Theoretisch ist das Leben ewige Gegenwart. Ständig ist jetzt, und kein Mensch kann es ändern. Dabei ist man oft noch gar nicht fertig mit dem gestrigen, schon wieder abgelösten Jetzt, seufzt verpassten Chancen nach, sinnt Ideen hinterher. Der Zeit ist es egal, sie mag es linear. Kein Mensch kann es ändern? Mag sein, aber ein Roman kann es. Er kann, wie Tessa Hadleys Roman „Hin und zurück", in der Gegenwart beginnen und dann drei Jahre zurückspringen, wie zum Beweis für die Schwerkraft, mit der die Vergangenheit an Menschen zerrt, wenn sie älter werden.
Der Nostalgiker F. Scott Fitzgerald hat das in "Der große Gatsby" mit einem der elegischsten Schlusssätze der englischsprachigen Literatur beschrieben: „So regen wir die Ruder, stemmen uns gegen den Strom - und treiben doch stetig zurück, dem Vergangenen zu." Tessa Hadley formuliert es weniger fatalistisch, zögerlich vorwärtsgewandt, aber auch bei ihr hat der Lebensfortschritt eine drastische nautische Note: „Egal, welche Geschichten man sich und anderen erzählte, in Wirklichkeit stand man immer ungeschützt und nackt in der Gegenwart, ein Bug, der neue Wasser zerteilte".
Klingt das nach Midlife-Crisis? Jedenfalls geht es ums mittlere Alter und darum, wie zwei, die sich nahe- und wieder abhandengekommen sind, mit diesem hadern. Der Schriftsteller Paul lebt mit seiner Frau und ihren zwei kleinen Töchtern in einem Dorf in Südwales. Ab und zu bespricht er Gedichtbände im „Guardian", während sie nebenan in ihrer Werkstatt alte Möbel restauriert - ein Familienidyll. Dann stirbt Pauls greise Mutter. Und es verschwindet seine 19-jährige Tochter aus erster Ehe und taucht in London wieder auf, schwanger, wohl von einem deutlich älteren Mann. (...)
Tessa Hadley: "Hin und zurück". Roman. Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit. Kampa Verlag, Zürich 2021. 368 Seiten, 22 €.
Tagesspiegel, 14. Februar 2021.