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Wie Kopenhagen zum Fahrradparadies wurde

Kopenhagen will bis 2025 klimaneutral sein. Dazu hat die dänische Hauptstadt einen der Hauptverantwortlichen für den Klimagas-Ausstoß beherzt angepackt: den Verkehrssektor.

„Klimaschutz geht nur zusammen mit dem Rad", sagt Morten Kabell, der als Bürgermeister für Umwelt und Technik auch den Ausbau der Radinfrastruktur verantwortet. Seit einigen Jahren bemüht sich die Stadt daher intensiv darum, dass sich die Kopenhagener statt mit dem Auto mit dem Rad fortbewegen. Zwischen 2004 und 2017 wurden in der dänischen Hauptstadt umgerechnet rund 270 Millionen Euro investiert: in den Ausbau der Fahrrad- und Fußgängerinfrastruktur wie Brücken, Abstellplätze und gesicherte Wege zu Schulen. Pro Einwohner und Jahr entspricht das ungefähr 40 Euro. Das Jahresbudget nur für den Ausbau der Radinfrastruktur liegt bei umgerechnet 13,5 Millionen Euro. Großprojekte werden zusätzlich separat finanziert.

Fast jeder Zweite fährt mit dem Rad zur Arbeit

Mit durchschlagendem Erfolg: Während an anderen Orten Europas die Radbewegung unter dem Begriff „Critical Mass" um mehr Beachtung kämpft, sind Radfahrer in Kopenhagen inzwischen die relevanteste Gruppe unter den Verkehrsteilnehmern. 41 Prozent aller Bürger, die in der Innenstadt arbeiten oder studieren, nutzen das Rad, um zu ihrem Arbeits- oder Studienort zu pendeln. Wohnen sie auch in der Stadt, sind es sogar 60 Prozent. Strecken bis zu zehn Kilometern werden vorwiegend mit dem Rad zurückgelegt. Erst bei längeren Distanzen liegt das Auto wieder vorne.

Doch warum lassen so viele Kopenhagener das Auto stehen? Der Grund hierfür ist nicht etwa, dass die Dänen besonders ökologisch orientiert sind und das Klima schützen wollen. „Radfahren ist schlicht das schnellste Verkehrsmittel mit dem man von A nach B kommt", sagt der Technische Bürgermeister Morten Kabell. Und dafür hat die Stadt viel getan.

Keine neuen Straßen mehr

Viele Großstädte stehen vor einem Verkehrskollaps. Weil immer mehr Menschen in die urbanen Ballungsräume ziehen oder zumindest dort arbeiten, rollt die tagtägliche Blechlawine nur behäbig vor sich hin; Staus sind an der Tagesordnung. In Deutschland lautet die Lösung oft immer noch: mehr neue Straßen, mehr Tunnel, mehr Parkhäuser. "Wir haben uns entschieden, danach zu planen, welches Transportmittel die meisten Menschen über eine Straße bewegt. Und das ist nicht der Privat-PKW", sagt hingegen Morten Kabell. Neue Straßen werden in Kopenhagen gar nicht mehr gebaut. "Das nimmt einfach zu viel Platz weg", so Kabell. Stattdessen werden die vorhandenen Straßen optimiert und das stets im Sinne der verbesserten Fahrradinfrastruktur. „Das ist die günstigste und effizienteste Maßnahme", sagt der Stadtverantwortliche.

Tausend Kilometer Radwege

Kopenhagen verfügt inzwischen über rund 1.000 Kilometer Radwege. Die Standardbreite beläuft sich auf 2,50 Meter. Auf diesen Wegen können Radfahrer problemlos zu zweit oder sogar zu dritt nebeneinander fahren und sich gemütlich miteinander unterhalten. 200 Kilometer des Netzwerkes sind Radschnellbahnen. Sie sind sogar drei Meter breit. Auf den so genannten „Greenways", den Querverbindungen durch Grünanlagen und Parks, kann man auf dem Weg zur Arbeit spielende Kinder beobachten und Vögel zwitschern hören.

Zwar kann die Standardbreite nicht überall durchgehalten werden, aber selbst die schmaleren Radwege sind in 90 Prozent der Fälle breiter als in Deutschland. In den allermeisten Fällen haben alle Verkehrsteilnehmer, also Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger, eine eigene Spur. Um die Sicherheit zu erhöhen, sind sie zudem oft durch physikalische Barrieren wie Bordsteine oder Aufsteller voneinander getrennt. So kann nicht aus Versehen ein Auto auf die Radspur kommen, oder ein Radfahrer einen Fußgänger bedrängen.

