von Daniela Becker
München, den 17. Dezember 2019
Ein Klima-Ressort, spezielle Infokästen, Einbezug diverser Akteure: Es gäbe viele Möglichkeiten, wie Medien besser über die Klimakrise und ihre Lösungen berichten könnten. Bislang machen viele Medien einfach weiter, wie bisher. Ein strukturelles Versagen, das wir uns nicht mehr leisten können.Die UN-Klimakonferenz In Madrid ist mit einem enttäuschenden Minimalkompromiss zu Ende gegangen. Die deutschen Schlagzeilen füllen sich derweil mit einer Meldung über Aktivistin Greta Thunberg, die auf ihrer Heimreise mit den Unzulänglichkeiten der Deutschen Bahn Bekanntschaft machte.
Das ist lustig; ein toller Gag für die sozialen Medien und auch ein passendes Symbolbild für die verheerende deutsche Verkehrspolitik des letzten Jahrzehnts. Wenn darüber jedoch hunderte Texte veröffentlicht werden, symbolisiert es leider auch, wie Medien versagt haben, die Klimakrise als das darzustellen, was sie ist: Die größte, menschengemachte und damit abwendbare Bedrohung, der die Menschheit je ausgesetzt war.
Natürlich, es gibt viele Journalisten, die über Jahre und Jahrzehnte qualifiziert über Klimaforschung, Energiewende und nationale sowie internationale Klimapolitik berichtet haben. Es gibt Portale wie Klimareporter.de oder Klimafakten.de, die sich explizit mit Klimafragestellungen auseinandersetzen. Andere Medienangebote haben in jüngster Zeit reagiert, so bietet die Süddeutsche Zeitung einen wöchentlichen Newsletter zum Thema an, das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv.de hat eine Klimaredaktion etabliert, der Kuratorenservice piqd.de hat einen eigenen Kanal „ Klima & Wandel ". Das Problem an all diesen Angeboten ist, dass sie nur eine Leserschaft erreichen, die ohnehin schon interessiert ist.
Klimaberichte müssen in die Breite gehenUm die umfassende gesellschaftliche Transformation anzustoßen, die zur Lösung der Klimakrise unbedingt erforderlich ist, muss aber ein möglichst großer Teil der Gesellschaft einbezogen werden - und insbesondere jener, der den Ernst der Lage noch nicht begriffen hat. Blättert man deutsche Tageszeitungen durch, egal ob lokal oder überregional, kann man Texte mit Klimabezug oft an einer Hand abzählen. Die wenigen Zeitungen wie die Frankfurter Rundschau, die einst wenigstens über eine Umweltseite verfügten, haben diese abgeschafft. Die Süddeutsche Zeitung handelt solche Themen vorwiegend auf ihren Wissenschaftsseiten ab.
Die taz hat 1992 ihre Umweltseite mit der Wirtschaftsseite verschmolzen. Die Zeitung selbst begründete diesen Schritt damit, dass die ökologische Transformation auch die reale Wirtschaft umwälzen muss. „Wirtschaftliche Entscheidungen haben ökologische Konsequenzen und umgekehrt. Ökologische Politik lässt sich nur gegen die Partikularinteressen kapitalistischer Unternehmen durchsetzen. Warum also nicht in der taz zusammenbringen, was zusammengehört?"
Was als Ansatz logisch klingt und damals progressiv war, würde ich im Jahr 2019 als gescheitert betrachten. Im Nachhinein müssen sich die taz und die komplette Nachhaltigkeitsbewegung Agenda21 vielleicht fragen lassen, ob es falsch war, sich darauf einzulassen, wirtschaftliche und ökologische Interessen gleichberechtigt zu betrachten.
Die Erderhitzung ist ein übergeordnetes Thema, das auf Gesundheit, Migrationsbewegungen, Landwirtschaft, Mobilität, Energieversorgung und Infrastruktur ausstrahlt.
Wer weiter macht wie bisher, versagtKein deutsches Medium hat bisher einen Weg gefunden, die übergeordnete Bedeutung der Klimakrise angemessen abzubilden. Vielleicht haben viele Menschen zwar den Eindruck, dass das Thema inzwischen allgegenwärtig ist. Das liegt vor allem an Greta Thunberg und FridaysforFuture. Doch auch hier verharren viele Medien in dem althergebrachten Stil, zwar über diese Protest-Phänomene zu schreiben, weniger aber über die systematischen Verursacher der Klimakrise. Die weltweiten Treibhausgasemissionen steigen täglich weiter, der Meeresspiegel hat den höchsten Stand seit Menschengedenken, Eiskappen schmelzen mit beispielloser Geschwindigkeit, Ozeane werden immer saurer, klimabedingt werden Naturkatastrophen wie die australischen Waldbrände immer häufiger, destruktiver, mit steigenden menschlichen und finanziellen Verlusten. Wer diese Geschehnisse und ihre Ursachen als Medium nicht als die herausragende Herausforderung unserer Zeit abbildet, sondern einfach weitermacht wie bisher, der versagt.
