4 subscriptions and 1 subscriber
Feature

Was eine Burschenschaft unter Fortbildung versteht

Im Haus der Studentenverbindung Thuringia in Braunschweig trafen sich Nationalisten und Rechtsradikale zum "Deutschlandseminar" und hetzten gegen Ausländer und Demokratie. Unser Autor war dabei.


Von Christoph Koopmann


Die weißen Kacheln glänzen. In der Nase beißt der Gestank von Urin. Als die schwere Holztür neben dem Kotzbecken aufschwingt, steht ein großer Mann im Rahmen. Cargo-Hose, Schlabberpulli, Vollbart, Typ Hipster. "Und, was treibt Sie hierher?", fragt ihn ein Anzugträger, der sich gerade die Hände wäscht. "Ich komme aus Bremen", sagt der Bärtige, "bin da bei den Identitären aktiv". Ein Oho, der Anzugträger macht das Waschbecken frei. "Sehr schön! Ich bin Anwalt. NPD und so", sagt er.

Es ist ein kurzes Gespräch, das sich an diesem Tag so ähnlich noch wiederholen wird. Hier, im Haus der Braunschweiger Burschenschaft Thuringia, haben sich Anhänger verschiedener rechter Gruppen getroffen.

Burschenschaften haftet der Ruf an, ein Hort für Rechte zu sein - und verschlossen. Doch die Thuringia hat sich und ihr unscheinbares Haus in der Nachbarschaft der Braunschweiger Universitätsbibliothek geöffnet. Womöglich möchte sie auf der Welle mitschwimmen, die Pegida, AfD und Ultrarechte wie die sogenannte "Identitäre Bewegung" nach oben gespült hat. Dazu setzt die Studentenverbindung auf ein bewährtes Mittel: eine Art Fortbildungsveranstaltung.

Die Thuringia nennt es "Deutschlandseminar". Es soll um Heimat, Volk und Vaterland gehen. Heute hat die Burschenschaft unter anderem Georg Immanuel Nagel eingeladen, den ehemaligen Sprecher des Wiener Pegida-Ablegers.

"Seine Neigung zum abstrakten Denken in moralischen Begriffen zeichnet den Europäer aus im Gegensatz zu anderen Volksgemeinschaften", doziert dieser. Muslime sollten "zu Hause" bleiben, dann seien sie "nicht mehr unser Problem". Generell sei die Demokratie "ein Blödsinn". So geht das eine Stunde lang. In der anschließenden Debatte und Fragerunde gibt es keinen inhaltlichen Widerspruch zu dem, was Nagel sagt.

Ein ausgestopfter Fuchs in der Ecke trägt Burschenkappe und ein Band in den Farben der Verbindung; er schaut mit leerem Blick herab auf die engen Stuhlreihen. An der holzvertäfelten Wand hängen zwei gekreuzte Deutschlandflaggen, davor die grün-weiß-blauen Fahnen der Thuringia. Am anderen Ende der Stube erinnert eine Gedenktafel an die gefallenen Bundesbrüder des Ersten und Zweiten Weltkrieges: "Sie starben für Deutschland", steht da.

Viele Burschenschafter in Anzügen sitzen hier, zu erkennen am Band, das von einer Schulter quer herab über die Brust gebunden ist. Dazu einige Senioren, die meisten wohl "Altherren" der Burschenschaft. In den hinteren Reihen sitzt um den Vollbart-Identitären herum eine Gruppe jüngerer Leute: Die Männer in engen Poloshirts und mit akkurat rasiertem Undercut, die wenigen Frauen dunkel gekleidet und tätowiert. Sie alle haben sich bei der Thuringia getroffen, um zuzuhören - aber vor allem, um sich auszutauschen.

"Im Moment sind die Häuser bestimmter Burschenschaften Treffpunkt für radikale Rechte", sagt Alexandra Kurth vom Institut für politische Wissenschaft der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Damit meint sie die Studentenverbindungen, die im Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) organisiert sind. Mit ihnen beschäftigt sich Kurth seit etwa 20 Jahren. "Früher haben sie öffentlich eine Grenze zu militanten Rechten gezogen", sagt sie. Heute seien diese willkommen. Früher blieb man lieber unter sich. Zum "Deutschlandseminar" gab es eine öffentliche Einladung.

