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168:16 - ein Eishockey-Marathon für die Geschichtsbücher!

Der Held des Abends - Philip Gogulla beendete mit seinem Treffer das längste DEL-Spiel der Geschichte (Foto: dpa/picture alliance)

„Der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten." Ein Satz, der Vielen ein Begriff sein dürfte, gesprochen von Sepp Herberger, Fußballbundestrainer der Weltmeisterelf von 1954. Das Äquivalent im Eishockey würde lauten: Die Scheibe ist zylinderförmig und ein Spiel dauert 60 Minuten. Dieser Satz hört sich nicht nur etwas sperrig an, sondern ist auch in vielen Fällen nicht korrekt. Während es in der Hauptrunde maximal fünf Minuten darüber hinausgeht, gab es in den Playoffs schon so manche Spiele, die zeitlich deutlich über das Ziel hinausschossen...

Es war der September des Jahres 2007, die DEL ging in ihre mittlerweile 14. Spielzeit und war mal wieder um ein Team gewachsen. Die Grizzly Adams Wolfsburg kamen als 15. Team hinzu. Der sportliche Abstieg war zwar bereits zur Vorsaison abgeschafft worden, um den Clubs mehr finanzielle Plansicherheit zu geben, dennoch konnte sich der Meister der zweiten Liga um die Aufnahme, die dann mit einer Aufstockung der Liga verbunden wäre, bewerben; so geschehen mit den Niedersachsen, da sowohl die Gesellschafterversammlung zustimmte, als auch der 9000-Punkte-Plan erfüllt wurde, wonach das Stadion u.a. eine ausreichende Kapazität aufzuweisen hatte.

Als zudem interessant sollte sich eine Regeländerung entpuppen, die die Playoffs betraf: Statt wie bisher sollte in einer Playoff-Partie, sollte sie nach 60 Minuten nicht entschieden sein, der Sieger in einer fortlaufenden Overtime nach nordamerikanischem Vorbild ermittelt werden. Bis zur Saison 2006/07 folgte in Endrundenpartien nach einer 20-minütigen Verlängerung unmittelbar ein Penaltyschießen.

Zunächst begann aber die Hauptrunde. Am zweiten Spieltag stellten die Ice Tigers aus Nürnberg und die Iserlohn Roosters mit dem sagenhaften Ergebnis von 10:9 aus Sicht der Franken eine neuen Torrekord in der DEL auf. Die Nürnberger, damals unter dem Namen „Sinupret Ice Tigers" antretend, waren es auch, die nach der Doppelrunde und damit 56 Spielen mit 115 Punkten auf Platz eins standen, dicht gefolgt von Berlin (113) und Köln (109). Die Top-Sechs komplettierten Frankfurt, Iserlohn und Vorjahresmeister Mannheim, der sich nach schwachem Start im Saisonverlauf gefangen hatte und noch die direkte Viertelfinalqualifikation klar machen konnte. Nach jeweiligen 2:1 Seriensiegen in den Pre-Playoffs qualifizierten sich über diesen Umweg noch die Hamburg Freezers und die DEG Metro Stars für die Runde der besten acht. In Hannover wurde im dritten und entscheidenden Spiel der durch die neue Regelung absehbare Rekord für das längste DEL-Spiel der Geschichte aufgestellt. In der 92. Spielminute, also nach fast zwölf gespielten Minuten in der zweiten Verlängerung, erzielte Brandon Reid den Siegtreffer für die Metro Stars. Doch dieser scheinbare Marathon war erst der Anfang des Wahnsinns...

Im Viertelfinale, das damals bereits über maximal sieben Spiele ging, während Halbfinale und Finale im Best-of-Five-Modus entschieden wurden, sorgte Düsseldorf erneut für Aufsehen, indem die Rheinländer zwar das erste Spiel beim Hauptrundensieger in Nürnberg verloren, danach aber vier Siege in Folge einfahren und das Halbfinalticket lösen konnten. Vorrundenvize Berlin, der seine letzte Saison im altehrwürdigen Wellblechpalast spielte, wurde seiner Favoritenrolle gerecht und bezwang nach 0:1-Rückstand die Hamburg Freezers mit 4:1 in der Serie. Im fünften Spiel ging es in die Verlängerung, es dauerte allerdings nur etwas mehr als zweieinhalb Minuten, ehe Frank Hördler für die Eisbären den Deckel drauf machte.

Über alle sieben Spiele ging die Serie zwischen Frankfurt und Iserlohn im Jahre 2008. Obwohl es nach vier Spielen bereits 3:1 aus Sicht der Roosters stand, konnten die Hessen die nächsten drei Spiele allesamt für sich entscheiden und doch noch den Einzug ins Halbfinale feiern. Trotz des großartigen Comebacks der Lions blieb vor allem der Sieg von Iserlohn in Spiel zwei im Gedächtnis, das ebenso wie die Partien eins und drei in die Verlängerung ging. In eben besagtem Duell reichte aber eine Overtime nicht aus, um einen Sieger zu ermitteln; der erst kürzlich aufgestellte Rekord wurde klar übertroffen - nach zwei Toren auf jeder Seite in der regulären Spielzeit ging es bis in die dritte Verlängerung! Und auch in dieser dauerte es bis zur 18. Spielminute, ehe Michael Wolf, bis vor kurzem noch DEL-Rekordtorjäger, die Entscheidung für die Roosters herbeiführte; ganz exakt geschah dies nach 117 Minuten und 47 Sekunden.

