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Hardcore - Actionfilm in Ego-Perspektive

Zu allem bereit: Regisseur Ilya Naishuller und Schauspieler Sharlto Copley als Jimmy. (Foto: Ilya Naishuller)

Einen Film komplett so erleben, als wäre man selbst der Protagonist: Was man aus Videospielen kennt, verspricht der russische Regisseur Ilya Naishuller für "Hardcore". Aber kann ein Actionfilm aus der Ich-Perspektive funktionieren?


Mit einer Schrotflinte bewaffnet und unterstützt von einem Begleiter, führt der Kampf durch ein enges Treppenhaus. Aus allen Richtungen schießen Gegner, sie werden nach und nach niedergestreckt. Schon greifen weitere Soldaten an. Ein Stützpfeiler bietet Schutz, bis der Gefährte Deckung gibt und schließlich die Flucht über ein Fenster nach draußen gelingt.

Was wie eine typische Videospielsituation aus Ego-Shootern wie "Counter Strike" oder " Call of Duty" klingt, ist eine Szene des Films "Hardcore". Allein in den drei Minuten des Teaser-Clips werden mehr als zwanzig Menschen getötet oder zumindest schwer verletzt - der Filmtitel kommt nicht von ungefähr.


Die Figur, deren Blickwinkel die Zuschauer einnehmen, heißt Henry. Ohne Erinnerungen, wird Henry von seiner Frau vor dem Tod gerettet. Dabei wird ihm allerdings eröffnet, nun ein Cyborg zu sein - eine Mischung aus Mensch und Maschine. Kurz darauf wird sie auch noch von einem psychopatischen Bösewicht mit telekinetischen Fähigkeiten entführt.

In einem dystopischen Moskau muss sich Henry nun gegen dessen Armee zur Wehr setzen, seine Frau wiederfinden und obendrein noch mit seiner zur Neige gehenden Stromversorgung als halber Roboter herumschlagen. Unterstützung erfährt er einzig vom geheimnisvollen Briten Jimmy, gespielt von Sharlto Copley (" Elysium", " District 9"). Und der Zuschauer erlebt in der Ich-Perspektive, wie Soldaten mit einem gezielten Granatenwurf oder in einem an Martial Arts erinnernden Nahkampf ausgeschaltet werden.


Erster Film in Ego-Perspektive ist von 1947

Dem russischen Regisseur Ilya Naishuller zufolge soll "Hardcore" der weltweit erste Actionfilm sein, der komplett aus der Perspektive einer Figur gezeigt wird. Im Englischen bezeichnet man diese Kameraeinstellung als Point-of-View-Shot (POV) oder First-Person-View (FPV), hierzulande ist der Begriff subjektive Kamera geläufig. Die Handlung wird durch die Augen eines Protagonisten erzählt und durch seine Sinneswahrnehmungen beeinflusst beziehungsweise sogar eingeschränkt. Doch kann ein Film in der Ego-Perspektive überhaupt funktionieren?


"Hardcore" ist nicht der erste Film dieser Machart. Schon 1947 setzte Robert Montgomery in "Die Dame im See" durchweg auf POV. Aber die Kriminalgeschichte kam weder beim Publikum noch bei den Kritikern an. Schlimmer noch: "Unsere Studenten müssen sich 'Die Dame im See' im ersten Semester als Beweis dafür ansehen, dass die Ich-Perspektive im Kino einfach nicht funktioniert", sagt Vinzenz Hediger.


Der Professor für Filmwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main befürwortet es zwar, wenn ein Film einen gewissen Innovationsanspruch formuliert, bleibt aber bei "Hardcore" äußerst skeptisch. Denn die eingeschränkte Perspektive birgt ein Problem: Wenn der Protagonist Handlungen vollzieht, die der Zuschauer moralisch verurteilt. Gezieltes Töten zum Beispiel.


Im konventionellen Film böten unterschiedliche Blickwinkel eine Entlastung; der Zuschauer kann sich durch eine andere Kameraeinstellung der Handlung vermeintlich entziehen. Im Fall von "Hardcore" aber hätte der Betrachter keine Chance dazu. "Die subjektive Kamera ist eine Reduktion der Möglichkeiten. Für mich ist 'Hardcore' daher ein hoffnungsloses Konzept", sagt Hediger.


"Ich würde nicht sagen, dass der Film sinnlos ist", sagt dagegen Malte Hagener, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Marburg, "aber über 90 Minuten dürfte es schon etwas langweilig werden." Klassisches Kino lebe nun mal von der Oszillation zwischen unterschiedlichen Einstellungen, wodurch sich das Publikum besser in die Handlung einfühlen könne. Sobald mehrere Charaktere eines Films miteinander agieren, seien unterschiedliche Perspektiven die bessere Wahl, so Hagener.


Allgemein empfehle sich die Ich-Perspektive eher für kürzere Formate als einen Spielfilm. "'Hardcore' wird deshalb in keiner Weise die Film- und Fernsehlandschaft nachhaltig beeinflussen", sagt Hagener.


Musikvideos legten den Grundstein

Seinen Ursprung hat "Hardcore" tatsächlich in einem kürzeren Format. Ilya Naishuller ist Frontsänger der russischen Rockband Biting Elbows und konzipierte auch die Musikvideos zu den Songs "The Stampede" und "Bad Motherfucker". Charakteristisch: die Ego-Perspektive und Gewaltszenen. Manche sahen in ihm schon einen "neuen Quentin Tarantino".


Welche Bedeutung "Hardcore" nun hat, sieht man an der prominenten Unterstützung: Erst durch Naishullers Landsmann Timur Bekmambetow ("Abraham Lincoln Vampirjäger", "Wanted"), der den Film produziert, kam das Projekt zustande. Bekmambetow konnte den 30-Jährigen überzeugen, sich an einen Kinofilm zu wagen.


Der Kritik sind sich beide bewusst: "Der Film ist ein Experiment. Niemand zuvor hat so etwas gedreht, diese Chance wollten wir nutzen. Natürlich dachten wir auch, die Idee ist zu ausgefallen", sagt Naishuller, "doch am Ende muss nur die Story funktionieren, dann ist der Rest auch machbar."


Die vermeintlichen Nachteile durch die gewählte Kameraperspektive sind für Naishuller hingegen die größten Vorteile. Da der Protagonist ohne Erinnerungen in die Handlung eingebunden wird, weiß der Charakter niemals mehr als das, was der Zuschauer sieht. Umso genauer mussten die Szenen durchdacht werden, damit die Geschichte stimmig bleibt.


Bei der Finanzierung setzt auch Naishuller auf Crowdfunding. Als prominentes Beispiel gelang diese Art der Finanzierung zuletzt Zach Braff, der "Wish I Was Here" unabhängig von den großen Filmstudios in die Kinos bringen konnte. Mit seiner eigenen Crowdfunding-Kampagne will der russische Regisseur zumindest die Kosten der Post-Produktion stemmen. Nach einer Woche kam bereits die Hälfte des Zielbetrags in Höhe von 250.000 Dollar zusammen. Wenn die Finanzierung klappt, kommt der Actionfilm 2015 in die Kinos.


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