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AfD-Erfolg in Ostdeutschland: Ticken die neuen Bundesländer noch immer anders?

In den Wahlergebnissen der vergangenen Jahre zeichnet sich noch immer ein tiefer politischer Graben zwischen dem Westen und dem Osten Deutschlands ab: Ihre besten Wahlergebnisse erzielte die AfD in der ehemaligen DDR. Bevor ihr das in einem der alten Bundesländer gelang, zog sie in die Landtage von Sachsen, Thüringen und Brandenburg ein. Tickt Ostdeutschland immer noch anders?

Fast 30 Jahre ist die Wende inzwischen her. Und doch belegen zahlreiche Statistiken noch immer große Unterschiede zwischen West und Ost in Deutschland.

Politisch besonders auffällig: Bei Wahlen sind seit Jahrzehnten rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien im Osten deutlich erfolgreicher als im Westen.

So hat die AfD bei der vergangenen Bundestagswahl in Sachsen teilweise doppelt bis drei Mal so hohe Stimmenanteile geholt wie in den alten Bundesländern.

Auch bei den Landtagswahlen zeigte sich die Tendenz zuletzt deutlich: In Sachsen-Anhalt erzielte die AfD 24,3 Prozent - in Niedersachsen reichte es mit 6,2 Prozent nur knapp für den Einzug in den Landtag.

Ist der Osten für die Parolen der Rechten besonders empfänglich? Und wenn ja: Worin liegen die Ursachen für den AfD-Erfolg? Im System der DDR?

Erziehung hat Einfluss auf unser Demokratieverständnis

Rico Behrens erforscht den Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Erziehung. "Unser Demokratieverständnis ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig", sagt der Professor für Politische Bildung an der Universität Eichstätt.

Das können individuelle Faktoren sein, auch Sozialisationserfahrungen, das aktuelle politische Geschehen oder prekäre soziale Fragen. Aber natürlich habe auch unsere Erziehung Einfluss auf unser Verhältnis zur Demokratie. Denn der Umgang mit Kritik und anderen Meinungen müsse erst erlernt werden.

Ein Unterschied zwischen Westen und Osten ist die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus. Während die Bundesrepublik in den 1960er Jahren begann, öffentlich über die Nazi-Diktatur und deren Verbrechen zu diskutieren, hielt sich die DDR-Regierung für dieses Thema nicht zuständig.

"Die DDR hat sich das Etikett des antifaschistischen Staats aufgeklebt", erläutert Behrens. "Das hat die Auseinandersetzung mit der Entstehung von Faschismus verhindert."

Zudem herrschte in der DDR ein autoritäres Bildungswesen. Die Erziehung basierte auf Überwachung und Disziplin.

Schon Kinder wurden dazu angeregt, den eigenen Staat zu idealisieren. Von klein auf lernten sie, sich dem System anzupassen. Gehorsam wurde belohnt, Widerstand bestraft.

Die DDR erzog ihre Bürger zur Unselbstständigkeit

"Das löst die Unterdrückung der eigenen Persönlichkeit aus", sagt Behrens. "Ich muss mich selbst zurücknehmen, um keine Probleme zu bekommen."

Durch "pseudoreligiöse Rituale" sei in der DDR zudem das Gemeinschaftsgefühl gestärkt worden. Aufmärsche, die Mitarbeit in Jugendorganisationen wie der FDJ oder den Jungpionieren vermittelten Halt und Zugehörigkeit.

"Daraus entsteht aber auch Abhängigkeit von autoritärer Führung", wirft Behrens ein. Die DDR erzog ihre Bürger zur Unselbstständigkeit, nach der Wende waren sie plötzlich auf sich allein gestellt.

Doch seitdem sind immerhin fast 30 Jahre vergangen. Warum hinterlässt das DDR-System noch immer so deutliche Spuren?

