MOPO: Fangen wir gleich mit der schwierigsten Frage an: Was ist Ihr Lieblingsfilm? Matthias Elwardt: Puh, das ist schwierig. Es gibt vielleicht zehn besondere Filme, die mich umgehauen haben. In diesem Jahr ist es etwa „Victoria" von Sebastian Schipper, der im diesjährigen Berlinale-Wettbewerb lief. Die erste halbe Stunde ist noch ganz langsam, aber die zwei Stunden danach habe ich atemlos mitgefiebert. Zu meinen ganz großen Lieblingen gehört auch „In The Mood For Love". Im vergangenen Jahr „Boyhood". Und früher war es immer „Manche mögen's heiß". Ich habe eine Liste mit zehn Filmen, müsste die aber alle noch mal sehen, um zu sagen, welcher meine Nummer eins ist.
MOPO: Wie steht es um Klassiker wie „Citizen Kane" oder „Der Pate"? Ich sehe die formale Kraft, ohne Frage. Das sind großartige Filme. Aber es geht auch darum, ob die Filme mich berühren. Und „Der Pate" berührt mich nicht. Dann eher der Hamburg-Film „Absolute Giganten". Ein sehr zärtlicher Film über Freundschaft.
MOPO: Erinnern Sie sich an Ihren ersten Kinobesuch? Leider nicht. Ich bin in Mölln aufgewachsen, das örtliche Kino zeigte damals nur uninteressanten Mainstream. Die neu gegründete Film-AG am Gymnasium in Ratzeburg war dann wie eine Erweckung für mich. Wir hatten einen guten Projektor für 16-Millimeter-Film und zeigten Filme wie „Der weiße Hai" vor 500 Leuten in der Aula. Als ich mit 16 meinen ersten Mokick-Roller bekam, konnte ich endlich auch mal ins „Eden"-Kino nach Lübeck fahren. 30 Kilometer Strecke! Für Filme wie „Ben Hur", „Deer Hunter" oder „Emmanuelle". Das war 1979 - und ich brauchte die Motorisierung, um überhaupt an diese Filme ranzukommen.
MOPO: Sie schauen heute fast 700 Filme im Jahr. Stumpft man da nicht automatisch ab? Man stumpft nur gegenüber Durchschnittsware ab. Wenn die Filme richtig toll sind, dann kriegen sie mich auch. Ein guter Film entschädigt für 20 mittelmäßige.
MOPO: Im letzten MOPO-Interview sagten Sie, dass bei Ihnen nur Filme laufen, die Sie selbst auch mögen. Kommt es vor, dass Ihre Lieblingsregisseure Filme abliefern, von denen Sie wissen: Den wird sich keiner ansehen ... Das kommt vor. Dann hoffe ich auf einen intelligenten Verleiher, der das auch sieht, und dann findet man ein Agreement. Grundsätzlich bin ich aber bestimmten Regisseuren und Schauspielern gerne treu. Es ist eher andersherum: Weil mittlerweile jede Woche so viele Filme starten, kann ich gar nicht alle zeigen, die ich gerne zeigen würde.
Lesen Sie auf der zweiten Seite: „Es geht um das gemeinsame Gucken"MOPO: Sie sind mit 27 Jahren zum Abaton-Geschäftsführer geworden. Konnten Sie gleich alles oder was mussten Sie am meisten lernen? Ich kam direkt aus meinem BWL-Studium, bin von meiner Vorgängerin Hella Reuters sehr gut angelernt worden und dann schnell in meine Aufgabe reingewachsen. Vorher hatte ich bereits im Abaton gejobbt und kannte die Abläufe ganz gut. Man muss halt immer gucken: Was machen die Kollegen? Was gibt es für neue Ideen? Was kann man umsetzen? Von Konzertveranstalter Karsten Jahnke habe ich etwa gelernt, dass man Tickets auch per Fax vorbestellen kann. Heute natürlich schon komplett veraltet und längst durch Onlinereservierung ersetzt.
MOPO: Immer mehr Filmfans schaffen sich heutzutage sogenannte Heimkinos an: Beamer, HD-Qualität, gute Boxen. Warum ersetzt das keinen Kinobesuch? Das ist ein ganz anderes Gefühl. Wenn man einen guten Film sieht, kann man im Saal eine Stecknadel fallen hören. Als wir die dreistündige Doku „Die große Stille" zeigten, herrschte eine nahezu meditative Stimmung bei uns. Unser Publikum isst halt keine Nachos, was ich sehr angenehm finde. Es geht um das gemeinsame Gucken: Das Kino ist ein kultureller Ort und ein sozialer Treffpunkt, etwa für ein Date. Im Kino gibt es auch keine Schwellenangst wie etwa im Theater oder der Oper. Man braucht keinerlei Vorwissen. Ich glaube, die Leute wollen Gemeinschaftserlebnisse - und nicht alleine vorm Computer hocken. Da wird keiner glücklich.
MOPO: Sie haben mal gesagt: Kino ist das prägende Medium. Auf einer Party kann man sich mit jeder Person über eine Sache unterhalten: Filme. Mittlerweile unterhalten sich die Menschen aber offenbar viel lieber über Serien wie „Breaking Bad", „Game of Thrones" oder „True Detective" ... Eigentlich geht es in den Serien ja um nichts. „Mad Men" oder „Homeland" finde ich inhaltlich ziemlich dünn. Es geht vorrangig um das serielle Erzählen, und im Laufe der Staffeln wird alles etwas wilder. Im Vergleich mit großen Kinofilmen schauen immer noch sehr wenige Menschen diese Serien. Ich bitte Sie, „How I Met Your Mother"? Worüber will man sich denn da unterhalten? Ist „Boardwalk Empire" besser als „Der Pate"? Nein. Vielleicht ist es aber einfach auch ein Zeitproblem: Ich schaue 700 Filme und habe einfach keine Zeit für Serien.
MOPO: Also wird sich das Kino der Zukunft nicht verändern? Ich glaube, es wird so weiterlaufen wie bisher. Die Leute wollen raus aus ihren Wohnungen und an einen besonderen Ort. Facebook und YouTube machen die Leute nicht wirklich zufrieden. Die wollen sich treffen und gemeinsam etwas unternehmen. Wir Kino-Betreiber sind darauf angewiesen, dass es genügend Regisseure gibt, die interessante Geschichten erzählen. Und solange es Wunder wie „Victoria", „Boyhood" oder „Grand Budapest Hotel" gibt, wird mir nicht angst und bange.
Das Interview führte David Siemsnächste Seite Seite 1 von 2