"Eigentlich würde ich die AfD wählen, aber die haben sich unwählbar gemacht."

Einer wie Lukas Riechmann hätte vor 20 Jahren ebenfalls nicht unter dem blauen Zeltpavillon im Garten des Anwesens gesessen. Der 27-Jährige ist in diesem Semester Sprecher der 27 aktiven Studenten in der Thuringia. Riechmann, blond, Seitenscheitel, Sechstagebart, sieht im schwarzen Dreiteiler und mit angezündeter Kippe im Mundwinkel aus, als wäre er gern Mafiapate. Diesen Eindruck bemüht er sich auch mit seinem eisernen Händedruck zu bestätigen. Einen Schmiss, die Narbe vom rituellen Gefecht unter Burschenschaftern, hat er nicht im Gesicht. "Unser Fechtstil ist nicht so gefährlich wie anderswo", erklärt er.

Riechmann heißt in Wahrheit anders. Seinen echten Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Auf linken Rechercheplattformen im Internet kursieren Fotos, die ihn in der ersten Reihe bei einem Aufmarsch der Jungen Nationaldemokraten zeigen, der Jugendorganisation der NPD. Er war bis 2015 Mitglied in mindestens drei rechtsradikalen Vereinigungen aus der Region Braunschweig. Doch auch danach hatte er noch Kontakte zu bekannten Rechtsradikalen aus der Gegend, ging mit ihnen etwa zu Konzerten. Ob Riechmann in der Szene noch aktiv ist, lässt sich nicht belegen.

Darauf angesprochen, wirkt er fahrig. "Teilweise unbelegt" seien die Behauptungen über sein Engagement bei den Neonazis. Er will weder bestätigen noch dementieren. Nur so viel zu seiner politischen Position: "Eigentlich würde ich die AfD wählen, aber die haben sich unwählbar gemacht."

Ein Satz, der hier nicht zum einzigen Mal fällt. In einer Pause unterhalten sich die Gäste bei Bier und Bratwurst im Garten lebhaft. "Für mich hat sich die AfD unwählbar gemacht durch ihren Kuschelkurs in Nordrhein-Westfalen", sagt da einer. Mit "Kuschelkurs" meint er die Aussage des nordrhein-westfälischen AfD-Spitzenkandidaten Marcus Pretzell vor der Landtagswahl im Mai, er freue sich auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit den anderen Parteien. "Wer mit denen zusammenarbeitet, stützt doch das System", ereifert sich der Diskutant weiter.

Das "System" zu beseitigen, davon träumt so mancher Burschenschafter. "Es gibt eine ganze Reihe von ihnen, die trunken sind von der Vorstellung, dass es einen Bürgerkrieg und eine Revolution geben könnte", sagt Burschenschafts-Forscherin Alexandra Kurth. In der intellektuellen, bisweilen auch in der praktischen Vorbereitung darauf wollten sie Zentren der Vernetzung sein.

Zurück ins "gute, alte Deutschland"

Um diese Bestrebungen zu erklären, muss man in die Gründungszeit der deutschen Burschenschaften zurückgehen: Anfang des 19. Jahrhunderts taten sich Studenten zusammen mit dem Ziel, für eine deutsche Einheit zu kämpfen. 1815 kam es zur Gründung der Urburschenschaft in Jena; 1817 zelebrierte diese ihre Geburt mit einem Fest auf der Eisenacher Wartburg.

Nach der Vereinigung des Reichs 1871 allerdings wandelten sich die Burschenschaften. Einige Verbindungen waren offen judenfeindlich. Viele waren glühende Verfechter der wilhelminischen Monarchie, die Weimarer Demokratie lehnten sie ab.

In diese Zeiten wünscht sich so mancher Burschenschafter von heute offenbar zurück. Dafür ist es ihnen auch recht, sich mit weniger elitären Zirkeln zu verbrüdern. Hauptsache zurück ins "gute, alte Deutschland".

Gewiss, jedem Burschenschafter Rechtsextremismus vorzuwerfen, wäre undifferenziert und falsch, sagt Alexandra Kurth. Aber: "Relevante Teile der DB gehören ideologisch und personell zum rechtsextremen Spektrum."

