„Die vergangene Saison war sicher die härteste meiner Karriere. Am ersten Spieltag spielte ich mit meinem neuen Verein Jena gegen Ingolstadt. Mir passierten zwei Eigentore, bei denen ich jeweils angeschossen wurde. Wir verloren 1 : 2. Es gibt schönere Gefühle. Verschiedene Faktoren führten dazu, dass ich daraufhin kaum Spielpraxis hatte. Es folgten zwei Trainerwechsel, dann kam Corona. Mein Vertrag wurde nicht verlängert.
Als junger Spieler dachte ich immer, ich sei der Typ, der lange bei einem Verein bleibt, und meine Freundin würde wohl auch gern mal länger in einer Stadt bleiben, statt nach zehn Monaten wieder die Kisten zu packen. Leider können sich Fußballer das nicht immer aussuchen.
Mein erstes großes Spiel machte ich 2013 mit Borussia Dortmund in der Champions League. Ich war 18, und Jürgen Klopp, der damals Trainer in Dortmund war, sprach mir sein Vertrauen aus. Bald durfte ich auch meine ersten Bundesligaspiele machen. Wenig später verletzte ich mich schwer. Ich wechselte nach Wolfsburg, wo ich in der zweiten Mannschaft spielte, dann nach Aalen, zuletzt nach Jena. Es klingt vielleicht komisch, aber mir geht's gut. Manche mögen denken: Der spinnt doch, wie kann er als arbeitsloser Fußballprofi sagen, dass es ihm gut geht? Aber ich bin gesund, ich kann Fußball spielen. Manche Karrieren verlaufen steil nach oben, meine hat eben ein paar Dellen abbekommen. Alles, was ich erlebt habe, hat aus mir den Menschen gemacht, der ich jetzt bin.
Gerade trainiere ich im Camp der Spielergewerkschaft VDV, in dem sich vereinslose Profis fit halten können. Ich freue mich, hier wieder Mannschaftstraining zu haben, was mir in Jena zum Schluss verwehrt wurde.
Fußball ist ein hartes Geschäft. Du kannst heute der Superstar sein und morgen der Buhmann. Es wird sich selten mit dem Menschen hinter dem Spieler auseinandergesetzt. Auch im Hinblick auf den medialen Druck braucht man ein dickes Fell, sonst ist man schnell weg vom Fenster. Natürlich sollte man auch im Hinterkopf haben, was nach der Karriere passiert. Ich könnte mir vorstellen, irgendwann ein kleines Café zu eröffnen. Aber das kann warten. Ich bin Fußballer und will das noch ein paar Jahre bleiben. Es gibt genügend Spieler, die mit 28 noch mal so richtig Fahrt aufnehmen, selbst wenn sie zwischendurch mal ein halbes Jahr vereinslos waren. Am liebsten möchte ich im europäischen Ausland bei null anfangen. Und gern auch mal länger als ein Jahr bei einem Verein bleiben.“
Marian Sarr, 25, hat als Verteidiger 49 Drittligaspiele absolviert. Derzeit lebt er in Weimar.
Die Zeit, 10. September 2020.