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Trommeln für einen grundlegenden Wandel (neues deutschland)


Von Stephan Kroener, Bogotá, und David Graaff


"Wir wollen ein Ende der Gewalt und der Korruption. Wir werden weitermachen bis unsere Forderungen erfüllt sind, bis sie endlich auf uns hören." Die Studentin Valentina Triana von der Privatuniversität Tadeo Lozano spricht aus, was viele in Kolumbien denken. Ihr Mundschutz hängt um ihren Hals und ihre Augen sind gerötet.

Am Wochenende zogen in mehreren Städten des Landes Demonstranten auf Kochtöpfen trommelnd durch die Straßen. So wollen sie auf soziale Missstände aufmerksam machen. Konkret richten sich die Proteste nicht nur gegen geplante Gesetze zur Reformen des Rentensystems und der Arbeitnehmerrechten, die anhaltenden Morde an Mitgliedern sozialer Bewegungen und lokalen politischen Akteuren oder die mangelnde Umsetzung der Friedensvereinbarungen mit der ehemaligen FARC-Guerilla. Es geht um eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Regierung des konservativen Präsidenten Iván Duque und dem politischen System.


Immer wieder lösten Einheiten der Aufstandsbekämpfungseinheit ESMAD am Wochenende Demonstrationen unter Einsatz von Tränengas und Soundgranaten auf. In kolumbianischen Medien verbreitete Fotos und Videos zeigen, wie die Beamten auf Demonstranten einprügeln und auf sie schossen. Dabei gab es am Samstag zahlreiche teils schwer Verletzte und Hunderte Festnahmen. Immer wieder enttarnten die Demonstranten auch Polizisten, die sich als Agents Provocateurs unter die größtenteils friedlichen Demonstranten gemischt hatten und sich an Auseinandersetzungen und Sachbeschädigungen beteiligten.

Die staatliche Ombudsstelle für Menschenrechte und internationale Menschenrechtsorganisationen kritisierten das Vorgehen der Sicherheitsbehörden scharf. »Die kolumbianischen Behörden müssen der gewaltsamen Unterdrückung von Demonstrationen, einschließlich übermäßiger Gewaltanwendung und willkürlicher Verhaftungen, ein Ende setzen«, forderte Erika Guevara Rosas, Direktorin für Amerika bei Amnesty International. Auch die Botschafter der EU-Länder sprachen sich in einem gemeinsamen Statement gegen die Gewalt gegen friedliche Demonstranten aus.


In den vergangenen Tagen kam es vor allem in den Großstädten Cali und Bogotá zu Vandalismus und einzelnen Plünderungen. In der Hauptstadt Bogotá wurden unter anderem Stationen des öffentlichen Transportsystems Transmilenio beschädigt, das darauf größtenteils den Betrieb einstellte. In Bogotá galt erstmals seit über 40 Jahren eine Ausgangssperre. Der Bürgermeister Enrique Peñalosa begründete dies mit der Sicherstellung der öffentlichen Ordnung. Er sprach von einer »Verschwörung«: Es gehe nicht um junge Menschen, die spontan demonstrierten, sondern um organisierte politische Gruppen, die daran interessiert seien, das Land zu destabilisieren.

Angeheizt wird die angespannte Stimmung durch zahlreiche Nachrichten über Gewalt, Todesopfer und umherziehende Banden, die sich über soziale Medien und Messenger-Dienste verbreiten. In Stadtvierteln der Mittel- und Oberschicht war daraufhin teils fremdenfeindliche konnotierte Panik ausgebrochen. Insbesondere die seit der Wirtschaftskrise aus Venezuela nach Kolumbien Geflohenen würden raubend durch die Straßen ziehen. In den bewachten reichen Wohnkomplexen bewaffneten sich Bewohner daraufhin mit Eisenstangen und Messern. Die Polizei rief dazu auf, diese Meldungen nicht weiterzuverbreiten und widersprach Wahrnehmungen, dass sie diese Gruppen gewähren lasse oder sie gar unterstützte.


Zahlreiche Oppositionspolitiker sprechen von bewusst herbeigeführter Panik, um die Proteste zu delegitimieren. Der Philosoph und politische Analyst Alejandro Mantilla sagte dem »nd«, Regierung und Sicherheitskräfte setzen bewusst auf ein Narrativ, das Vandalismus mit den politisch motivierten Demonstrationen gleichsetze. »Die Proteste werden nicht als Ausdruck politischer und sozialer Forderungen verstanden, sondern als ein Problem der öffentlichen Ordnung dargestellt. Die verbreitete Angst unter der Bevölkerung führt so zur Forderung nach mehr Sicherheit.«


Präsident Duque steht unter Druck. Seine Regierung gilt als führungsschwach. Erst vor wenigen Wochen musste sein Verteidigungsminister Guillermo Botero zurücktreten und bei den Lokal- und Regionalwahlen Ende Oktober hatte seine Partei Centro Democrático eine heftige Schlappe erhalten. Für kommende Woche hat er Gewerkschaften und soziale Bewegungen nun zu einem »Nationalen Gespräch« eingeladen. Am Sonntag wollte er mit Bürgermeistern und Gouverneuren die kritische Lage beraten.


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