Macht und Schwank, Gewalt und Scherz: Christian Weise inszeniert Shakespeares „Der Sturm" am Staatstheater Darmstadt mit guten Ideen und einer einleuchtenden Portion Aktualität.
Zwei Vorhänge gehen auf. Der erste ist bekannt, der zweite gehört zu einer anderen Bühne, einer sehr kleinen, die in der hintersten Ecke des Plateaus aus Planken steht, das Regisseur Christian Weise zur einsamen Insel erklärt. Vor dem kleinen Schauspielhaus kniet der Luftgeist Ariel, diesmal in weiblicher Version als marionettenhafter Wirbelwind, wunderbar entrückt gespielt von Catherine Stoyan. Der Geist lässt dort auf stillen Befehl seines Meisters, dem um sein Herzogtum gebrachten Prospero (Bernd Grawert), mit Pappblitzen einen Sturm niedergehen. Der Zauber dient als erster Schritt, um seine Macht wiederzuerlangen. Die Bühne auf der Bühne ist nicht neu und bei Weise scheinbar zunächst nur Referenz.
„Diese Insel ist voll von Getöse, Tönen und anmutigen Melodien, welche belustigen und keinen Schaden tun", sagt der Ureinwohner Caliban (Stefan Schuster), ebenfalls in Prosperos Diensten, über seine Heimat. Die Theatermusiker Jens Dohle und Falk Effenberg haben ihn beim Wort genommen und rund um die Plankeninsel ein Sammelsurium an obskuren Instrumenten aufgereiht, die laufend angetippt, gerieben, gedreht, oder geschlagen werden. Ergebnis ist eine melodisch-mystische Kulisse, die sich im fliegenden Wechsel zwischen Bedrohung, Komik und Groteske bewegt.
Neben den schwarz gekleideten Musikern steigen die Protagonisten auch immer wieder selbst mit ein und tragen damit aktiv zur Klangmauer ihres Gefängnisses bei. Prospero, ganz Maestro und Theatermacher, sitzt mit Vorliebe am schiefen Klavier. Als seine Tochter Miranda (Christoph Bornmüller) nach seiner Vergangenheit fragt, inszeniert er die Erzählung schon bald als wütendes Klagelied, schlägt in die Tasten und schwingt seinen Zauberstab bedrohlich, obgleich es sich nur um einen dünnen Ast handelt.
Höllengleich glüht es aus der TiefeDie magischen Kräfte, mit denen er seine Handlanger bei Aufbegehren unterwerfen kann, haben Bühnen- und Kostümbildner Jana Findeklee und Joki Tewes sichtbar gemacht. Höllengleich glüht es aus der Tiefe, Rauch steigt empor. Knochen knarzen, während Prospero den hilflosen Ariel an unsichtbaren Fäden über die Bühne zaubert, doch die größte Machtdemonstration kommt ganz und gar physisch daher. Caliban, der Prospero einst für sein Wissen verehrt hat, will nicht länger Sklave sein und schreit sich die Wut aus dem krummen Leib. Prospero packt ihn kurzerhand am Gaumen und zwingt in so brutal in die Knie, dass man kaum hinsehen kann.
Hier liegt die wahre Macht der Eroberers, in der Demütigung, getrieben von der Angst vor Machtverlust. Dieser Moment sticht mit seinem plötzlichen Realismus eindringlich heraus aus der sonst sehr symbolschwangeren Inszenierung, wo zwischendurch der Bayer, gestrandet auf der fremden Insel, Willkommenskultur verlangt und der Heppenheimer mit kölschem Akzent seine Saufkultur exportieren will, während man ihm die gammeligen Füße küsst.
Der Schritt von Shakespeares kolonialkritischem Stück zur aktuellen Flüchtlingsthematik liegt nahe, aber Weise drängt sich damit nicht auf, sondern inszeniert den Schwank ganz mühelos und vor allem komisch nebenher. Für den Humor ist besonders Christoph Bornmüller verantwortlich, der flüssig durch seine Rollen von Miranda, Trinculo und Sebastian huscht und mit dezenter Koketterie besticht, während er seine Pointen so beiläufig landet, als hätte er sie gerade selbst erdacht.
Dass die schöne Miranda von einem Mann gespielt wird, macht keinen Unterschied, wichtig ist die Fixierung auf die weibliche Rolle und die Unerreichbarkeit dieses Idealbilds, das von Sanftheit, Unschuld und Hilflosigkeit bestimmt sein soll, während die Figur eigentlich alles besser kann als ihre männlichen Pendants.
Die kleine Bühne vom Anfang entpuppt sich bald als erster Baustein eines größeren Konzepts zur Durchbrechung der vierten Wand. Mal geht das grelle Halogenlicht an, wenn Instrumente nicht funktionieren, dann unterhält Ariel das frischgebackene Brautpaar mit einem Theaterstück, in dem Shakespeare selbst auftritt und nach dem Sein oder Nichtsein fragt.
Am Ende bespricht Prospero seinen Text mit Geist und Publikum: „Da ist der Shakespeare gut, deshalb machen wir ihn", proklamiert er und das Publikum erlöst ihn mit großem Applaus, so wie Shakespeare es sein vermeintliches Alter Ego am Ende des Stücks erbitten lässt.
Original