Dort, wo bis Donnerstag eine Tür gewesen war, fanden die Gemeindemitglieder am letzten Freitag im August eine Mauer vor. Sie rissen die hastig aufgetürmten Kalksandsteine ein, um ihren Gebetsraum im ehemaligen Trafo-Häuschen betreten zu können. Dann erstatteten sie Anzeige. Die rund 150 Muslime im mecklenburgischen Städchen Parchimhaben keine Moschee, sondern nur dieses Häuschen. Es war bereits vor einigen Monaten mit Parolen beschmiert worden.
Damit unmissverständlich klar war, dass es sich auch bei der Mauer nicht um einen einfachen Streich gelangweilter Kleinstadt-Jugendlicher handelte, hatten die Erbauer Botschaften auf A4-Blätter gedruckt und an ihr Bauwerk geheftet: »Ihr nennt euch ›Gläubige‹ – wir euch Invasoren«.
Wen geht eine Moschee was an?
Solche und ähnliche Sätze müssen sich Muslime in Mitteleuropa immer wieder gefallen lassen. Gleichzeitig wird der Islam auch im Straßenbild präsenter, wenn Moscheeverbände sich den Umzug aus dem Hinterhof – oder im Fall Parchim dem Trafo-Häuschen – in eine richtige, repräsentative Moschee leisten können.
Zwischen dem ersten Bauantrag und dem ersten Gebet im neuen Zuhause einer Moscheegemeinde vergehen in aller Regel turbulentere Jahre als bei anderen Bauherren. Oft formiert sich Protest gegen die Moschee in der Nachbarschaft: Von beunruhigten Anwohnern (der Begriff des besorgten Bürgers ist emotional zu aufgeladen für diesen Text), denen zum Beispiel unwohl wird, wenn in ihrer Nachbarschaft in einer fremden Sprache gebetet wird. Aber auch von Rechtspopulisten und -radikalen, die Sorge in Angst und diese Angst in Wählerstimmen verwandeln wollen. Wenn das Anliegen, den Moscheebau zu verhindern, beide Gruppen vereint, kann es im Extremfall so laufen wie in Leipzig-Gohlis: Dort standen fast 10.000 Unterstützer auf einer Seite mit NPD und AfD, während auf der Baustelle tote Ferkel mit »Mutti Merkel«-Aufschrift drapiert wurden. Damit es so weit nicht kommt, kommt es auf das richtige Zusammenspiel verschiedener Akteure an:
- Moscheegemeinden müssen aktiv über ihr Vorhaben aufklären. Wenn den beunruhigten Anwohnern klar ist, dass »die da drüben« gar nichts Böses im Schilde führen und vielleicht sogar bessere Nachbarn werden als der blöde Herr Meier, der samstags um 8 Uhr morgens (!!!) den Rasenmäher anschmeißt, ist viel gewonnen.
- Kommunen müssen unter Beweis stellen, dass sie die Sorgen ihrer Bürger ernst nehmen. Die Städte sind gut beraten, Informationsveranstaltungen einzuberufen, gute Kontakte mit den Moscheegemeinden aufzubauen und auf Partizipation am öffentlichen Leben zu dringen. Am Rhein startet dazu gerade ein Experiment – mehr dazu in ein paar Absätzen.
- Anwohner haben die leichte und gleichzeitig schwerste Aufgabe: vernünftig zu sein. Sich den Sorgen zu stellen, auch wenn es wehtut. Wer diese Sorgen abwägt, bei einer Infoveranstaltung vorträgt und sich auf die Antworten einlässt, schließt sich keiner Bürgerinitiative an.
- Politik kann die Transparenz von Moscheegemeinden und somit vielleicht auch die Akzeptanz der Bevölkerung erhöhen, wenn sie ein paar Punkte neu ausdiskutiert. Natürlich lässt sich weder ein »Integriert euch«- noch ein »Habt keine Angst«-Gesetz beschließen. Aber Gesetze können Integration fördern und Angstfaktoren behutsam eindämmen.
