Herr Barth, mit dem Internet, so heißt es oft, wird sich Bildung komplett verändern. Wie beurteilen Sie das?
Natürlich haben wir dadurch, dass es eine extreme Verfügbarkeit von Informationen gibt, ganz andere Möglichkeiten Bildung zu gestalten. Zum Beispiel über stärkere Individualisierung und Anpassung. Man kann darüber nachdenken, in welchen Schritten man eigentlich lernt und wie man die Vorlieben und Fähigkeiten einzelner am besten berücksichtigt. Das wird oft von technologischer Seite betrachtet: Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat zum Beispiel gerade eine Initiative angekündigt, Software zu entwickeln, die personalisiertes Lernen ermöglicht. Aber jede Technologie muss immer eingebunden sein in ein Konzept, das sich die Frage stellt: Was ist jenseits von reinen Informationen noch von Bedeutung?
Wie meinen Sie das?
Ich begleite zum Beispiel Grundschulen, die Tablets einsetzen. Wenn das richtig gemacht wird, kann es richtig spannend sein. Wenn das aber nach dem Motto passiert, in der Freiarbeitszeit dürfen die Kinder sich ans Tablet setzen, weil sie das Weltwissen mit einem Fingerwisch vor sich haben: das wird nicht funktionieren. Genauso ist es auf Hochschulebene. Man kann mit einem Massive Open Online Course (MOOC), wenn man eine didaktische Idee und ein Konzept hat, großartig Bildung machen. Wenn aber Wissen, dass man sonst lieblos in der Vorlesung präsentiert hat jetzt im Internet angeboten wird, dann wird sich nichts ändern.
Sie sehen MOOCs kritisch?
Die Grundidee ist natürlich bestechend: Bildung kostenlos für alle. In diversen aktuellen Studien, die untersuchen wer dieses Angebot nutzt, wird aber klar, dass es keineswegs diejenigen sind, von denen man hoffte, sie würden am meisten profitieren. Es sind nicht die Leute auf dem Land in Afrika, sondern vorwiegend Großstädter mit akademischem Bildungshintergrund der Eltern, die genauso in die Bücherei oder in die Uni nebenan gehen könnten. Gleichzeitig gibt es eine immense Zahl von Anmeldungen bei den Kursen und kaum jemanden der einen Kurs tatsächlich beendet. Das zeigt, es geht immer um die Frage, bietet man Informationen oder Bildung an?
Worauf kommt es dabei an?
Wenn ich meine Studierende hier vor Ort habe, muss ich mit denen nicht mit neuen Medien arbeiten, weil ich mit ihnen auch im Klassenzimmer treffen kann. Ich kann sie aber zum Beispiel in einer digitalen Lernumgebung mit Studierenden in Südamerika zusammenbringen und gemeinsam über die Frage der Nachhaltigkeit diskutieren. Dann erfahre ich einen Mehrwert, weil sie dann einen Zusammenhang haben den sie sonst nicht kriegen.
Es gibt einige wenige sehr spannende Beispiele, wo es geschafft wird über hochklassige Einführungen von Koryphäen auf dem Gebiet Informationen anzubieten und damit zu verbinden, dass die Studenten Inhalte später in kleinen Gruppen weiterbearbeiten. Von der Cornell University wird zum Beispiel gerade mit mehreren Kooperationsparntern ein MOOC zum Umgang mit Globalisierung und Umweltfragen aufgebaut, der dieses Prinzip verfolgt. Die Veranstalter bieten zentral Informationen an, wollen aber lokale Lerngemeinschaften bilden. Das bedeutet, dass sich die Studierenden mit NGO-Gruppen vor Ort zusammen tun und dort mit dem Material gemeinsam arbeiten. So wird eine Verbindung von online und offline lernen geschaffen. Das halte ich für sehr vielversprechend.
Wie sähe ein Positivbeispiel an einer Grundschule aus?
