Corinna Fuchs-Laubach

Großenkneten / Landkreis Oldenburg

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Stein auf Stein

Luise Lübke, Gründerin der Architekturschule

Ritterburgen, Städte, Sitzmöbel, Planetenkonstellationen - die Fantasie ist beim Erschaffen grenzenlos. Das möchte man zumindest glauben. Wie Kinder lernen können, ihre Vorstellungen in Entwürfen zu konkretisieren und in Modellen umzusetzen, das versucht die Architekturschule "Baukasten" zu vermitteln. "Architektur und Design ist viel mehr als nur ein Haus oder ein Möbel zu bauen. Sie prägt uns kulturell und auch unsere Umwelt. Ich möchte den Blick für Architektur öffnen und den Kindern das genaue Hinschauen lehren", erläutert Gründerin Luise Lübke die Idee der deutschlandweit einmaligen Architekturschule.

In ihrer Werkstatt in einem Bürogebäude inmitten der Bremer Innenstadt türmen sich angefangene Modelle in den Regalen, Holzstücke, Kartonstreifen aus Modellpappe, und jede Menge Bauklötze liegen bereit, um erste Formen zu legen. Ihre Klientel ist ebenso wissbegierig wie kritisch: Kinder ab fünf Jahren. Gemeinsam mit den kleinen Bauherren wird im "Baukasten" entworfen, gewerkelt, konstruiert, aber auch diskutiert und Vorschläge wieder verworfen.

Säge, Feile, Bohrer Der "Baukasten"

Es gibt hierzulande viele Projekte und Vereine, die sich punktuell mit Architekturthemen beschäftigen, aber keinen festen Raum mit einem fortlaufenden Unterricht. Hier setzt die "Baukasten"-Leiterin an - mit spielerischer und experimenteller Arbeit ein Mal die Woche. Es geht nicht um den Architekten von morgen, bei ihr dreht sich alles um Kreativität, Proportionen, Formen und Konstruktionstypen. Quasi im Vorbeigehen schulen die Kinder handwerkliches Geschick an Säge, Feile oder Bohrer und trainieren naturwissenschaftliche Fähigkeiten ebenso wie abstraktes Denken.

Wie feinsinnig Kinder ihre Umwelt wahrnehmen, das merkt sie immer wieder zu Beginn eines Kurses. Dann schlendert Luise Lübke mit ihren Schützlingen - die aus allen Gesellschaftsschichten stammen - am liebsten erst einmal durch die Straßen der Stadt und schaut sich mit ihnen Häuser an, blickt auf Formen und Linien. Für die Jungunternehmerin sind Architektur und Design nicht einfach zwei kreative Disziplinen. Sie sind Türöffner. "Die Kinder sollen einen Blick entwickeln für ihre Umgebung, für Räume, für Materialien. Daraus entsteht eine ganz neue Wahrnehmung."

Inspiration in Finnland

Luise Lübkes ausgeprägte Passion für Architektur kommt nicht von ungefähr. Die 35-Jährige hat früh gelernt, anders zu sehen. Die Berliner Familie ist eng mit dem Themenfeld verwurzelt. Der Lebensgefährte ihrer Mutter ist Architekturhistoriker, doch noch prägender war ihr Großvater Hermann Henselmann (1905-1995), der bedeutendste Architekt der DDR. Seine Bauwerke der 50er und 60er Jahre bestimmen noch heute das Gesicht Ost-Berlins.

Wäre sie da nicht auch gern selber Architektin geworden? Nein, Luise Lübke schüttelt bedächtig den Kopf. Die Fußstapfen des Großvaters waren ihr zu groß. Lieber wagte sie etwas Eigenes - inspiriert durch ein Vorbild in Finnland. Architekturvermittlung, mit diesem Thema setzte sie sich schon lange auseinander, fand aber den rechten Dreh erst in Helsinki. Dort besuchte sie die Architekturschule "Arkki" und war begeistert von dem Angebot und der Hingabe der Kinder. Wobei, wenn man einmal genau hinschaue, dann sei jedes Kind ein wahrer Bauklotz- und Lego-Baumeister. Und diese Begeisterung, etwas zu schaffen und dabei das Auge zu schärfen, der reizt die zweifache Mutter. "Bauen ist ein natürlicher Drang der Kinder", betont Lübke.

Erstmals Schulfach Architektur

Mit der Idee einer eigenen Architekturschule hat die studierte Kunst- und Kulturwissenschaftlerin sowie Soziologin dennoch Neuland betreten. Ganz leicht war das nicht, sagt sie ohne Umschweife nach genau einem Jahr Bilanz. Und doch merktLübke nicht nur an der Leidenschaft der Kinder, die regelmäßig zu ihr kommen, dass sich bei dem Thema etwas tut.

"Kindern Architektur zu vermitteln, kommt aus der Nische heraus", sagt sie. Verlage gäben entsprechende Bücher heraus, Spielzeughersteller böten verstärkt Bausätze an. Doch noch wichtiger: Die Schulen springen auf das Thema an.

Lübkes größter Erfolg bislang, um ihren "Baukasten" über ihre Räumlichkeiten hinaus bekanntzumachen und etwas zu bewegen, ist die Bremerhavener Astrid-Lindgren-Grundschule. Dort wagte man seit letztem Herbst ein regional einzigartiges Pilotprojekt, bei dem "Bauen und Konstruieren" als Unterrichtskonzept ein halbes Jahr lang erprobt worden sind. Jetzt geht es an die Ernte der Lorbeeren, die Schule führt einen Architekturunterricht als Standard von der ersten bis zur vierten Klasse ein. "Kompetenzen in Mathematik, Sachkunde, Deutsch und Kunst werden praxisnah eingesetzt", erklärt Luise Lübke.

Im Rahmen eines mehrwöchigen Projektunterrichtes, bei dem sie selber dabei war, durften die Kinder der ersten und zweiten Klassen Traumhäuser planen, entwerfen und im Modell bauen. Für die dritten und vierten Klassen ging es an den "Brückenbau".

Aha-Effekte

Peu à peu trägt ihr Konzept Früchte und sich weiter: An einer anderen Schule wird sie mit Kindern an der Planung und Gestaltung einer neuen Mensa beteiligt. Dass sich das Engagement rund um die Architektur lohnt, da ist sich Luise Lübke sicher. Architektur und Design schule die geistige und körperliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. "Die Kinder, die zu mir kommen, nehmen über die Auseinandersetzung mit Baustoffen und ihren Entwürfen eine Art "Aha-Effekt" mit", betont sie, die so gerne Handwerk und Kunst verbinden will.

Und die Kinder? Die seien vor allem glücklich, wenn sie etwas gebaut haben. Oftmals gehe es darum, Wissen umzusetzen und über die Dreidimensionalität zu begreifen. "Ich helfe ihnen auf dem Weg, zu einem schönen Entwurf zu kommen", sagt Lübke. Ganz gleich ob Ritterburg oder Stuhl.

© Mannheimer Morgen, Samstag, 08.06.2013

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