Die Mauer und die Angst vor Überfremdung
Die Mauer von Parchim ist kein Einzelfall: Die Zahl der Übergriffe auf Moscheen oder Muslime steigt. 2010 waren es 23 Delikte. Bis Juni dieses Jahres sind in Deutschland bereits mindestens 27 Übergriffe aktenkundig geworden; es sieht danach aus, als könnte die Jahresstatistik ähnlich hoch ausfallen wie 2015, in dem das BKA 74 Angriffe zählte.
Nicht nur die Hasskriminalität gegen den Islam steigt, sondern – wesentlich niedrigschwelliger – auch die Sorge in der Bevölkerung. Der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung registrierte von 2012 auf 2014 gestiegene Zustimmung zu den Thesen 57% stimmten der Aussage zu: »Der Islam ist bedrohlich«.
»Der Islam passt nicht in die westliche Welt« (von 52% auf 61%) und »Der Islam ist bedrohlich« (von 53% auf 57%). In Ostdeutschland bekommt Letzteres noch einmal mehr Zuspruch. 40% der Befragten beklagen ein Gefühl der Überfremdung – auch in Regionen, in denen kaum Muslime leben. Fast jeder Vierte der Befragten fordert, Muslimen die Zuwanderung zu untersagen.
Es ist also nicht falsch zu sagen: Große Teile der nicht-muslimischen Bevölkerung Deutschlands hegen Ressentiments gegen den Islam. Allerdings sind darunter die, die Eingangstüren zumauern oder Parolen schmieren, genauso in der Minderzahl, wie es die radikalen, verfassungsgefährdenden Muslime innerhalb ihrer Weltreligion sind.
Deshalb beschäftigt sich dieser Text auf beiden Seiten mit der Mehrheit an Menschen. Die sind auf Seiten der Muslime genauso wenig radikal wie auf Seiten der beunruhigten Anwohner.
Über wen reden wir eigentlich?
Mit welchen Muslimen genau sich dieser Text beschäftigt, ist gar nicht so einfach. Der islamische Teil der Gesellschaft stammt aus den verschiedensten theologischen Richtungen und ist auch genauso vielfältig organisiert. Ein paar Verbände und Vereine werden in Deutschland immer wieder genannt:
- Ahmadiyya – Die Reformbewegung wurde vor rund 130 Jahren von Mirza Ghulam Ahmad gegründet. Da sich ihre Anhänger auf Ahmad beziehen, gehen andere islamische Gruppierungen auf Abstand und bezeichnen sie als Häretiker, deshalb gestaltet sich die Zusammenarbeit mit anderen muslimischen Konfessionen in Deutschland mitunter schwierig. Der Ahmadiyya-Verband betont sein Bild eines weltoffenen, liberalen Islams und das Leitbild einer weitreichenden Integration.
- Aleviten – Die Alevitische Gemeinde in Deutschland ist mit etwa 150 Ortsgruppen und rund einer halben Million Mitglieder der zweitgrößte Moscheeverband türkischstämmiger Muslime. Aleviten (nicht zu verwechseln mit den syrischen Alawiten) sind im weiteren Sinne Schiiten, wurden im Laufe der Jahrhunderte jedoch von anderen Schiiten verfolgt. In Deutschland legt die Alevitische Gemeinde Wert auf Integration und eigenen Religionsunterricht.
- DİTİB – Die Diyanet İşleri Türk İslam Birliği (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) betreibt rund 900 Vereine in ganz Deutschland. Sie vertritt einen großen Teil der türkischstämmigen Muslime und fungiert als ihre spirituelle Verbindung in die Heimat: DİTİB ist institutionell eng mit dem türkischen Staat verflochten. Neben der religiösen Arbeit bietet DİTİB zum Beispiel Alphabetisierungskurse gemeinsam mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an.
- Islamrat – Der Islamrat der Bundesrepublik Deutschland vertritt als Dachverband zwischen 40.000 und 60.000 Muslime. In ihm sind sehr unterschiedliche Strömungen organisiert: Der Deutsch-Somalische Verein und die Union Marokkanischer Imame genauso wie eine Bosniakische Vereinigung oder die türkische Millî Görüş (die in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet wird). Der Islamrat sieht sich als Vertreter aller Muslime in Deutschland.
