaufen? Weil die Kunst zweckentfremdet arbeitet und deshalb die Krönung unseres menschlichen Daseins ist.


Künstler arbeiten nicht auf Weisung, sie sind immer Autoren mit eigener Handschrift. Autorschaft ist das höchste Gut. Der Künstler tut nur das, was er selbst verantwortet. Diese Selbstbestimmtheit habe ich von Künstlern gelernt, und sie ist seitdem auch meine Leitplanke. Für mich ist der Künstler der Prototyp eines Unternehmers: Ohne Auftrag vollbringt er ein Werk. Niemand sagt ihm: Male das Bild rot oder blau. Nicht mal der Markt. Der Künstler entscheidet aus sich heraus, ob Blau richtig ist, Rot oder was immer. Das fasziniert mich so daran.


Als Kommunikationsunternehmer und Verleger arbeite ich genau mit diesen künstlerischen Mechaniken. Kommunikation darf nie Bedarf sein, nie den Erwartungen entsprechen. Sie muss immer Neuland sein.

Mein erster Kunde war der Musikfernsehsender Viva. Ich kam bei unserem ersten Meeting ins Sitzungszimmer und sagte zur versammelten Geschäftsleitung: Warum müssen die Kids überhaupt Viva schauen? Es gibt doch schon MTV. Damit sie cooler sind? – Und anstatt zu sagen: Wenn du cool sein willst, schau Viva, haben wir es für unsere Werbestrategie umgedreht, und es entstand der Claim: Viva liebt dich.

Schon als Kind habe ich gespürt, dass ich inkompatibel mit den anderen Schülern bin und nicht nach den Erwartungen von Lehrern und Eltern funktioniere. Sobald ich eine Erwartung an mich von jemandem spüre, scheitere ich. Das kann zu einer grossen Verzweiflung führen. Ich bin zwar nicht Künstler geworden, aber ich habe mich in der Leidensgemeinschaft des Künstlers wohlgefühlt. Weil ich Dinge auf die Strasse bringen wollte, habe ich vor zwanzig Jahren eine Kommunikationsagentur gegründet. Das macht auch Sinn: Unternehmer sind seit Jahrhunderten mit Künstlern befreundet.

Ich vereine in meiner Person eine Mischung aus Leichtsinn, Mut, Intuition, Naivität, Ehrgeiz und Grössenwahn. Das manifestierte sich auch beim Projekt Bunker. Niemand wollte diesen wuchtigen Nazibunker mitten in Berlin haben. Er war mal ein Gemüselager, dann ein illegaler Partyclub, immer aber ein ungeliebtes Kind der Stadt. Obwohl mich Freunde davor warnten, kaufte ich den alten Bau im Jahr 2003. Ich investierte viel Zeit und Geld, hatte deswegen einige schlaflose Nächte. Heute bereichert der Bunker Berlin und schafft einen neuen Blick auf die Geschichte der Stadt; wir zeigen darin Kunst in einem nie da gewesenen Kontext. Mein Lieblingswort der deutschen Sprache ist Neugierde. Die Gier nach Neuem. Genau das treibt mich an.


Meine Freunde sagen: Christian, lehn dich doch zurück! Geniesse deine Kunstwerke! Auch ich selbst sage mir: Eigentlich reichen doch zweihundert Werke in der Sammlung, warum also müssen es siebenhundert sein? Besitz interessiert mich ja gar nicht. Aber statt eine meiner Ólafur-Elíasson-Installationen zu geniessen, krabble ich dann doch lieber weiter durch Neuköllner Ateliers auf der Suche nach neuen Künstlern, die ich entdecken kann.

Protokoll David Torcasso

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