Scott Allen steht mit dem Rücken zum Fenster. Hinter der Scheibe wirbelt der Wind vom nahen Ozean durch die Palmenblätter, im niedrigen Büro steht die stickige Luft. Der fleckige Teppich verströmt einen beißenden Geruch. Ein Schreibtisch mit Computer ist die einzige Einrichtung in dem kahlen Raum. Scott leitet das Sharpnet Internet Café in Accras Viertel Osu. Scott ist Anfang fünfzig, stammt aus Kanada und lebt seit neun Jahren in Ghana. Er ist ein bodenständiger Typ und legt Wert darauf, mit den Vorurteilen der Menschen aufzuräumen. „Es gibt diese Fehleinschätzung, dass wir alle im Westen einen Geldbaum haben", weiß Scott. Wenn das Hochglanz-Amerika Hollywoods aus dem Fernseher flimmert, wirkt die Umgebung in Ghana noch viel glanzloser. Das Amerikabild in den Medien weckt Begehrlichkeiten, die in Ghana auf fruchtbaren Boden fallen. Die Vereinten Nationen sortieren im Human Development Index ihre Mitgliedsstaaten nach dem Grad ihrer Entwicklung. Ghana stand 2013 mit Platz 138 auf einem mittleren Entwicklungsstand. Die USA wurden unter den sehr weit entwickelten Ländern auf Platz fünf einsortiert - gefolgt von Deutschland.
Green Cards aus dem LostopfMit einem neuen Immigrationsgesetz riefen die Vereinigten Staaten 1990 das „Diversity Visa Program" ins Leben: Jährlich werden seitdem 50.000 Greencards im Losverfahren ausgegeben. Um in den Lostopf zu kommen, muss man lediglich einen höheren Schulab-schluss besitzen. Staatsbürger fast aller Länder dürfen teilnehmen. „Ich will die USA be-stimmt nicht verklären, aber sie tun etwas. 50.000 ist eine ganze Menge", lobt Scott Allen. Im Herbst hat Scotts Laden, der auch Druck- und Kopierdienste und sogar Getränke und Sportübertragungen anbietet, besonders viele Gäste: Wie unzählige Andere im ganzen Land bietet auch Sharpnet den Service an, seine Kunden für das Diversity Visa Program zu regist-rieren. Für 7 Cedi, also knapp zwei Euro, hilft ein Mitarbeiter mit dem Onlineformular, ein Digitalfoto im hauseigenen Studio ist auch inbegriffen. Die ausgedruckte Bestätigung über den Eintrag bewahrt Sharpnet auf, bis im Mai des Folgejahres die Gewinner bekannt gegeben werden. Und weil diese Dienstleistung allzu umständlich zu erklären ist, steht auf dem riesigen Transparent vor der Haustür einfach „US VISA LOTTERY" neben den Stars & Stripes und dem Weißkopfseeadler. In unterschiedlichen Größen und Ausführungen findet man diese Plakate überall in Ghana. „Manche Leute wollen nicht alleine die Formulare auszufüllen oder haben keine Digitalkamera. Sie fühlen sich wohler damit, uns ein paar Cedi zu geben", erklärt Scott die Geschäftsidee, mit der auch viele Ghanaer an einem eigentlich kostenlosen Programm der US-Regierung Geld verdienen. Die Registrierung stand vom 1. Oktober bis zum 3. November 2014 offen. Im letzten Jahr haben sich etwa 800 Teilnehmer im Sharpnet Internet Café registriert.
Die Lotterie als SprungbrettIsaac versucht seit drei Jahren sein Glück. „Ich habe immer davon geträumt, aus Ghana herauszukommen. Die USA waren immer schon in meinem Kopf", erzählt er. Wohin er am liebsten möchte? „Auf jeden Fall eine der großen Städte: Los Angeles, Chicago, Ohio." Sonya füllt an diesem Morgen das Formular gemeinsam mit ihrem Mann Arthur und dem gemeinsamen Sohn Cornelius aus. „Amerika ist ein guter Ort für mich, ich will dort arbeiten", sagt sie. In welchem Beruf sei nicht so wichtig.