In der letzten Viertelfinalpartie standen sich Köln und Mannheim gegenüber. Die Rheinländer legten im ersten Aufeinandertreffen gleich mächtig los und schossen eine 4:0-Führung heraus. Die Adler wehrten sich und kamen noch auf 3:4 heran, konnten aber den Kölner Sieg nicht mehr verhindern. Auch in Spiel zwei in der SAP-Arena gelang den Haien die Führung, Mannheim drehte jedoch die Partie und stellte die Serie auf 1:1. Es folgte Spiel drei am Rhein, an das man sich noch lange erinnern sollte...

Furios ging es los: Blake Sloan auf Mannheimer Seite in der ersten und Sebastian Furchner für die Haie in der zweiten Minute sorgten für die ersten schnellen Treffer. Es ging munter weiter mit dem Toreschießen, sodass Köln durch Tore von Stéphane Julien und Sean Tallaire nach zehn Minuten 3:1 in Front lag. In der zweiten Pause war der Abstand nach Treffern von Christoph Ullmann und erneut Sebastian Furchner gleich - 4:2 aus Sicht der Haie. Der Mannheimer Michael Hackert vergab zudem kurz vor Ende des mittleren Spielabschnitts einen Penalty. Die Adler kämpften und konnten durch Eduard Lewandowski - noch heute im zarten Alter von 39 Jahren im Dress der Löwen Frankfurt in der DEL 2 aktiv - und Pascal Trépanier den Ausgleich erzielen und so die Verlängerung erzwingen. So zahlreich die Tore in den ersten 60 Minuten fielen, so sehr geizten die Teams mit ihnen in der Folgezeit.

20, 40, 60 Minuten Overtime waren torlos und 120 Minuten insgesamt vergangen. Der Rekord des längsten Spiels zwischen Frankfurt und Iserlohn war erst zwei Tage alt und bereits wieder Geschichte, so viel stand bereits fest. Dass in einer Stunde Spielzeit im Eishockey kein einziges Tor fällt, geschieht äußerst selten; dass sich auch nach 100 Minuten nichts auf der Anzeigetafel getan hat, erscheint schier unglaublich. An jenem 22. März 2008 und acht Toren in der regulären Spielzeit, geschah genau das; 160 Minuten waren nun bereits gespielt. Eine Mammutaufgabe für Trainer, die nun mehr als Muntermacher agierten, und Spieler, die mittlerweile fünf Verlängerungsdrittel und deren acht insgesamt in den Knochen hatten - und mindestens ein weiteres stand ja noch bevor:

Es war bereits Mitternacht, die Fans harrten beherzt aus, elektrisiert von dem ihnen gebotenen Spektakel. Es brach die 169. (!) Minute an. Exakt nach 168 Minuten und 16 Sekunden Spielzeit, etwa sechseinhalb Stunden nach Spielbeginn, um 0:11 Uhr, fand der Puck in der sechsten Verlängerung zum neunten und entscheidenden Mal den Weg ins Tor. Das Heimpublikum geriet in völlige Ekstase - der Torschütze hieß Philip Gogulla, Köln 5, Mannheim 4! Das Ende eines historischen Spiels!

Das offizielle Endergebnis: Kölner Haie - Adler Mannheim 5:4 n.V. (3:1, 1:1, 0:2, 0:0, 0:0, 0:0, 0:0, 0:0, 1:0).

Dieser Marathon bescherte Köln die Führung in der Serie, die sie letztlich auch mit 4:1 gewinnen sollten. Im Halbfinale hatten die Frankfurt Lions das Nachsehen und die Haie schafften es ins Finale. Dort waren die Eisbären Berlin eine Nummer zu groß, die sich damit die deutsche Meisterschaft 2007/08 sichern und ihren „Welli" mit einem Titel verabschieden konnten. Die Entscheidung fiel in Spiel vier in der Verlängerung. Der Berliner Siegtreffer gelang aber bereits in der ersten Overtime.

Die denkwürdige Auseinandersetzung zwischen Köln und Mannheim hielt bis zum Jahre 2017 den Europarekord für das längste Eishockeyspiel. Zum Weltrekord fehlten nur gute acht Minuten. In der NHL-Spielzeit 1935/36 dauerte es 176:30 Minuten, bis in der Halbfinalbegegnung zwischen den Detroit Red Wings und den Montreal Maroons überhaupt ein Tor fiel. Detroit gewann dieses erste Spiel mit 1:0 und später den Stanley-Cup.

Die Partie zwischen Frankfurt und Iserlohn aus dem Viertelfinale 2008 belegt noch immer Platz zwei der längsten DEL-Spiele der Geschichte. Die längste Auseinandersetzung der jüngeren Vergangenheit lieferten sich die Augsburger Panther und der EHC Red Bull München in Spiel drei des Halbfinals der Saison 2018/19, als Brady Lamb nach 103:34 Minuten den 2:1-Siegtreffer für die Fuggerstädter erzielte. Kurios: In derselben Serie in Spiel eins ging es ebenfalls in die dritte Verlängerung. Dort war es Mark Voakes, der nach „bereits" 101:12 Minuten die Entscheidung für die roten Bullen herbeiführte. Diese Serie, die über sieben Spiele ging, ist die längste Serie, die jemals in der DEL ausgetragen wurde.

Faszination Playoffs! Fans des Eishockeysports lieben diese Phase der Saison, die „fünfte Jahreszeit", nicht zuletzt wegen der Nervenschlachten in langen Verlängerungen. Man darf gespannt bleiben, ob irgendwann wieder ein Spiel die Fans solange fesseln wird wie jener Marathon im März des Jahres 2008.

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