Der Journalist Bernhard Pötter hat das in einer lesenswerten Kritik auf Übermedien so formuliert:
Anstatt zu entlarven, dass ernsthafte Klimapolitik von interessengeleiteten Nebelkerzen gebremst wird, ziehen sich Redaktionen auf eine angebliche Objektivität zurück. Anstatt die bereits sichtbaren und fühlbaren Anzeichen einer großen Veränderung aufzuspüren und konservativ ihren Fortgang abzuschätzen, wird vom Weltuntergang fantasiert. Anstatt klar zwischen Klimakrise, Glyphosat und Plastikmüll zu unterscheiden, wird alles zusammengerührt, weil in der Natur ja alles mit allem zusammenhängt. Und anstatt Ressourcen und Jobs für langwierige und komplexe Recherchen bereitzustellen, fällt die Berichterstattung über Klimapaket und UN-Verhandlungen oft in das Bermuda-Dreieck zwischen den Ressorts Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.Diese Medienkritik ist alles andere als neu. Franz Alt schrieb in seinem Buch „Wege zur ökologischen Zeitwende" bereits 2002:
Wenn 95 Prozent der Beiträge weiterhin suggerieren, oft eher unterschwellig, alles bleibt im bisherigen Bannkreis, dann kann man nichts erreichen. Das gleiche gilt für das Fernsehen. Da kann eine Ökosendung zwischendurch auch nichts erreichen. Ein grundsätzlich anderes Herangehen ist also gefragt [...] Man muss es in den Medien darauf anlegen, hier ein Tor aufzuweiten für einen neuen geistigen Impuls, für die Logik einer rettungsfähigen Lebensordnung.Nun ist es nicht so, dass ich auf die Frage, wie es besser ginge, die ultimative Antwort hätte. Vermutlich gibt es auch nicht nur eine. Sinnvoll wäre es aus meiner Sicht, die Leser*innen zu fragen. Genau das habe ich kürzlich in der Konstanzer Stadtbibliothek im Rahmen eines Workshops getan.
Sport, Börse - aber kein KlimaDie Teilnehmer*innen waren sich einig, dass keine einzige Zeitung das Thema Klimakrise angemessen ernst nimmt. Frappant: Fast jede Zeitung verfügt über mehrere Seiten Sportberichterstattung, sogar Börsenkurse und Fernsehprogramm werden noch abgedruckt. Als sehr naheliegend empfanden die Teilnehmer*innen die Idee, dem Thema Klimakrise kontinuierlich und prominent mehr Platz einzuräumen - möglicherweise in einem eigenen Ressort.
Eine ganz ähnliche Forderung verfolgen Bürger*innen seit längerem unter dem Hashtag #Klimavor8. Sie verlangen von der ARD, vor der Tagesschau abwechselnd mit der „Börse vor 8" eine Sendung auszustrahlen, die sich den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit widmet. Eine entsprechende Petition für das Format „Klima vor 8" läuft im Moment auf change.org.
Weiterer Vorschlag der Teilnehmer*innen: In Gemeinden und Regionen sollten Redakteur*innen ganz konkret Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele nach dem Pariser Vertrag dokumentieren, genauso wie notwendige Maßnahmen zur Klimawandelanpassungen, und darüber aufklären, welche Auswirkungen auf die Region zukommen.
Natürlich kann man solche Seiten überblättern, Sendungen überspringen. Deswegen erscheint es mir wichtig, sicherzustellen, dass Redakteur*innen aller Ressorts und Formate Klimaschutzfragen immer mitdenken. Eine Berichterstattung über eine Bilanzpressekonferenz eines Unternehmens ohne Auskunft über die Klimabilanz darf es nicht mehr geben. Ein Text über die Planung eines neuen Wohnviertels muss die Klimaauswirkungen beleuchten. Ein Text über ein attraktives Reiseziel sollte nicht ohne Hinweis auf klimaschädliches Fliegen auskommen. Die Teilnehmer*innen in Konstanz schlugen vor, jedem Text eine kleine Infobox beizufügen, die jeweils die Klimafrage einordnet.
Sicher gäbe es auch andere Möglichkeiten, aber die Idee ist deutlich: Kleine und große Störer, damit Leser*innen es sich nicht gemütlich machen können im scheinbar normalen Alltag. Verzweifelte Wissenschaftler*innen verfolgen diese Strategie inzwischen in einem Format, dass sie #traintalk nennen. Im öffentlichen Nahverkehr klären sie über die Auswirkungen der steigenden Treibhausgasemissionen auf.
