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Das erste Hindu-Grabfeld in Hamm

Surya, der hinduistische Sonnengott, taucht das
östliche Ruhrgebiet am 1. Oktober 2015 in ein goldenes Licht. Was an diesem Tag auf einem Kommunalfriedhof in Hamm vonstattengeht, scheint ihm zu gefallen: Priester der Hindu-Gemeinde des Sri-Kamadchi-Ampal-Tempels weihen das erste hinduistische Grabfeld in Mitteleuropa ein. Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann und andere Vertreter der Stadt, Geistliche unterschiedlicher Konfessionen, Wissenschaftler und Journalisten nehmen an der Erö ffnungszeremonie teil. Dass Hindus sich überhaupt auf einem Friedhof beisetzen lassen, ist in ihrer Bestattungskultur eigentlich nicht vorgesehen. Wie ist dieser Wandel zu erklä
ren? Wird das Grabfeld bereits genutzt? Und wie fügt es sich in die Geschichte der Hindu-Gemeinde in Hamm ein? Ein halbes Jahr nach der Eröffnung hat Follow Up sich in Westfalen umgesehen. Platz für 600 Urnen im „Rad des Dharma"

Es überrascht auf den ersten Blick, dass der Hindu-Priester in Hamm, Sri Arumugam Paskaran, mit dem Wunsch nach einem eigenen Grabfeld an die Stadt herantrat. Denn normalerweise werden im Hinduismus die Verstorbenen verbrannt, ihre Asche in einem Fluss verstreut. Das ist in Deutschland aber wegen des Friedhofszwangs verboten. Wollen Hindus ihren religiösen Vorschriften entsprechend beigesetzt werden, bleibt ihnen nur die Fahrt an die Nordsee oder in die Niederlande, wo Flussbestattungen erlaubt sind - oder sie schicken die Asche der Verstorbenen in ihr Heimatland, meist nach Indien oder Sri Lanka.

Mit dem neueröffneten Grabfeld steht den Hindus nun eine vergleichsweise unaufwändige, in Mitteleuropa einzigartige Bestattungsmöglichkeit zur Verfügung, etwa 10 Kilometer entfernt vom Sri-Kamadchi-Ampal-Tempel in Hamm-Uentrop. Dessen Gemeinde-Mitglieder leben nicht allein in Hamm, sondern verstreut in ganz Deutschland und Europa.

Das Hindu-Grabfeld befindet sich auf einem separaten, 1.900 Quadratmeter großen Teil des Kommunalfriedhofs „An der Birkenallee" in Hamm. Markus Klüppel, der zuständige Landschaftsarchitekt der Stadt, setzte sich intensiv mit der hinduistischen Bestattungskultur auseinander, nachdem der Priester wegen des Grabfelds angefragt hatte. Klüppel hat es als Ring gestaltet, den acht Wegeachsen durchziehen. Diese Anordnung symbolisiert das „Rad des Dharma", das im Hinduismus für den achtfachen „Pfad der Erkenntnis" steht. Zwischen den „Speichen" des Rades liegen acht kleinere Rasenflächen. Dort ist Platz für etwa 600 Urnen- und 15 Erdgräber. Diese erste Ausbaustufe sollte für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre reichen, schätzt Klüppel. Bei Bedarf ist das Grabfeld erweiterbar.

„Wichtig war uns, dass es bei den Grabarten keine Unterschiede zwischen Christen, Muslimen, Juden und jetzt eben auch Hindus gibt", sagt Markus Klüppel. „Auf dem kommunalen Friedhof bestatten wir weltanschaulich neutral." Auch bei den Gebühren macht die Kommune keinen Unterschied zwischen den Religionen: Eine Urnenbeisetzung kostet etwa 800 Euro bei 20 Jahren Laufzeit, die Bestattung im Sarg zirka 1.400 Euro bei 30 Jahren Laufzeit.

Beisetzung mit Seltenheitswert

Am 8. Februar, vier Monate nach der Einweihung, fand auf dem neuen Grabfeld die erste Beisetzung statt - und war gleich eine der seltenen Sargbestattungen. Denn auf diese Weise werden bei den Hindus nur Priester, deren Verwandte und Säuglinge bestattet, wohl weil deren Geister den Lebenden keinen Schaden zufügen. Der Verstorbene, der nun in Hamm seine letzte Ruhestätte hat, stammte aus der Priesterkaste, sein Großvater war ein Hindu-Priester gewesen.

Für die Zeremonien gibt es in Hamm eine Trauerhalle auf dem Friedhof, in der die Kreuze an den Wänden kurzzeitig entfernt werden. Dies war bei der hinduistischen Trauerfeier nicht nötig: „Sehr interessant ist, dass die Hindus keine Berührungsängste mit christlicher Symbolik haben", sagt Markus Klüppel.

