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Die AfD ist keine rückwärtsgewandte Partei

Christoph Giesa Autor und Berater Mehr

Expertise:

Christoph Giesa ist Autor. Er lebt in Hamburg. Zuletzt erschien im Hanser Verlag sein Buch „Gefährliche Bürger - Die Neue Rechte greift nach der Mitte". Er bloggt unter blog.christophgiesa.de.

Der AfD wird gerne unterstellt, sie wolle wahlweise in die 1970er oder 1950er Jahre zurück, sie sei eine rückwärtsgewandte Partei. Diese Betrachtungsweise springt allerdings zu kurz. Wenn Konservative glauben, ihre Positionen würden nun von der AfD vertreten, übersehen sie, dass die AfD die Tradition nachkriegsdeutscher Politik gerade nicht bewahren, sondern vielmehr zerschlagen will.

Keine Frage, Konrad Adenauer dürfte den heutigen Positionen der AfD zu Einwanderung, Homoehe oder Umweltschutz nähergestanden haben, als den deutlich fortschrittlicheren seiner Partei, der CDU. Jeder ist eben immer auch ein Kind seiner Zeit. Ob Adenauer, Strauß und Co. allerdings damit einverstanden gewesen wären, dass die AfD-Spitze Äußerungen von ihnen als Beleg dafür nennt, dass die neue Partei nur Positionen besetze, die die Union aufgegeben habe, darf auch aufgrund der außen- und europapolitischen Positionen in Zweifel gezogen werden.

Die Politik der AfD ist nicht die frühere Politik von CDU und CSU, sondern in weiten Teilen deren Gegenteil.

Wenn von Adenauers Politik etwas bis heute nachwirkt, dann ist es sein uneingeschränktes Bekenntnis zu Europa und zur Westbindung Deutschlands. Das „Europa der Vaterländer", für das die AfD wie auch andere rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien eintritt, ist nichts anderes als das Gegenmodell zu den „Vereinigten Staaten von Europa", von denen Adenauer träumte. Das gleiche gilt für die Westbindung, die die AfD mit ihrer Hinwendung zu Putins autoritärem Russland in Frage stellt. Franz-Josef Strauß, der große Kopf der CSU, bekannte sich schon in der Debatte um die Wiederbewaffnung dazu, dass eine Außenpolitik der Nichteinmischung nicht funktionieren könne für ein Land, das mitten in Europa liege. Das AfD-Programm atmet allerdings genau den Geist derer, die davon träumen - und meinen -, die Probleme der Welt mit Zäunen und Schießbefehlen aussperren zu können. Es ist das Gegenteil verantwortlicher Politik, wie sie Konservative gemeinsam mit Liberalen und Sozialdemokraten und später auch Grünen seit 1945 in wechselnden Mehrheiten, immer aber ähnlichen Grundüberzeugungen folgend, betrieben haben.

Zu diesen Leitlinien deutscher Politik gehört auch die, dass Deutschland ein „Volk der guten Nachbarn" sein wolle, und zwar „im Inneren und nach außen". So hatte es Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung formuliert und bleibt bis heute von konservativer Seite unwidersprochen. Die AfD allerdings stellt dies nicht nur nach außen mit ihrer aggressiven Rhetorik in europapolitischen Debatten, sondern auch nach innen, mit ihrer unverhohlenen Forderung nach Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen in Frage.

Die AfD ist keine rückwärtsgewandte Partei, sondern eine moderne Partei mit antimodernem Programm.

Auch wenn es ein schönes Bild ist, das in der öffentlichen Debatte zunächst funktionieren mag: Die AfD ist keine rückwärtsgewandte Partei. Ihr zu unterstellen, sie wolle einfach nur ihre alte Bundesrepublik ohne Ausländer, Homoehe und Umweltschutz wiederhaben, verkennt die wahre Geisteshaltung. Es geht der Neuen Rechten, zu der die AfD zu zählen ist, nicht darum, etwas zu bewahren, wie es Konservative wollen. Vielmehr will man etwas schaffen, was zu bewahren es wert wäre - was im Umkehrschluss nichts anderes heißt, als dass es derzeit nichts gibt, auf das die Neue Rechte aufbauen kann und will. Die AfD muss daher als eine moderne Partei gesehen werden, die die Möglichkeiten von heute nutzen will, um antimoderne, fortschrittsfeindliche, ausgrenzende Politik für die Zukunft zu machen. Und genau das macht sie so viel gefährlicher als es die NPD, die DVU oder die Republikaner jemals waren. Und genau deshalb wird sie auch nicht so schnell wieder verschwinden.

Die Neue Rechte rund um AfD und Pegida will keine Kurskorrektur, sondern einen radikalen Schnitt.

Die Neue Rechte rund um AfD und Pegida will keine Kurskorrektur, wie wir sie aus dem normalen Parteienstreit innerhalb der grundgesetzlichen Regeln kennen. Sie will vielmehr einen radikalen Schnitt. Und für diesen ist sie auch bereit zu radikalen Maßnahmen. Wertet man die Äußerungen von AfD-Politikern aus den letzten Monaten mit Blick auf die Grundrechtsparagrafen des Grundgesetzes aus, kommt man zu einem erschreckenden Ergebnis: Immerhin 8 von 19 dieser wichtigsten Regeln unseres Zusammenlebens wurden aus der AfD heraus in Frage gestellt, von Artikel 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar") über Artikel 4 (Religionsfreiheit) bis hin zu Artikel 16a (Recht auf Asyl). Von Demokratie und offener Gesellschaft, wie wir sie kennen, wäre am Ende nicht mehr allzu viel übrig. Vorsicht ist also angebracht, Hysterie sollte allerdings trotzdem vermieden werden.

Mit der Nazikeule tut man den Neuen Rechten einen Gefallen. Sie können sich durch sie als Opfer inszenieren.

Das Ergebnis einer Machtübernahme der AfD sollte man sich nicht wie Nazideutschland mit Gaskammern und Angriffskriegen gegen die Nachbarländer vorstellen. Mit der Nazikeule tut man den Neuen Rechten sogar einen Gefallen, weil sie diese guten Gewissens und mit lauter Empörung von sich weisen und sich als Opfer inszenieren können. Genauso wenig sollte man die Bewegung allerdings verniedlichen und so tun, als ob da nur jemand die alte Linie der Unionsparteien für sich entdeckt hätte. Wie ein Staat, in dem neurechtes Gedankengut maßgeblich ist, aussehen würde, kann man beim Blick auf Russland oder Ungarn erahnen. Wer dort nicht hinwill, der darf mit der AfD nicht flirten, egal ob er sich nun konservativ, liberal oder links fühlt.

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- Lesen Sie hier die gesamte Debatte zur AfD.

- Außerdem auf Causa: Wie sich die Grünen als Volkspartei etablieren.

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