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Alpha-Ventus Ahoi

Alpha Ventus

 Kein Windpark liegt in tieferen Gewässern, ist weiter von der Küste entfernt und hat leistungsfähigere Turbinen. Deutschlands erste Offshore-Stromfabrik ist nun komplett und 45 Kilometer vor der Nordseeinsel Borkum bereit.



Anfang August 2009 ist AV8 bereit. Nach monatelanger Arbeit steht das 700 Tonnen schwere Fundament im 30 Meter tiefen Wasser, 45 Kilometer nordwestlich von Borkum. Drei darauf montierte Stahlröhren, rund 100 Tonnen schwer und durch über 500 Schrauben miteinander verbunden, bilden den 90 Meter hohen Turm der Windkraftanlage. Ganz oben sitzt die 200 Tonnen schwere, hausgroße Gondel. Eine riesige Hubplattform hat sie in diese Höhe gehievt, danach die drei 56 Meter langen und je 16,5 Tonnen schweren Rotorblätter.

Nun soll der erste Testlauf, der sogenannte Einstellbetrieb, für AV8 starten, eine von insgesamt zwölf Windkraftanlagen, die das Testfeld "Alpha Ventus" bilden. Die Monteure müssen nur noch mit einem Schlauchboot vom Schiff zum Windkraftwerk übersetzen und die letzten Kabel verbinden. Doch der Außenbordmotor springt nicht an, ein Ersatzboot ist nicht vorhanden. "Unglaublich. Da baut man einen Windpark für 250 Millionen Euro, und es hängt am Schlauchboot", kommentiert Alpha-Ventus-Geschäftsführer Ralf Lamsbach dieses Missgeschick.

Heute, knapp sechs Monate später und nachdem auch das letzte der zwölf Windräder steht, ist jene Panne fast vergessen. Dennoch steht sie exemplarisch für Dutzende unvorhergesehene Widrigkeiten, die das Team von Konstrukteuren und Monteuren der Test-Meereswindfarm Alpha Ventus in der Deutschen Bucht meistern mussten. Denn vorher existierten für das Errichten von Windrädern in solch tiefen Gewässern so gut wie keine Erfahrungswerte. So ziemlich jeder Handgriff war damit der erste, Pannen passierten häufig. Auch für die Betreiber ist dieses Abenteuer nicht risikolos, denn die Wirtschaftlichkeit solcher Offshore-Farmen ist bislang noch nicht bewiesen.

Umso aufmerksamer verfolgt daher die globale Windenergieszene die Bewährung von Alpha Ventus. Was da aus der Nordsee gewachsen ist, hat so noch niemand gebaut. Zwar arbeiten unzählige Windräder bereits vor der Küste Dänemarks und anderswo. Doch stehen sie fast alle küstennah im seichten Wasser. Auch in puncto Leistung ist der Windpark bislang konkurrenzlos: Während die küstennahen Windkraftanlagen die Windenergie in nur zwei Megawatt (MW) Strom umwandeln, speisen die Alpha-Ventus-Aggregate jeweils fünf Megawatt in das Stromnetz ein. Damit gehören sie zu den leistungsfähigsten weltweit.

"Was Offshore bedeutet, kann nur verstehen, wer selbst mal da draußen war", sagt Lamsbach, der "da draußen" immerhin schon mal fünf Tage auf einem Hotelschiff verbracht hat. Er weiß, wie es sich anhört, wenn die Wellen, die sich bei Sturm zu zehn Meter hohen Brechern auftürmen, gegen die Konstruktion krachen. Im Herbst 2006 waren es sogar 17 Meter. Die Wissenschaftler der westlich gelegenen benachbarten Forschungsstation Fino mussten diese Rekordhöhe nicht aufwendig messen. Die Kraft der Wellen hatte in dieser Höhe ein Geländer verbogen, als ob es sich um ein dünnes Stück Draht gehandelt hätte.

Das Wetter diktiert den Baufortschritt. Stürmt es, kann kaum gearbeitet werden. Entsprechend schwer ist es daher, Zeitpläne beim Aufstellen der Anlagen einzuhalten. "Das ist alles auch ein Glücksspiel", sagt Irina Lucke, die für den Energielieferanten EWE das Teilprojekt Umspannwerk leitet. Dieses Glücksspiel verspricht, wenn es glücklich läuft, bis zu 120000 Euro täglich - für jede eingespeiste Kilowattstunde garantiert das Erneuerbare-Energien-Einspeisegesetz 15 Cent. Bei gutem Wind soll der Park Strom für rund 50000 Haushalte liefern. Die Einnahmen - wie auch die Erfahrung - teilen sich die drei Stromerzeuger E.on, Vattenfall und EWE. Dafür haben sie gemeinsam die Deutsche Offshore Testfeld und Infrastruktur GmbH (Doti) gegründet. Zwar bauen Vattenfall und E.on bereits Offshore-Parks in England, Schweden und Dänemark, doch mit dem Offshore-Testfeld Alpha Ventus sind die kaum vergleichbar: Das Wasser vor Borkum ist tief, die Distanz zur Küste groß und die Windräder sind riesig.

Dieser Text ist der Zeitschriften-Ausgabe 02/2010 von Technology Review entnommen. Der Artikel steht auch als kostenpflichtiges pdf im Artikel-Archiv zum Download bereit.

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