Der Leichnam, erzählt der Landschaftsarchitekt, war während der Zeremonie offen aufgebahrt. Noch in der Trauerhalle wurde der Sarg geschlossen, bevor der Trauerzug sich zum Grabfeld in Bewegung setzte. Am Grab selbst hielt der Bestattungspriester eine weitere, etwa zehn Minuten dauernde Zeremonie ab. An deren Ende wurde der Sarg in die Erde herabgelassen, woraufhin sich die Trauergemeinde entfernte. Mit insgesamt anderthalb Stunden dauerte die Bestattungszeremonie ungefähr doppelt so lang wie im Christentum.

Gestern auf der Flucht, heute fest verwurzelt

Die Geschichte der Hindus im östlichen Ruhrgebiet begann 1985, als der Priester Sri Arumugam Paskaran nach seiner Flucht aus dem Bürgerkriegsland Sri Lanka in Hamm Asyl beantragte. Heute gehören Gemeinde und Tempel dauerhaft zum religiösen und kulturellen Leben der Stadt Hamm. 2013 entschied das Verwaltungsgericht Arnsberg deshalb, dass das Land Nordrhein-Westfalen den Trägerverein des Hindu-Tempels als Religionsgemeinschaft anerkennen muss. Die Gemeinde hat Körperschaftsstatus und ist damit christlichen Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften gleichgestellt - das bringt u.a. Steuervorteile und die Möglichkeit, Arbeitsverhältnisse nach eigenem Recht zu regeln. Allerdings hat das Land Nordrhein-Westfalen Berufung gegen das Urteil eingelegt. Eine mündliche Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht Münster wird voraussichtlich in den nächsten Monaten stattfinden.

„Die Entscheidung der Hindus, sich nun in der Erde beisetzen zu lassen, ist etwas wirklich Neues - eine größere Veränderung als die Anpassungserscheinungen anderer nicht-christlicher Religionen", sagt Barbara Happe aus Jena, die sich als Volkskundlerin seit vielen Jahren mit der Begräbniskultur beschäftigt. Doch dies scheint lediglich eine Frage der Perspektive zu sein. Denn für den Priester Sri Arumugam Paskaran ist der Unterschied gar nicht so groß: „Bei den Katholiken werden manche beerdigt, manche verbrannt. Das ist bei uns im Prinzip auch so. Nur unsere Zeremonie dauert länger", sagt er.

Prinzipiell können sich, unabhängig von Gemeindezugehörigkeit, Hindus aus aller Welt in Hamm begraben lassen. Ob sie dieses Angebot nutzen werden, ist fraglich. In einer stichprobenhaften Befragung der rund 40 Gemeinden in Nordrhein-Westfalen reagierten sie mehrheitlich zurückhaltend. Sivasothy Varatharajah etwa, Priester der Hindu-Gemeinde in Bielefeld, nennt die Vorstellung, sich auf einem Friedhof bestatten lassen, „unlogisch". Das Integrationsamt der Stadt Bielefeld habe ihn zwar gefragt, ob die Hindus ein eigenes Grabfeld benötigten. Dies habe er jedoch abgelehnt, denn diese Bestattungsform entspreche nicht den religiösen Vorschriften.

Auch der Priester Sri Arumugam Paskaran hat keine genaue Vorstellung davon, wie viele Hindus künftig im östlichen Ruhrgebiet bestattet werden. Er zeige den Gläubigen lediglich einen Weg, sagt er. Zudem ist die Hindu-Gemeinde in Hamm im Schnitt relativ jung. „Mit mehr Bestattungen ist daher erst in zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren zu rechnen", sagt Markus Klüppel von der Friedhofsverwaltung Hamm.

Ob der Platz auf dem Friedhof dann überhaupt noch notwendig ist, wird sich zeigen. Denn im norwegischen Starvanger wurde vor einigen Jahren ebenfalls ein hinduistisches Grabfeld eröffnet. Da in Norwegen aber gleichzeitig das Ausstreuen der Asche in Fjorden und Flüssen erlaubt wurde, blieb es ungenutzt. In Deutschland gilt der Friedhofszwang bisher. Er ist allerdings Gegenstand wiederkehrender Debatten, und eine Liberalisierung ist auch hierzulande bereits erkennbar. Das Grabfeld auf dem Kommunalfriedhof ist einzigartig in der hinduistischen Bestattungskultur Deutschlands und Mitteleuropas. Wichtiger als die orthodoxe Auslegung ritueller Vorschriften scheint für die Hindus in Hamm jedenfalls die Nähe zum Tempel zu sein - vor und nach dem Tod.

Titelbild: © Markus Klüppel

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