- VIKZ – Dem Verband Islamischer Kulturzentren gehören etwa 300 sunnitische Moscheegemeinden an. In den 1980er-Jahren begann der VIKZ als erste islamische Gruppierung, Imame in Deutschland auszubilden. Der Verband wurde 1973 als erste muslimische Organisation Deutschlands gegründet. Er war bis zu seinem Austritt im Jahr 2000 das größte Mitglied des ZMD.
- ZMD – Der Zentralrat der Muslime in Deutschland ist ein mit seinen 10.000 Mitgliedern verhältnismäßig kleiner, aber dank seines medial dauerpräsenten Vorsitzenden Aiman Mazyek gewichtiger Dachverband. In ihm sind sowohl sunnitische als auch schiitische Vereine organisiert; darunter das Islamische Zentrum Hamburg, das in den 1960er-Jahren die erste Anlaufstelle für Schiiten in Deutschland war. Der ZMD tritt unter anderem für islamischen Religionsunterricht und für Ausnahmeregelungen beim in Deutschland verbotenen Schächten ein.
Die Verschiedenartigkeit der Akteure (die Liste oben ließe sich noch sehr stark erweitern) veranschaulicht das Dilemma: Es gibt nicht den Islam, so wenig wie es das Patentrezept für eine gute Nachbarschaft gibt. Aber es gibt Zutaten, die ein Miteinander schmackhafter machen können als ein Gegeneinander. Beginnen wir mit einem kommunalen Experiment.
Einfluss im Grundbuchamt
Die Stadt Monheim zwischen Köln und Düsseldorf hat ein Konstrukt entwickelt, das Juristen als »Rückauflassungsvormerkung« bezeichnen: 2 Moscheegemeinden (eine von DİTİB, eine von einem marokkanischen Verband) bekommen von der Stadt Geld für ein Grundstück, im Grundbuch wird jedoch eine Reihe von Bedingungen vermerkt. Bei Verstößen fällt das Grundstück zurück an die Gemeinde. »Es geht uns vor allem um die Verpflichtung zu Verfassungstreue und Toleranz.« – Daniel Zimmermann
»Es geht uns vor allem um die Verpflichtung zu Verfassungstreue und Toleranz«, sagt der Monheimer Bürgermeister Daniel Zimmermann. Der Entzug eines Grundstücks käme nur bei wiederholten Problemen infrage, vorher würde die Stadt die jeweilige Moscheegemeinde abmahnen. Ursprünglich wollte der Bürgermeister als Gegenleistung zu diesen Verpflichtungen 2 Grundstücke kostenfrei überlassen. Seinen Zeitplan, die Auswahl der Grundstücke und letztlich auch die Idee der kostenfreien Überlassung hatte Daniel Zimmermann überarbeiten müssen, nachdem er bei einer extrem gut besuchten Bürgerversammlung auf geteilte Meinungen gestoßen war. Jetzt steht im Raum, den Gemeinden je rund 450.000 Euro zum Grundstückskauf zu übertragen. Bis Ende September soll der Stadtrat final entscheiden. Der Bürgermeister ist zuversichtlich: »Wir reden nicht mehr über das ›ob‹, sondern über das ›wie‹.«
Wie sich eine Bürgerinitiative in Wohlgefallen auflöste
100 Kilometer weiter nordöstlich hat man die Planungsphase längst hinter sich. Ein heißer Spätsommertag Anfang September, dort wo die Vororte von Iserlohn ins Sauerland übergehen. Die lokale Ahmadiyya-Gemeinde feiert den Einzug in ihre aus Mitgliedsbeiträgen finanzierte, nagelneue Moschee. Es duftet nach Qorma und Sabzi, auf dem abschüssigen Gelände laufen Männer mit runden Hüten aus schwarzem Samt und braunen Filzhüten mit Krempe herum. Als ich mit blanken Füßen im hellblauen Teppich des Gebetsraums versinke, versuche ich jemanden zu finden, der mir die Moschee erklärt, die Männer um mich herum sprechen jedoch alle nur Urdu. Diese Stichprobe ist jedoch nicht repräsentativ, stelle ich draußen fest: Viele Ahmadiyya-Muslime in Deutschland sind pakistanische Geflüchtete, sehr häufig bereits in zweiter Generation, also deutsche Muttersprachler. Für Ahmadiyyas weltweit ist es wichtig, die Landessprache gut zu kennen, denn in ihr wird gepredigt und teilweise gebetet. An diesem Tag sind neben zahlreichen Funktionären auch eigens abgestellte Gästebetreuer unterwegs, die Fragen zum Glauben und zur Zeremonie beantworten.