Behrens verweist auf die Erkenntnisse der Transformationsforschung: Denn nach der Wende wurden unter vielen Ostdeutschen eigene Deutungen entwickelt, in der Wissenschaft "Narrationen" genannt. "Viele Menschen haben das Gefühl, in dieser Zeit enteignet und missachtet worden zu sein", meint Behrens.

Statt der versprochenen "blühenden Landschaften" herrschte Massenarbeitslosigkeit. Viele in der DDR erlernte Berufe oder getroffene Lebensentscheidungen waren plötzlich nicht mehr erwünscht.

"Die Menschen haben das als Entwertung der eigenen Biografie empfunden", so der Bildungsexperte. Hinzu komme das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein.

Rückzug ins Privatleben

Eine besondere Provokation für diese Menschen ist es, wenn ihre Probleme nicht ernst genommen oder als persönliches Versagen gedeutet werden.

Behrens spricht in diesem Zusammenhang von einem "Habitus der Elite", der dies gerne mit einem "Ihr habt doch alle Chancen gehabt!" abtut.

Das entstehende Bedrohungsgefühl richte sich dann gegen Abweichler und "äußere Feinde". Eine Rolle, die ganz verschiedene Menschen einnehmen können, vom Politiker bis zum Flüchtling.

Doch warum ist der Osten nicht stärker auf die eigenen Erfolge stolz? Es ist unbestritten eine enorme Leistung, selbst eine friedliche Revolution auf die Beine gestellt und die Wende erwirkt zu haben.

Die demokratische Bewegung hat sich mit den Forderungen nach freien Wahlen und Meinungsfreiheit einem repressiven Regime entgegengestellt. "Wir sind das Volk" ist damals der Schlachtruf für Selbstbestimmung geworden.

Behrens verweist darauf, dass sich lange Zeit nur eine kleine Gruppe Menschen der Opposition in der DDR angeschlossen haben. Denn dies war immer mit Repressalien verbunden. "Wer sich nicht anpassen wollte, musste Widerständigkeit entwickeln", sagt der Erziehungsexperte.

Die Meisten zogen sich allerdings in das relativ unbehelligte Privatleben zurück: "Eine gesunde Distanz zum politischen System war für Menschen, die nicht anecken wollten, überlebenswichtig. Vom politischen Betrieb hielt man sich lieber fern." Diese Denk- und Verhaltensweisen wirken auch heute noch.

Daneben gibt es natürlich noch all jene, die aktiv eine politische Karriere in der DDR angestrebt haben und mit dem Systemwechsel nicht einverstanden waren.

Politikunterricht als wichtiges Instrument

Wie lange die DDR-Erziehung noch nachwirken wird, ist schwer zu sagen. Denn deren Weitergabe durch Eltern und Lehrer auch an nachfolgende Generationen hält Behrens für möglich: "Es ist nicht zu erwarten, dass sich das in den nächsten Jahren erst mal legen wird."

Aber gerade in Schulen würden auch wirkungsvolle Ansätze entwickelt und bereits eingesetzt. "Da muss aber noch mehr passieren", warnt der Bildungsforscher. Denn die Vermittlung von politischer Bildung durch kompetente Lehrer sei ein ganz entscheidendes Erfolgsrezept gegen Rechtsextremismus.

Mehr als bisher müsse Schule zum Erfahrungsraum für Demokratie werden. Starke emotionale Anerkennung der Schüler und die Wertschätzung von Vielfalt statt Kollektivierung seien Voraussetzung dafür.

Auch sollte Rechtsextremismus nicht allein als ostdeutsches Problem abgetan werden. "Das haben wir auch in den anderen Bundesländern", betont Behrens.

Prof. Dr. Rico Behrens leitet seit 2015 in Vertretung den Lehrstuhl für Politische Bildung/Didaktik der Sozialkunde an der Katholischen Universität Eichstätt. In seiner wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt er sich insbesondere mit Demokratiepädagogik und Rechtsextremismus in der Schule. Behrens hat an der TU Dresden studiert.

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