Die politischen Ansätze zur Lösung der Klimakrise und der stockenden Energie-, Verkehrs- und Agrarwende polarisieren und tragen zur Spaltung der Gesellschaft bei. Das liegt unter anderem daran, dass Medien vielfach die immer gleichen Lautsprecher zu Wort kommen lassen - und es auch immer noch Medien gibt, die meinen, es sei journalistisch in Ordnung, Klimawandelleugner eine Bühne zu bieten. So hat zum Beispiel die WELT immer noch einen Text mit dem Titel „Die CO 2-Theorie ist nur geniale Propaganda" online. Er stammt aus dem Jahr 2011, wird aber in den sozialen Medien heute noch eifrig geteilt. Der WELT bringt es Klicks, und damit Werbeeinnahmen. Nach ähnlichem Prinzip verfahren viele Redakteure bei der Zusammensetzung ihrer Gesprächsrunden im Studio. So saß 2017 Alex Reichmuth bei Sandra Maischberger, Journalist bei der rechtskonservativen Schweizer „Weltwoche". In dieser ersten Talkshow im deutschen Fernsehen zum Thema Klimakrise stellte er sich selbst treffenderweise als „Klimawandelleugner" vor. Zur besten Sendezeit durfte er behaupten, „die Berechnungen vieler tausend Klimawissenschaftler seien „getürkt". Die Klimakrise hat regional unterschiedliche Gesichter; es gibt tausend verschiedene Lösungsansätze. Über all das kann kontrovers gestritten werden. Nicht aber darüber, ob der Klimawandel menschengemacht ist. Das ist wissenschaftlich erwiesen.
Einem solchen Missverständnis von journalistischer Neutralität lässt sich am besten durch einen Redaktionsleitfaden entgegentreten, wie sich ihn beispielsweise der Guardian gegeben hat. Die britische Zeitung empfiehlt ihren Redakteur*innen auch sorgsam mit Sprache umzugehen, also etwa nicht verharmlosend von Klimawandel, sondern von Klimakrise oder Klimakollaps zu schreiben.
Lokalzeitungen haben die Möglichkeit, im Zeichen der Klimakrise neue Akzente zu setzen und ein besonderes Augenmerk auf die regionalen Auswirkungen, Herausforderungen und die Akteure zu richten. Sie könnten zum Beispiel über ein regelmäßiges Kolumnen-Format verschiedene Stimmen aus der Bürgerschaft - von FridaysforFuture-Vertreter*innen, Klimaschutzmanager*innen, Stadträt*innen bis hin zu Unternehmer*innen - zu diesen Themen zu Wort kommen zu lassen.
Weil das Ausmaß der Klimakrise und ihre Komplexität anstrengend und auch deprimierend sind, ist es notwendig, immer wieder auch auf Erfolge und Vorbilder hinzuweisen. Denkbar wäre ein Format „Köpfe der Woche", das Aktionen, Unternehmen oder Einzelpersonen zeigt, die zum Klimaschutz beitragen.
Konkrete Klimaschutz-Angebote vor Ort vorstellenVielfach wurde in Konstanz der Wunsch geäußert, mehr über ganz konkrete Möglichkeiten zum Klimaschutz informiert zu werden. Dabei ging es weniger um die verschiedenen Protestformen wie FridaysforFuture oder ExtinctionRebellion, sondern eher um Mitmach-Initiativen, Car-Sharing-Angebote, Energiespartipps, Förderprogramme für Sanierungen oder Bundestagspetitionen. Hier böte es sich für Redaktionen an, mit den diversen existierenden Initiativen wie Umwelt-NGOs, Verbraucherzentralen, Energieberatern direkt zusammenzuarbeiten.
Ein weiteres Anliegen war den Konstanzern der Ausbau des Leser*innendialogs zu diesen Themen. Viele Bürger*innen wünschen sich, dass sowohl ihre Anliegen als auch ihre Expertise wahrgenommen werden. Medien können das einbinden, beispielsweise über Mitmach-Fomate, wie die Initiative FixMyBerlin, die gemeinsam mit dem Tagesspiegel Berliner*innen befragt, wie die Straßen in der Hauptstadt aussehen müssten, damit sich auch Radfahrer*innen und Fußgänger*innen sicher fühlen. Ein gelungenes Beispiel ist aus meiner Sicht auch das Feinstaub-Radar der Stuttgarter Zeitung, das Umwelt-, Lokal- und Datenjournalismus sowie Bürgerengagement aufs Beste miteinander vereint. Wie Community-Dialog gelingen kann, zeigt weiterhin die Süddeutsche Zeitung über ihre Werkstatt Demokratie, unter anderem zum Thema Klimawandel. Solche Formate eignen sich dazu, sowohl die Ängste und Sorgen der Bürger*innen ernst zu nehmen, als auch konsensorientierte Lösungsvorschläge zu erarbeiten.
Verprellen wir damit nicht einige unsere Leser*innen, werden sie sich nicht genervt abwenden?, mögen Redakteur*innen fragen. Das Risiko besteht natürlich, aber gefällig zu sein, ist keine journalistische Aufgabe. Zudem ergeben sich neue Chancen: Viele Lokalzeitungen kämpfen im Moment um ihr Überleben, auch weil ihre Abonnent*innen überaltert sind und jüngeres Publikum kaum noch Zeitung liest. Eine Positionierung zum entscheidenden Zukunftsthema Klimakrise und das Angebot daran aktiv mitzuwirken, kann das möglicherweise ändern.
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