So wenige Hindernisse wie möglich

Plötzlich im Nichts endende Radwege, Lieferverkehr der auf der Spur stehen oder Baustellen, die einen zum Absteigen zwingen, gibt es hier nicht. „ Radfahrer verhalten sich nicht wie Fußgänger oder Autofahrer. Deswegen muss man das Design auf sie anpassen", sagt der kanadisch-dänischen Stadtplaner Mikael Colville-Andersen, der auf seinem Blog Copenhagenize Beispiele darstellt, wie man Städte fahrradfreundlicher gestaltet. Um das Verhalten von Radlern zu begreifen und auch um ihre eigenen Maßnahmen bewerten zu können, erheben die Kopenhagener Stadtplaner sehr viele Daten. „Wie viele Radler tragen einen Helm, wie viel Frauen, Männer und Kinder sind mit dem Rad unterwegs? All das gibt Auskunft darüber, wie sicher Bürger eine Radstrecke empfinden", sagt Colville-Andersen. Wenn sich an einer bestimmten Stelle besonders viele Radfahrer regelwidrig verhalten, wird in Kopenhagen der Ursache auf den Grund gegangen und versucht, sie zu optimieren. Denn ihre Regelverstöße zeigten Handlungsbedarf auf, so der Stadtplaner.

Alles fügt sich ineinander: Kaum eine Treppe, die nicht mit einer Fahrradspur ausgestattet ist, damit man das Rad schieben kann und nicht tragen muss. An jeder Baustelle markieren die Arbeiter als Erstes einen Radstreifen, damit der sichere Radverkehr nicht unterbrochen wird.

Damit die Radpendler so bequem wie möglich durch die Stadt kommen, sind die Ampeln im Stadtgebiet so geschaltet, dass man bei einer konstanten Geschwindigkeit von 20 km/h eine grüne Welle hat. Auf diese Weise müssen Radler nicht ständig abbremsen und neu anfahren, was Kraft und Nerven kostet. Muss man doch mal anhalten, gibt es an manchen Orten Haltestangen und Fußbretter. Kaum wird es grün, kann sich der Radler hier bequem abstoßen. Der grüne Rechts-Abbieger-Pfeil für Radfahrer ist Standard. Das erhöht den Verkehrsfluss.

Die Stadt probiert ständig Neues aus, um es den Radfahrern so angenehm wie möglich zu machen. Zum Beispiel mit LED-Streifen: Bleibt das Licht auf der Höhe des Fahrers grün, erreicht man sicher die nächste grüne Ampel. Leuchtet die LED nicht, muss man beschleunigen - oder kann sich Zeit lassen.

Trotz des strengen, langen Winters radeln auch in der dunklen Jahreszeit 75 Prozent aller Kopenhagener. Die Radwege werden morgens - noch vor den Autostraßen - als allererstes geräumt.

Überhaupt wird die Infrastruktur intensiv gewartet. Auf den Radschnellwegen lässt es sich nicht ohne Grund so schön dahinsausen: Mit speziellen Maschinen wird die Ebenheit des Asphalts regelmäßig überprüft.

Die größte Unfallgefahr droht an Kreuzungen. In Kopenhagen legt man daher auf diese Gefahrenquelle ein besonderes Augenmerk. "Radfahrer müssen stets sichtbar sein", sagt Morten Kabell. Die Radwege über Kreuzungen und vor unübersichtlichen Einfahrten sind mit der Signalfarbe Türkis gekennzeichnet. Zudem hat die Stadt die „10-Meter-Regel" eingeführt. Sie verbietet, dass Kraftfahrzeuge nahe an Kreuzungen parken und dadurch die Sicht versperren.

An großen Kreuzungen sammeln sich in der Rushhour nicht selten Pulks von 40 bis 60 Radfahrern. Ist die Radspur auf der Straße, befindet sich die Haltelinie der Radfahrer standardmäßig vor der für die Autofahrer. Auf diese Weise können die Radfahrer vor den Autos starten.

Bauwerke nur für Radfahrer

„Jede Stadt braucht auf die örtlichen Gegebenheiten angepasste Infrastruktur. In Kopenhagen besteht eine wesentliche Herausforderung darin, die verschiedenen Teile der Stadt, die durch Wasserarme zerteilt werden, zu verbinden", sagt Bürgermeister Morten Kabell.

Beispiel Cykelslangen: Die 2014 neu eröffnete Brücke für den Radverkehr über das innere Hafenbecken von Kopenhagen hat sich die Stadt 5,1 Millionen Euro kosten lassen. Durch die Cykelslangen, übersetzt die Fahrradschlange, wurde ein sicherer und bequemer Weg zur nächsten Brücke eröffnet, wodurch nun die Stadtteile Vesterbro und Amager verbunden sind. Die Radfahrtzeiten in Richtung vieler Universitäten und dem Stadtteil Ørestad haben sich durch die neue Brücke deutlich verkürzt.

Jeder Kilometer mit dem Rad ist ein Gewinn

Etwa 9.000 Radfahrer nutzen die Verbindung über die Brücke täglich, dreimal mehr als die Planer zuvor erwartet hatten. Durch eine integrierte Beleuchtung ist das Befahren auch in der Nacht sehr sicher. Gleichzeitig ist die Brücke nicht nur schick - über die geschlungene Brücke zu rauschen, macht auch noch Spaß. „Wenn man aber die positiven sozio-ökonomischen Aspekte mit einrechnet, dann haben sich die Kosten für die Cykelslangen in 5,5 Jahren amortisiert. Einen solchen Payback hat man bei einer Autobahnbrücke nie im Leben", sagt Morten Kabell.