"Nicht abendländisch-europäische Herkunft" als Ausschlusskriterium für eine Mitgliedschaft

Im Jahr 2011 erregte der Dachverband DB Aufsehen, weil er intern über einen Herkunftsnachweis stritt, der Erinnerungen an der "Ariernachweis" der Nazizeit weckte. Es ging um die Frage, ob eine Verbindung, die einen nicht-deutschstämmigen Studenten aufnahm, noch Mitglied der DB bleiben dürfe. Eine eigens geschaffene Kategorie der "nicht abendländisch-europäischen Herkunft" sollte de facto Ausschlusskriterium für eine Mitgliedschaft sein. Viele liberale Bünde traten aus. Übrig blieben rechtskonservative Burschenschaften, etwa 5000 Studenten sind hier noch aktiv.

Die Thuringia sitzt in diesem Jahr der DB vor. Im Oktober feiern die deutschen Burschenschaften den 200. Jahrestag des Wartburgfestes, die Thuringia organisiert den großen Festakt.

Wegen all dieser Dinge hat sich in Braunschweig vor dem "Deutschlandseminar" ein Bündnis aus Gegnern formiert. Der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta) der Technischen Universität rief zum Protest auf. Die Studentenvertreter forderten vom Uni-Präsidium, der Thuringia ihren Status als Studentenverbindung abzuerkennen - erfolglos. Die Rechtsabteilung der TU Braunschweig sah keine Verletzung der "Registrierordnung" der Uni für studentische Vereinigungen. Darin ist festgelegt, dass diese "frei von Diskriminierung, Rassismus, Volksverhetzung und Sexismus" sein müssen.

Etwa 200 Demonstranten sind dennoch da. Sicherheitshalber hat die Polizei die Straße abgesperrt. Auf dem Weg zu der Veranstaltung im Burschenschaftshaus haben sich trotzdem zwei junge Besucher mit einer Gruppe Demonstranten geprügelt.

In einer Pause adelt Thuringia-Sprecher Riechmann die beiden, die sich vor der Veranstaltung mit den Gegendemonstranten schlugen, mit anerkennenden Worten und Schulterklopfern für ihre Heldenhaftigkeit. Sie gehören offenbar zur Identitären Bewegung.

Umschlagplatz für rechtes Gedankengut

Ein paar Meter weiter spricht Björn Clemens, der Anzugträger von der Toilette, mit einem jungen Burschenschafter. "Also ich werde die NPD wählen", sagt Clemens. Er sei ja schließlich auch beruflich für die Partei tätig gewesen, wiederholt er den Satz von vorhin. In der Tat hat Clemens 2010 den damaligen Landtagsabgeordneten Udo Pastörs verteidigt, als dieser wegen rassistischer und antisemitischer Tiraden vor Gericht stand. Clemens selbst vertritt in Publikationen extrem rechte Positionen, tritt regelmäßig bei Rechten-Demos auf - oder eben in Burschenschaftshäusern.

Unterhält man sich mit den Gästen, lauscht man den Gesprächen, dann wird klar: Hier treffen bürgerliche Konservative auf radikale Rechte, unter der Schirmherrschaft einer Studentenverbindung.

Aber vertritt auch die Thuringia selbst rechtsradikale Positionen? "Nein", sagt Lukas Riechmann. "Man sollte sich aber alles anhören." Hinterher könne man sich ja seine eigene Meinung bilden. Die Thuringia habe sich nie mit solchen extremen Ansichten gemein gemacht, sagt Riechmann. Vielmehr stehe die Burschenschaftsbewegung seit ihrer Gründung für Meinungsfreiheit - die gelte eben auch für extreme Ansichten.

Jetzt müsse er sich allerdings entschuldigen, sagt Riechmann und kommt damit weiteren Nachfragen zuvor. Ein kumpelhaftes Lachen, dann geht er, vorbei an Anwalt Björn Clemens, der gleich seinen Vortrag halten wird und sich noch immer mit dem jungen Burschenschafter unterhält. "Eigentlich haben Sie recht", sagt der Student zu Clemens, "warum es bei der Bundestagswahl nicht mal mit der NPD versuchen?".