Etwa 80 geladene Gäste, Fernsehkameras und die lokale Politprominenz warten in einem stickigen Festzelt auf den Mann, der hier nur »seine Heiligkeit« oder »der Kalif des Islam« genannt wird. In einer Ecke des gepflasterten Grundstücks singt sich ein Mädchenchor ein, der den Ehrengast mit Liedern in Urdu willkommen heißt. Das spirituelle Oberhaupt der weltweiten Ahmadiyya-Bewegung fährt mit gepanzerter Limousine und Polizei-Eskorte ins Sauerland, um die 49. Ahmadiyya-Moschee in Deutschland zu eröffnen. »Wir waren sehr positiv überrascht«, sagt das Ehepaar von nebenan.
Mit halbstündiger Verspätung kommt er an, betet dann im Gebetssaal des gerade rechtzeitig fertig gewordenen Neubaus und enthüllt eine Schrifttafel an der weiß verputzten Wand. Beim anschließenden Festakt betonen Ahmadiyyas wie Lokalpolitiker das angenehme, konstruktive Verhältnis – die Anwohner an meinem Tisch nicken anerkennend. »Wir waren sehr positiv überrascht«, sagt das Ehepaar um die 60, das direkt nebenan ein Haus gekauft hat, mehrmals.
Friede, Freude, Eierkuchen bei der Salam-Moschee? Das hätte auch anders ausgehen können. Seit 1982 gibt es in Iserlohn eine Ahmadiyya-Gemeinde, die über die Jahre nach eigenen Angaben auf 110 Mitglieder anwuchs. Ende 2009 nahm die Gemeinde Kontakt zur Stadt und zum Eigentümer eines Grundstücks auf. Als die Stadt diese Bau-Voranfrage positiv beschied, berief sie sofort eine Bürgerversammlung ein, erinnert sich Bürgermeister Peter Paul Ahrens: »Das gab eine heftige Diskussion.« »Wir haben nichts im stillen Kämmerlein gemacht, sondern immer alles offengelegt.« – Peter Paul Ahrens
Es folgte eine »fremdenfeindlich orientierte« Plakatkampagne der rechtsextremen PRO NRW zur Landtagswahl 2010, 2 gescheiterte Klagen,Mobilmachung im Internet und ein Bürgerbegehren: »Wir haben im Vorfeld dieses Bürgerbegehrens gemeinsam mit der Evangelischen Kirche sehr viel Mühe aufgewandt, die Bevölkerung mit den Antragstellern ins Gespräch zu bringen«, sagt Ahrens. Die Evangelische Kirche organisiert seit 2012 auch den Austausch unter den verschiedenen Religionsgemeinschaften. Die Ahmadiyya-Gemeinde bringt sich etwa durch Baumpflanzungen und Aufräum-Aktionen nach dem Silvesterfeuerwerk in der Stadt ein.
»Die Moschee ist offen für jeden Bürger«, sagt der Sprecher der Iserlohner Ahmadiyya-Gemeinde Sultan Mohammad. Eine Grundschule habe bereits Moscheeführungen ins Gespräch gebracht, außerdem werde öffentlich und in deutscher Sprache gepredigt. »Es ist sehr wichtig zu informieren, wer man ist und was man in der Moschee macht.« – Sultan Mohammad
»Es ist sehr wichtig zu informieren, wer man ist und was man in der Moschee macht und dass man transparent ist«, sagt Mohammad.
