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MEDIENKOMPETENZ — EINE ZWEITE ALPHABETISIERUNG?

n einer Gesellschaft, in der berufliche wie private Kommunikation zunehmend in den Medien stattfindet, wird Medienkompetenz zur Schlüsselqualifikation. Politiker, Pädagogen und Eltern diskutieren über die Notwendigkeit des kritischen Umgangs mit Medien und rücken diesen ins öffentliche Interesse.


Wo fängt Medienkompetenz an?


Für Bildungswissenschaftler Univ. Prof. Dr. Reinhold Stipsits fängt Medienkompetenz schon beim Lesen und Schreiben an. Die Grundlage dafür ist die „Lesekompetenz”, die uns dabei hilft, in unserer Informationsgesellschaft zurecht zu finden. Da das „unreflektierte, unkritische Lesen durch die Medien noch verstärkt wird” ist es wichtig Quellen sortieren und prüfen zu können.
Diese Medienkompetenz ist für den mündigen Bürger und die Demokratie unverzichtbar, folgert Medienpädagoge Univ. Prof. Dr. Christian Swertz und formuliert diesen Gedanken als “Befreiung aus entmündigenden und enfremdeten Verhältnissen, um nicht zum Diener der Computer zu werden.“ In diesem Kontext sei es wichtig die Rolle und Interessen von Medien zu verstehen und manipulative Darstellungen zu erkennen.


Medienkunde — von Anfang an


Die Notwendigkeit von Medienkompetenz ensteht schon sehr früh. „Es ist daher auch Aufgabe der Eltern ihren Kindern noch vor Eintritt in die Schule, also noch ‘vor der organisierten Form des Lernens’ kritisches Denken beizubringen,” so Swertz. Entscheidend ist neben der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes vor allem der Umgang der Familie mit den Medien. „Wenn das Familien verabsäumen, können Pädagogen zwar kompensierend wirken. Es ist aber schwierig, den Kindern etwas anderes zu vermitteln als sie von den Eltern vorgelebt bekommen.”

Den Vorschlag „Medienkunde” als Unterrichtsfach ab dem Kindergarten einzuführen, hat Swertz bereits 2012 in diversen Publikationen, darunter „Das Projekt Mediengarten” thematisiert. Dass Medienkunde als eigenes Unterrichtsfach auf den Stundenplan kommt, findet er mittelfristig schwer umsetzbar. Aber selbst die Integration in den Unterrichtsplan bedeutet, dass bestehende Lehrinhalte ge-kürzt oder gestrichen werden. Swertz würde dafür den Deutschunterricht absetzen, da “das Lesen von Büchern nicht mehr ausreicht. Man muss Computerspiele, Filme und Online-Plattformen lesen können. Die Logik von diesen Medien verstehen und identifizieren (zu) können, um sich in der Welt zu orientieren.“


Im Kunstunterricht beginnt‘s


„Pädagogik muss gleichzeitig auch Medienpädagogik sein“, heißt es im Grundsatzerlass zur Medienerziehung. Bisher wurde Medienkompetenz nur am Rande in der Lehrerausbildung behandelt. Die Arbeit mit und über Medien wurde dem Engagement der Lehrer überlassen. Seit 2001 hat das Bundesministerium für Bildung und Frauen mit dem Webportal mediamanual.at eine Plattform ins Leben gerufen, die den Unterricht mit und über Medien unterstützen soll. Best-Practise Projekte werden jährlich beim media literacy award prämiert. Die dazugehörige Fachtagung lädt zu Gesprächsrunden unter Pädagogen ein. Hier finden sich vorwiegend Dozenten aus der Bildnerischen Erziehung, das Fach in dem der Zugang zu Medienkompetenz am leichtesten gelingt. Bei den prämierten Medienprojekten liegt der primäre Schwerpunkt auf den künstlerischen Einsatz der Medien. Im Gespräch mit den Projektbetreuern zeigt sich, dass die kritische Medien-Auseinandersetzung oft ausbleibt oder nur ein kleiner Bestandteil des Projektes ist.


Aufweichen des Frontalunterrichts


Die digitale Gesellschaft verlangt nach neuen Lehr- und Lernmethoden, die sich langsam in den Schulen verbreiten. Der Frontalunterricht in Form von ‚Expositon, Arbeiten, Üben‘ wird aufgeweicht und neue Lehrformen entstehen. Medienpädagoge Swertz sieht die Veränderung zu gruppenorientierten, interaktiven Lernprozessen. Ein Beispiel dafür ist das „blended learning”.


Dieser Ansatz kombiniert klassisches Präsenzlernen mit dem Einsatz digitaler Lehrmittel. Die Entwicklung von blended learning basiert auf der Erkenntnis, dass menschliche Interaktion nach wie vor einer der wichtigsten Faktoren beim Lernen ist. „Was wir als das richtige Lernen empfinden hat sich immer verändert und wird sich auch weiter transformieren,“erkennt Jörg Hofstötter, Gesellschafter von ovos, einer Agentur, die sich auf interaktive Wissensvermittlung in Form von Gamification spezialisiert hat. Damit ist das spielbezogene Lernen gemeint.


Es liegt in der Natur des Menschen zu spielen, deswegen funktioniert es spielerisch zu lernen. (Reinhold Stipsits)


“Der Einsatz von Spielmechanismen für das Lernen soll aber keine ansprechende Verpackung für Altbekanntes sein, sondern Lust auf intensivere Beschäftigung mit der Materie machen.”