Und auch Kanda, der die Lotterieteilnehmer im Sharpnet fotografiert, sagt: „Ich würde vor allem wegen der besseren Bildung nach Amerika gehen." Am liebsten will er nach Chicago, um dort IT-Technik zu studieren. Kanda hat sich zum ersten Mal beworben. Ein Freund hat Dominic von der Visalotterie erzählt, jetzt sitzt der 35-Jährige auf der Wartebank vor dem Fotostudio. Er trägt ein kunstvoll geschneidertes schwarzes Hemd, von dessen Kragen eine Zierleiste über das Brustbein herunterläuft. „Ich bin Designer von Beruf. Wenn ich in die USA komme, würde ich gerne Design studieren. Zu Hause in Ghana würde ich dann US-Mode im afrikanischen Stil machen", erklärt Dominic. Er würde auf jeden Fall zurückkommen - in einer Nebenstraße der Oxford Street in Osu betreibt er eine kleine Schneiderei mit fünf Angestellten und einer Auszubildenden.
Visum aus dem FaltpavillonWenige Kilometer entfernt liegt der Circle, eine der zentralen Tro-Tro-Stationen in Accra: Tausende Menschen kommen hier mit dem Kleinbus an und fahren ab - alles potenzielle Kunden für fliegende Händler, Verkäufer an kleinen Essständen oder eben Visalotterien. Um die Station herum springen mehrere Pavillons ins Auge, an denen das Star Spangled Banner prangt. Auch sie locken die Ghanaer mit dem Amerikanischen Traum an Klapptische und Plastikstühle unter den mit Folie bespannten Aluminiumgerüsten. Die meisten Anbieter hier nehmen die Informationen für die Formulare auf Papier auf und versprechen, sie später in die Maske einzugeben. Scott bezweifelt, dass alle dies tun: „Bei vielen dieser Zelte hat man keine Garantie, wirklich im System zu sein."
An einem Klapptisch unter einem der Pavillons am östlichen Rand des Circle sitzt Bright. Er trägt ein orangenes Poloshirt mit dem Aufdruck „Education Abroad" - ein Flyer der Orga-nisation verspricht Visa in die USA, nach Kanada und Europa. Bright betreibt einen Außen-posten des Education Abroad-Büros, an dem man sich über ausgedruckte Formularbögen direkt für eine US-Greencard bewerben kann. Gerade erklärt er einem Kunden, wie das Prozedere funktioniert: „Wenn jemand gewinnt, rufen wir ihn an. Oder du kannst mit deiner Quittung zum Büro kommen, und selbst nachfragen. Oder wir leiten den Antrag per E-Mail weiter, dann kannst du selbst im Internet nachschauen." So oder so ähnlich funktioniert das an allen Stationen am Circle.
„Die ersten Jahre werden hart"Im letzten Jahr haben bei Scott im Sharpnet Internet Café vier oder fünf Teilnehmer das große Los gezogen. „Das ist gar nicht schlecht", findet der Kanadier. Im August ist Scotts ehemaliger Barmann in die USA gegangen; er hatte sich vor einem Jahr im Sharpnet auf eine Greencard beworben. 2012 haben die Johnsons gewonnen - ebenfalls bei Scott. Heute leben sie mit ihren drei Kindern in New Jersey. „Wir sind sehr glücklich und sind Scott sehr dankbar. In Amerika ist vieles besser als in Ghana", erklärt Samuel Johnson. Er arbeitet bei einer Sicherheitsfirma, seine Frau als Arzthelferin. Sie fügt hinzu: „Irgendwann kommen wir auch sicher zurück nach Ghana, aber wir mögen es hier." Scott freut sich für Familie Johnson, sie hätten sehr viel Glück gehabt. Er warnt allerdings vor falschen Erwartungen: „Die Leute brauchen einen Langzeitblick, mindestens zehn Jahre." Scott ist überzeugt, dass sein Barmann es in zehn Jahren in den USA zu etwas gebracht haben wird. „Aber die ersten Jahre werden hart."
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