»Der Prozess in den letzten Jahren hat dazu geführt, dass die Ahmadiyyas angenommen werden in der Stadt«, sagt der Iserlohner Bürgermeister Peter Paul Ahrens. Es seien verschiedene Gruppierungen zusammengekommen, die sich vorher gegenseitig nicht getraut hätten. Es seien Vorurteile abgebaut worden, bis auf das Frauenbild. (Mehr dazu im nächsten Absatz.) Dass die Ahmadiyya-Moschee in Iserlohn nach anfänglichen Protesten heute auf breite Akzeptanz stößt, liegt für Ahrens auch an der transparenten Kommunikation: »Wir haben nichts im stillen Kämmerlein gemacht, sondern immer alles offengelegt. Die runden Tische, Bürgerversammlungen, völlige Offenheit in der Informationspolitik würde ich allen empfehlen.«
Der Weg für eine sachliche Auseinandersetzung ist in Iserlohn bereitet – als Landrat Thomas Gemke bei seiner Eröffnungsrede kritisierte, dass Ahmadiyya-Männer nicht-muslimischen Frauen immer wieder den Handschlag verweigerten, lieferte er den Anstoß für konstruktive Diskussionen. Für eine Nachbarin bleibt es weiterhin »eine Diskriminierung der Frau«, aber Sultan Mohammad von der Ahmadiyya-Gemeinde hält dagegen: »Ich habe von einigen Gästen positives Feedback bekommen. Es war wichtig, dass der Kalif diesen Punkt noch einmal für alle erläutert hat und Missverständnisse ausgeräumt hat.« Kalif Mirza Masrur Ahmad hatte in seiner Ansprache geantwortet, man müsse das Thema auch aus der Warte der Ahmadiyya-Frauen betrachten. Im Islam sei es umgekehrt eine Sache des Respekts, Frauen nicht zu berühren. Es bestehe kein Grund zur Sorge, da dies lediglich eine religiöse Tradition sei. Außerdem solle man sich nicht mit Kleinigkeiten aufhalten: Die Ahmadiyya-Gemeinde stehe für einen friedlichen Islam und sehr weitreichende Integration.
Im Land des Minarettverbots
Die Ansprache bei der Eröffnung wird sicher nicht das letzte Gespräch in Iserlohn zum Thema Händeschütteln gewesen sein. Damit ein gegenseitiges Miteinander entstehen kann, müssen Moscheegemeinden ihren Diskurs stärker auf die Loyalität gegenüber ihrem Standort ausrichten, findet Saïda Keller-Messahli. Sie leitet das Schweizer Forum für einen Fortschrittlichen Islam (FFI) und vertritt das Leitbild einer kulturell sehr weitreichenden Integration. Bezogen aufs Händeschütteln heißt das für sie: »Wir müssen den muslimischen Mann neu erziehen. Er bringt sehr oft ein Frauenbild mit, das inakzeptabel ist, weil es ein reines Machtverhältnis, das er zur Frau hat, widerspiegelt.«
»Wir müssen den muslimischen Mann neu erziehen.« – Saïda Keller-Messahli
Wie groß auch in der Schweiz das Empörungspotenzial beim Thema Moscheebau ist, hat sich 2009 gezeigt, als in einer heiß diskutierten Volksabstimmung 57% der Wähler gegen Minarette in ihrem Land stimmten – zu den bislang 4 Minaretten der Schweiz darf also keines mehr dazukommen. Das Verbot hat vor allem eine sehr grundsätzliche Debatte über den Islam ausgelöst. »Sie dauert seither an und positive Veränderungen Richtung Transparenz stehen noch heute aus, derweil saudische und andere Organisationen ihre Präsenz in der Schweiz und anderswo weiter ausbauen«, sagt Saïda Keller-Messahli. Seit der Abstimmung gibt es auch in der Schweiz stärkere Ressentiments, gegen die Moscheegemeinden zu kämpfen haben. Was können sie dagegen ausrichten?