Rollentausch


„Der Medienumgang von Kindern und Jugendlichen ist von Unbefangenheit gekennzeichnet, sowie einem geschickten Umgang mit technischen Geräten” stellt der Medienpädagoge Aufenanger fest. Diese Vorstellung verschafft den Schülern einen Vorteil gegenüber ihren Lehrern. Ein Beispiel für diesen Rollentausch ist der Lehransatz „flipped teaching”. In diesem Szenario beschäftigen sich Schüler zunächst alleine mit dem Stoff, um in später in Gruppen unter Anleitung von Lerncoaches zu vertiefen. Es ist die Umkehrung der Lehrstoff-Vermittlung, die Generationsunterschiede auflöst. „In diesem Konzept gibt es nur mehr zwei Generationen: „die Vermittler und Empfänger.” hält Stipsits fest. Die Orientierung geht stärker in Richtung Wissen, das ich jetzt benutzen kann, und nicht auf ewige Wahrheiten.


Neue Form der Wissensaneignung


Ob die digitalen Medien das Lernen und Wissen verändern, ist nicht erforscht. „Es gibt kein digitales Lernen, denn Lernen bedeutet leibliches Erfahren. ‘Anwendungswissen’ und ‘Aneignungswissen’ ist nur ein Teil der Wirklichkeit“, erklärt Stipsits. Seit die Medien Einfluss ins Bildungssystem nehmen, geht es „weniger um ‘festgehaltenes’ Wissen, sondern um die Vor-Ort Auseinandersetzung.” Diese Theorie unterstützt auch Swertz: „Die Orientierung geht stärker in Richtung Wissen, das ich jetzt benutzen kann, und nicht auf ewige Wahrheiten.” Er sieht hier die Parallele zu den schnelllebigen Medien. „Ich möchte etwas wissen, was mir jetzt etwas bringt. Das entspricht sozusagen der Struktur von Computertechnologie.”


EU-Initiativen


„Dass sich der Unterricht in der neuen digitalen Welt verändert, ist eine Herausforderung. Die LehrerInnenausbildung verändert sich nicht so rasant.” bemerkt Digital Champion Meral Akin-Hecke, die EU-Botschafterin für Medienkompetenz in Österreich. Sie sieht noch großen Nachholbedarf beim Engagement von Politik und Gesellschaft.


In ihrer Rolle beobachtet sie Angebote und Förderungen der Medienkompetenz in Österreich. Viele Initiativen werden durch EU-Mittel finanziert. Darunter fällt auch die Plattform werdedigital.at, die eine zentrale Anlaufstelle für Wissen, Qualifizierung und Service rund um digitale Kompetenz ist. Auch das Bundesministerium hat ein Kompetenzkompass ausgearbeitet. Unter Digicom.at wurden vom Wissenstand der jeweiligen Schulstufe ausgehend, Beispiele erstellt, die Lehrende im Unterricht einbringen können. Weitere EU-Initiativen sind „Rat auf Draht“ und „Safer Internet”, die bei der sicheren Nutzung der neuen Medien unterstützen.


Unterfinanzierte Praxisprojekte


Die Erstellung von wirkungsvollen, digitalen Lerntools erfordert hohe Anfangsinvestitionen. Diese Erkenntnis erreichte die Besucher der Veranstaltungsreihe „Twenty Twenty”. Viele Anbieter digitaler Lerntools verfolgen kommerzielle Interessen. Alle anderen, erfolgreichen Plattformen werden aus privaten Quellen finanziert. Das Podium war sich einig, dass die öffentliche Hand die Digitalisierung der Lehrmittel verstärkt fördern soll, damit diese mit privaten Anbietern konkurrieren können. Finanzierungsprobleme entstehen auch bei der Gestaltung des multimedialen Unterrichts. Viele Video- und Audioprogramme sind nur für teure Lizenzen zu erwerben.


Gelingensfaktoren


Viele Gespräche werden geführt, Begriffe definiert, theoretische Ansätze propagiert.
Ob Medienkompetenz auch in der Praxis gelingt, hängt von vielen Faktoren ab. Im Kontext des Unterrichts steht und fällt der Erfolg mit dem Engagement der Lehrer und der Möglichkeit und Freiraum den sie bekommen. Auch Erika Hummer, selbst Lehrerin und Koordinatorin zahlreicher österreichischer E-Learningprojekte, betonte, dass die Lehrenden der Schlüssel zum Erfolg sind.

Sie sind es, die die „Welt ins Klassenzimmer holen und auch im bestehenden Rahmen viel erreichen können.”


Peter Mazohl, der in der Erwachsenenbildung tätig ist, bekräftigt diesen Gedanken. Aus seiner Sicht sollten Lehrende fähig sein, aus einem Mix an Methoden zu wählen, um den Unterricht auf die Bedürfnisse der Lernenden abstimmen zu können, damit die gesteckten Lernziele auch erreicht werden. Ein wichtiger Faktor ist dabei die anschauliche Wissensvermittlung.


“Das didaktische Kernproblem”, benennt es Swertz. Bei der Initiative „Safer Internet” werden darum Passwörter mit Zahnbürsten verglichen.
Deren Gemeinsamkeiten erschließen sich den Schülern der 3.Klasse eines Wiener Gymnasiums schnell: „Man soll sie nicht weitergeben und regelmäßig wechseln. Sie sind es, die die „Welt ins Klassenzimmer holen und auch im bestehenden Rahmen viel erreichen können.”

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