Ein Mensch ist illegal. Er heißt Dhananjaya Rajaratnam, genannt Danny, ist Tamile aus Sri Lanka und wohnt im Lagerraum eines Lebensmittelgeschäfts in Sydney, wo er für einen Hungerlohn Klopapier und Konserven einräumt. Um sich etwas dazuzuverdienen, putzt er die Wohnungen von Sydneys Mittelschicht. Vier Jahre lebt Danny so vor sich hin - als Unsichtbarer, der, um zu existieren, nicht zu heftig existieren darf: „Das mache ich hier. Fast hier sein."
Die Handlung dieses neuen Romans von Aravind Adiga (Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Verlag C.H. Beck, München 2020. 286 Seiten, 24 €.) erstreckt sich über einen einzigen Tag, der alles ändert. Um kurz vor neun beginnt Danny seinen ersten Reinigungsjob, drei Stunden später wird er erpresst. Zufällig hat er erfahren, dass eine ehemalige Kundin ermordet wurde. Er kommt schnell zu dem Schluss, dass der Täter nur ihr Liebhaber, ein Mann namens Prakash, gewesen sein kann. Aus einer Art gönnerhaftem Mitleid hatte das Paar hin und wieder Freizeitunternehmungen mit Danny gemacht. Jetzt weiß er zu viel. Er ruft an. Nicht bei der Polizei, sondern beim mutmaßlichen Mörder.
Es beginnt ein stundenlanges Abtasten zwischen den Männern, ein Bluffen und Drohen, in dessen Hintergrund die Frage steht, wer hier wen in der Hand hat. Verrät Danny Prakash, tut der es ihm gleich. Einer käme in Untersuchungs-, der andere in Abschiebehaft. Mittels dieser Pattsituation zeigt Adigas Roman „Amnestie" eindrücklich den Unterschied zwischen illegalem Handeln und illegalem Sein und entfaltet geschickt ein allgemeines humanitäres Paradox: Danny hat recht, aber er hat kein Recht. (...)
Tagesspiegel, 8. November 2020.