Ich bin zum Beispiel in Kooperation mit einer Grundschule, der von einer Firma Tablets zur Verfügung gestellt wurde - natürlich auch mit dem Interesse der Firma, so etwas flächendeckender zu verbreiten. Gleichzeitig hatte die Schule die Möglichkeit die Tablets ganz frei einzusetzen. Der Schulleiter hatte dann die Idee, bei der Uni anzufragen, ob nicht die Studierenden ein Konzept entwickeln könnten, wie man das sinnvoll einsetzen kann. Die haben überlegt, wie man in welchen Szenarien man mit dem Tablet einen Mehrwert schaffen kann. Dabei geht es nicht um das naheliegende: also zum Beispiel Programme zu verwenden, mit denen man etwas über die Natur lernen kann oder einfach Videos anzugucken. An der Schule haben sie stattdessen entschieden, die Kinder zum Beispiel ihr Kartoffelpflanzprojekt mit dem Tablet begleiten zu lassen. Sie sind dann die Reporter, die mit dem Tablet Bilder machen, Texte schreiben und damit ganz anders die Information, die sie aufnehmen, verarbeiten und damit ein verfestigteres Wissen haben und mit viel mehr Motivation und Spannung dabei sind, als das beim Frontalunterricht der Fall ist. Solche Projekte und Konzepte brauchen aber Zeit, um zu entstehen.
Welche Gefahr sehen Sie bei der Diskussion, um den Einsatz neuer Medien?
Ganz oft werden die Chancen vom Internet und Digitalisierung unter dem Gesichtspunkt diskutiert, dass Bildung billiger wird und eine weitere Reichweite hat. All das kann ich nicht bestätigen. Neue Medien können ganz viel helfen bei der Selbststeuerung, beim Kompetenzerwerb und, um komplexe und globale Zusammenhänge zu erfassen und zu bearbeiten. Das bedeutet aber nicht, dass Bildung billiger wird, weil neue Medien oder das Internet den Lehrer ersetzen. Es verändert sich nur die Rolle des Lehrenden: Er ist nicht mehr der direkte Vermittler von Wissen, sondern der Gestalter von Lernumgebungen. Denn wenn ich neue Medien gewinnbringend nutzen will, muss ich anregende Lernumgebungen schaffen und die Schüler herausfordern, sich mit einem Thema zu beschäftigen. Dazu muss ich verstehen, wissen und auch eine Idee davon haben, welche Vorteile das Internet haben kann und welche ich tatsächlich nutzen will. Dazu muss man Zeit investieren. Das kann keine Maschine übernehmen.
Wie verbreitet ist der Einsatz von neuen Medien schon in deutschen Schulen?
Insgesamt hängen wir in Deutschland ganz stark hinterher. Das Potenzial, das neue Medien für die Bildung entfalten könnten, kann in Deutschland gar nicht wirklich ausprobiert werden, weil den Lehrkräften die Möglichkeiten eigentlich nicht gegeben sind. Es gibt schlicht keine Ausstattung. Zwar gibt es schon spannende Projekte, aber das bleibt immer auf der Ebene von Modellprojekten. Wenn es Hardware gibt, hängt das immer an besonders engagierten Personen, die es geschafft haben, Kooperationen mit entsprechenden Firmen einzugehen oder Mittel einzuwerben - aber es fehlt der flächendeckende Support und das Bewusstsein von den Schulträgern, dass es eine Grundausstattung geben müsste.
Gibt es weitere Herausforderungen?
Ein wesentliches Problem an den Schulen ist die Zuschreibung, wer für das entsprechende Equipment zuständig ist. An der Universität gibt es eine klare Arbeitsteilung: Es gibt das Rechenzentrum, das sich um den Support und den Hintergrund kümmert und das Lehrpersonal, das sich dafür verantwortlich ist, das Material sinnvoll einzusetzen. An Schulen gibt es nur eine Lehrkraft geben, die gleichzeitig den Server betreut, nachsieht ob die Computer laufen und Updates vornimmt. Das ist total ineffizient, weil der Lehrende dafür einerseits gar nicht qualifiziert ist und ihm gleichzeitig die Zeit fehlt, sich um das zu kümmern, wofür er Spezialist ist: nämlich spannende Lehr-Lern-Situationen zu schaffen.