Solange Moscheegemeinden nicht aufrichtig kommunizieren und auf reale Abschottung hinarbeiten, wird ihnen kein Vertrauen entgegengebracht werden. Insbesondere heutzutage, wo tausende Jugendliche aus Europa in den Dschihad ziehen und bewiesenermaßen in Moscheen und ›Kulturzentren‹ radikalisiert wurden. Antiislamischen Initiativen kann nur mit mehr Transparenz, Willen zur Veränderung und Loyalität dem Gastland gegenüber begegnet werden.– Saïda Keller-Messahli
Dabei stehen muslimische Gemeinden in Mitteleuropa grundsätzlich unter einem gewissen Druck, sich aktiv von radikalen Islamisten zu distanzieren. Diesen offensichtlichen Missstand beklagen Muslime zwar immer wieder – wie viele Nichtmuslime bei ausbleibenden Distanzierungen vom Gegenteil ausgehen, zeigt sich in Facebook-Kommentaren praktisch nach jeder Islamismus-Meldung.
Bessere Gesetze für weniger Ressentiments
Ein solcher Wandel ist nicht nur Sache der Moscheegemeinden, sondern auch des Staates. In der Schweiz, aber genauso auch in Deutschland, könnte die Politik in 3 Feldern nachjustieren:
- Organisationsform – Die allermeisten islamischen Gruppierungen sind als Verein organisiert. Das heißt, sie unterliegen dem Privatrecht; mit allen Vor- und Nachteilen. Einzig die hessische Zentrale der Ahmadiyyas ist – wie die beiden großen christlichen Kirchen – als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdÖR) organisiert. Das bedeutet für sie mehr Einfluss, aber auch mehr Transparenz vor dem Staat. Sicher ist im Einzelfall zu überlegen, welche Gruppierung die Voraussetzungen für eine solche Aufwertung erfüllt.
- Ausbildung – Genauso vielfältig wie die theologischen Richtungen der Gemeinden stellt sich auch die Ausbildung ihrer Imame dar: Manche Gruppen bilden ihre Imame in privaten Zentren in Deutschland aus, andere im Ausland. Eine aufwändige, aber staatliche Kontrolle garantierende Alternative ist ein Theologiestudium ähnlich der katholischen und evangelischen Studiengänge an Universitäten. In einigen Städten ist das bereits möglich, vor einem Jahr waren gut 1.800 Studenten im Fach Islamische Theologie eingeschrieben. Ähnliche Standards könnte man auch auf Religionserziehung in den Schulen übertragen: Aktuell unterhalten Hessen und Nordrhein-Westfalen privilegierte Partnerschaften zu einzelnen Islamvereinen, mit denen sie Lehrpläne für Islamunterricht abstimmen – wobei NRW die Partnerschaft mit DİTİB jüngst aufgekündigt hat.
- Finanzierung – Dass bei der Steuererklärung künftig neben katholisch und evangelisch noch diverse muslimische Glaubensrichtungen auftauchen, ist nicht zu erwarten. Aber auch abseits der Kirchensteuer kann der Staat regulieren, welche Finanzierungsquellen einem in Deutschland operierenden Moscheeverein taugen und welche nicht. Viele Moscheen werden von den Spenden ihrer Mitglieder oder einzelnen Sponsoren getragen. Bei Geldgebern aus dem Ausland lohnt sich ein genauer Blick: Welche Folgen solch ein Einfluss haben kann, wird in Bezug auf DİTİB gerade kontrovers diskutiert.
Diese 3 Felder könnte der Staat verknüpfen, indem er bestimmte Kriterien zu Ausbildung und Finanzierung entwickelt und allen Organisationen, die sie erfüllen, einen KdÖR-Status in Aussicht stellt. So könnte er vorbildliche Verbände privilegieren und gleichzeitig stärker an sich binden. Mehr noch als die Legislative vermag aber jeder Einzelne vor Ort, Ressentiments und berechtigte Ängste abzubauen. Die Ahmadiyya-Gemeinde in Iserlohn hat bereits zum Tag der Offenen Moschee am 3. Oktober eingeladen – genau wie gut 1.000 andere Moscheen, also jede dritte in Deutschland. Auch das Fastenbrechen zum Ende des Ramadans verlagert sich von Jahr zu Jahr zunehmend in die Innenstädte. Und die sind nun wirklich zugänglich für jedermann.