Tatsächlich hat die Stadt Kopenhagen ausrechnet, dass mit jedem gefahrenen Radkilometer die Gesellschaft rein rechnerisch 0,22 Euro Gewinn erzielt. Hinter der Zahl steckt eine Kosten-Nutzen-Analyse, die zum Beispiel die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit, weniger Unfälle und die reduzierte Umweltverschmutzung als Pluspunkt wertet.Autofahren hingegen kostet die Gesellschaft pro gefahrenen Kilometer 0,75 Euro.

Kostenfreie Radmitnahme in der S-Bahn

Auch die umliegenden Gemeinden werden in die Planung mit einbezogen. Pendler können das Rad bequem im öffentlichen Nahverkehr mitnehmen - die Mitnahme ist kostenfrei.

Nach Angaben der Dänischen Bahn (DSB) nutzen jedes Jahr zehn Millionen Passagiere diese Möglichkeit. Am Bahnsteig ist klar ausgeschildert, wo die Rad-Wagons anhalten. Durch große Türen kann man auch mit Rad bequem einsteigen.

Pro Wagon haben mindestens 20 Räder in den vorhandenen Halterungen Platz, meist fahren aber mehr Radhalter mit. Für die Mitnahme von Kinderwagen gibt es einen separaten Wagon.

"Arrogance of Space" nennt Mikael Colville-Andersen die Art von Stadtplanung, die sich an den Bedürfnissen von Autofahrern ausrichtet und Radfahrern und Fußgänger nur einen minimalen und untergeordneten Raum einräumt. Begonnen hat dies mit dem Siegeszug der Autoindustrie in den 1950er und 60er Jahren, in dessen Folge Städte in Europa und der ganzen Welt auf das neue Lieblingsfortbewegungsmittel optimiert wurden: Breite Straßen und asphaltierte Parkplätze. In Kopenhagen wurde in den vergangenen Jahren viel davon umgewandelt.

Streit um den Platz

„Wenn es nach mir ginge, hätten wir noch deutlich weniger öffentliche Auto-Parkplätze und noch mehr Grünflächen", sagt Kabell. Nicht alle in der dänischen Hauptstadt sind vom Engagement ihres Technischen Bürgermeisters begeistert. „Treehugger", ein verächtliches Wort für "Öko", ist noch eines der netteren Schimpfwörter, das er sich nach eigener Aussage schon anhören musste. Oftmals stelle sich in solchen Diskussionen aber heraus, dass die besonders unzufriedenen Menschen die sind, die gar nicht selbst in der Stadt leben, sondern außerhalb wohnen, so Kabell.

Die Kopenhagener selbst sind laut Umfragen sehr zufrieden mit dem öffentlich genutzten Raum und den Grünanlagen. Auch Betreiber kleiner Ladengeschäfte geben die Rückmeldung: Je weniger Autoparkplätze den Zugang verstellen, desto besser laufen die Geschäfte. Sie werden besser wahrgenommen und wer radelt, lässt sich eher mal zu einem Spontankauf hinreißen. Auch die Besucherzahlen geben Kabell Recht. Das grünes Image und die Fahrradkultur locken Touristen aus der ganzen Welt an.

Handzeichen, Klingeln und rücksichtsvolles Miteinander

Was die Touristen als Attraktion wahrnehmen, ist für die Bewohner Kopenhagens schnöder Alltag. Alle fahren mit dem Rad, egal ob modebewusste Frau, der Business-Mann im Anzug, oder der Vater, der seine Familie kutschiert. Manche nutzen einen Helm, andere nicht.

Beobachtet man den den steten Fahrradfluß, sieht man kaum gefährliche Überholmanöver, andere Verkehrsteilnehmer werden nicht bepöbelt oder angeschrien. Stattdessen: Radfahrer, die an Ampeln warten müssen, halten den Zebrastreifen frei, damit Fußgänger passieren können. Autofahrer warten, bis der Strom der Radfahrer abebbt, damit sie abbiegen können. Wer anhalten muss, bremst nicht einfach abrupt ab, sondern signalisiert dies zunächst seinem Hintermann per Handzeichen - denn sonst gibt es unweigerlich eine Kollision. Wer überholen muss, drängelt nicht einfach vorbei, sondern macht mit einem Klingelzeichen auf sich aufmerksam. Gleiches bei Fußgängern, meist Touristen, die sich auf den Radweg verirrt haben. Man könnte sagen, in Kopenhagen hat sich im Laufe der Zeit eine Fahrradkultur herausgebildet.

Grundlage für das friedliche Miteinander ist weniger das freundliche Wesen der Skandinavier, sondern die funktionierende Infrastruktur - es ist genug Platz für alle da.

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